Akte Asien

Akte Asien

In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Warum ein chinesischer Milliardär seinen Mercedes mit einem Presslufthammer zertrümmert

Um ein Zeichen gegen die Luftverpestung in China zu setzen, zermalmt der Philanthrop und Huangpu-Chef Chen Guangbiao seine deutschen Luxuskarossen. Viel bringen wird das nicht - außer dass jedes Auto weniger auf den verstopften Straßen ein Segen ist.

Chen Guangbiao, einer der reichsten Unternehmer Chinas, steht gern im Rampenlicht, besser noch vor Fernsehkameras. Die Freude hatte er jetzt wieder, als er in Nanking in aller Öffentlichkeit seine Luxuslimousine zertrümmerte. Vorgeblich, um ein Zeichen zu setzen gegen die zunehmende Verpestung der Umwelt durch Autos.

Von einer tragbaren Konsole aus steuerte Chen eine Baumaschine, die normalerweise das Straßenpflaster aufbricht. Chen ließ sie jedoch auf seinen schwarzen Mercedes los. Den durchbohrte und zerknickte der riesige Presslufthammer, als wäre die Karosse aus Pappe. Anschließend verschenkte Chen 200 Fahrräder an seine Mitarbeiter, als Abwrackprämie gewissermaßen. Dabei rief er dazu auf, künftig so wenig wie nötig Auto zu fahren. (Youtube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=bYZsYvwe_Ec).

Chens deutsches Fahrzeug war zwar nicht mehr neu, hatte aber angeblich immer noch einen Wert von rund 30.000 Euro. Das ist viel Geld in einem Land, wo das Durchschnittseinkommen selbst in den Städten nicht mehr als 2500 Euro beträgt – im Jahr. Chen freilich trifft der Verlust nicht sehr, denn er gehört zu den wohlhabendsten Männern Asiens. Sein Vermögen wird auf knapp 3,3 Milliarden Yuan oder 380 Millionen Euro geschätzt.

Der beleibte Dreiundvierzigjährige aus der Ostküstenprovinz Jiangsu hat sich aus einer armen Familie hocharbeitet, in der zwei seiner Geschwister starben. Heute gilt er als Vorzeigewohltäter und einer der großzügigsten Spender des Landes. Gemäß der „Hurun-Philanthropenliste” gibt er im Jahr rund 220 Millionen Yuan für selbstlose Zwecke aus. Wo immer eine Katastrophe ausbricht, ist Chen mit seiner Brieftasche zur Stelle, zuletzt in Japan. Auch gehörte er bei einem Benefiztreffen mit Bill Gates und Warren Buffet in Peking zu den Ersten, die anboten, ihr ganzes Vermögen der Wohlfahrt zu vererben.

Doch Chens ostentative Selbstlosigkeit ist umstritten, vor allem in China selbst. Viele halten sie für einen Marketinggag und für den Ausdruck eines übertriebenen Geltungsbewusstseins. So nimmt man ihm übel, dass er sich nach dem schweren Erdbeben in Sichuan mit den Empfängern seiner Spenden fotografieren ließ und sie aufforderte, mit den Geldscheinen zu wedeln.

Auch die Zerquetschung seines Autos sei bloß eine Selbstinszenierung, heißt es. Das zeige sich schon daran, dass Chens Appell nichts gefruchtet habe, am weltweiten autofreien Donnerstag die Wagen in der Garage zu lassen. Tatsächlich meldeten die Behörden gestern fast das gleiche Verkehrsaufkommen wie sonst auch. Ein weiterer Vorwurf gegen Chen lautet: Wegen der komplizierten Entsorgung erzeuge die Autozerstörung mehr Umweltprobleme, als sie löse. Das allerdings muss nicht sein, denn Chens Konzern Huangpu mit Sitz in Nanking ist auf derlei Herausforderungen spezialisiert. Er ist einer der größten Recyclingbetriebe der Welt.

Um den Autoverkehr einzudämmen, hat Chen vorgeschlagen, den Benzinpreis um 50 Prozent zu erhöhen und die Zulassungskosten je nach Motorgröße auf 100.000 bis 800.000 Yuan (92.000 Euro) anzuheben. Bisher sind es in der teuersten Stadt, Schanghai, etwa 50.000 Yuan (5800 Euro), ein Liter Normalbenzin kostet derzeit 7,85 Yuan (0,90 Euro). Auch die Parkgebühren sollten drastisch steigen, meint Chen, nur so könne man der Staus und der Luftverschmutzung Herr werden. Das Geld müsse dann in den Ausbau der Nahverkehrssysteme fließen.

Die Forderungen mögen überzogen und populistisch sein (obwohl Chen im Netz viel Gegenwind erfährt), sie treffen aber den Nerv in Chinas großen Städten. Denn dort sind die Staus und die Verpestung noch immer mörderisch: trotz der jetzt schon hohen Zulassungsgebühren in Schanghai und des U-Bahnausbaus für die Expo; trotz der drastischen Verringerung der Anmeldung neuer Autos in Peking; trotz der Fahrverbote für jedes Auto an einem Wochentag.

In Peking übersteigt der von der amerikanischen Botschaft gemessene Luftqualitätsindex fast jeden Tag die Grenzwerte der Industrieländer. Nach Weltbank-Angaben liegen sieben der zehn schmutzigsten Städte dieser Erde in China, 80 Prozent des Oberflächenwassers gelten als belastet. Das Land ist nicht nur absolut der größte Emittent von Kohlendioxid. Es liegt auch – anders als oft behauptet – je Einwohner über dem Durchschnitt. Nach Erwartungen der Internationalen Energieagentur IEA dürfte der Pro-Kopf-Wert den der EU in zehn Jahren erreichen. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Umweltbelastung gehen in die Milliarden.

Bild zu: Warum ein chinesischer Milliardär seinen Mercedes mit einem Presslufthammer zertrümmert

Eine Besserung ist nicht abzusehen, solange die Wirtschaft brummt und der Verkehr so stark zunimmt. Seit 2009 ist China der größte Neuwagenmarkt der Welt noch vor Amerika. Erstmals fuhren im August auf Chinas Straßen mehr als 100 Millionen Personenwagen. Und doch ist die Dichte mit acht Autos je 100 Einwohner noch weit von den Werten in den Industrieländern entfernt.

Der Verkehrskollaps, der hohe Rohstoffverbrauch und die Umweltverschmutzung sind die Schattenseiten des chinesischen Autobooms, von dem nicht zuletzt die deutsche Industrie profitiert. Nach Angaben des Automobilverbands VDA auf der Weltleitmesse IAA in Frankfurt dürften in China in diesem Jahr erstmals mehr deutsche Fahrzeuge zugelassen werden als in der Heimat selbst. Schon wird jeder dritte VW und jeder vierte Audi in der Volksrepublik verkauft.

Unser Milliardär Chen Guangbiao ist übrigens ebenfalls ein Freund deutscher Autos. Deshalb sieht er seine Zerstörungswut auch nicht gegen eine spezielle Marke gerichtet: Um ausgewogen zu agieren, will er beim nächsten Mal seinen BMW zermalmen.

Bild oben:

Wenn der Luftqualitätsindex den Wert 200 übersteigt, findet der Sportunterricht an der deutschen Schule und am deutschen Kindergarten in Peking nur noch unter Einschränkungen statt. Ab einer Belastung von 300 dürfen die Kinder nicht mehr ins Freie. Die Skala reicht bis 500, was in Peking überschritten wird. Dafür kennt die internationale Klassifikation dann keine Bezeichnung mehr.

Weiterlesen zu China:

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