Was ist bloß mit den Japanern und den Japanerinnen los? Sie wollen nicht mehr heiraten, haben keinen Spaß mehr am Sex im Ehebett und bleiben lieber kinderlos. Kein Land der Welt altert so schnell wie Japan. In Tokio fällt das Besuchern nicht so auf, denn die japanische Hauptstadt ist ein Magnet, der junge Menschen aus allen Teilen des Landes anzieht. Doch wer die kleinen Städte in der Provinz besucht, der reibt sich bisweilen erschreckt die Augen. Es schmeichelt zwar der eigenen Eitelkeit, mit 52 noch den Altersdurchschnitt zu senken. Aber normal ist das nicht.
Jetzt schlagen auch die Ökonomen immer lauter Alarm. Die Unlust zur Ehe habe für die wirtschaftliche Entwicklung des ostasiatischen Landes dramatische Folgen, stellte Masataka Maeda vom Japan Center for Economic Research in einer Studie in Tokio mit. Der Wissenschaftler zitiert dabei amtliche Zahlen. Und die sind wirklich besorgniserregend. Immer mehr Männer zwischen Anfang 30 und 40 meiden die Ehe. Im Jahr 2030, wenn sie alle 50 oder älter sein werden, erwartet die Regierung, dass fast 30 Prozent der japanischen Männer ihr ganzes Leben lang Single waren. Bei den Frauen sieht es nicht viel besser aus. Bei ihnen erwarten die Wissenschaftler, dass 22,6 Prozent bis zu ihrem 50. Lebensjahr nicht heiraten werden. Noch vor 20 Jahren, als Japans Wirtschaft kräftig wuchs, lag die Quote der Unverheirateten in dieser Altersgruppe bei weniger als fünf Prozent.
Nun muss Ehelosigkeit nicht automatisch Kinderlosigkeit oder ein Leben ohne Sex bedeuten, mag mancher Europäer sagen. In Japan ticken die Uhren aber noch heute anders. Hier bedeutet die Abkehr von der Ehe, dass diese Menschen auch keine Kinder bekommen. Uneheliche Kinder sind selbst in der weltoffenen und an der Oberfläche so modern wirkenden Hauptstadt Tokio gesellschaftlich geächtet. Unverheiratete Paare, die in einer gemeinsamen Wohnung leben, sind die absolute Ausnahme. Außereheliche Kinder fallen deswegen statistisch nicht ins Gewicht. In Japan gilt noch immer: Nicht verheiratet, keine Kinder.
Keine Gesellschaft altert so schnell wie die japanische. In der vergangenen Woche meldete die Regierung, dass 29,8 Millionen Japaner älter sind als 65. Das entspricht 23,3 Prozent der gesamten Bevölkerung. Japan ist damit bereits eine „hyperalte Gesellschaft”. So nennen das Wissenschaftler wie der Leiter des Deutschen Instituts für Japanstudien, Florian Coulmas. Und mit dem Altersdurchschnitt sinkt auch die Geburtenrate. 1,2 bis 1,3 Kinder gebärt eine japanische Frau im Durchschnitt, so wenig wie in kaum einem anderen Land der Welt. In der Hauptstadt Tokio liegt die Quote sogar bei nur 1,0. Wohl in kaum einer Großstadt gibt es so viele Singles im heiratsfähigen Alter wie in Tokio. Diese Neigung der jungen Menschen, nicht mehr zu heiraten, ist fatal für eine alternde Gesellschaft, deren wirtschaftliche Dynamik jetzt bereits spürbar nachgelassen hat.
„Ein wachsender Anteil von Unverheirateten hat natürlich Auswirkungen auf die Geburtsrate, die eine alternde Gesellschaft wie Japan unbedingt steigern müsste”, warnt Maeda. 19,1 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen in Japan, die heute 50 Jahre alt sind, sind immer noch Single und waren nie verheiratet. Dass es bei den Frauen 2030 bereits doppelt so viele sein werden, sind nicht nur vage Schätzungen – die Grundlagen dafür sind heute bereits gelegt. Mehr als die Hälfte der Frauen über 30 sind nicht verheiratet und kinderlos, und bei den meisten wird es so bleiben.
Dabei ist es keineswegs so, dass Japanerinnen egoistisch sind und Kinder ablehnen. Im Gegenteil: Tomoko und Mika aus Tokio zum Beispiel. Beide sind gut ausgebildet, haben einen sicheren, guten Job, sind 34 Jahre alt – und haben keinen Mann. Es ist nicht so, dass sie nicht heiraten wollten. „Wenn wir zusammen ausgehen, haben wir fast nur ein Thema”, erzählt Tomoko. „Wie bekommen wir noch einen Ehemann?” Es sei aber schwer, den Richtigen zu finden. Japanische Männer seien entweder zu traditionell und erwarteten, dass die Frau ihren Beruf aufgibt und später die Schwiegereltern pflegt. Oder die potentiellen Kandidaten haben keinen sicheren Arbeitsplatz – das gilt für fast jeden dritten jungen Mann – und bieten den Frauen nicht die materielle Sicherheit, die gerade den Eltern von Japanerinnen sehr wichtig ist. „Makeinu” werden Frauen wie Tomoko und Mika in Japan genannt, frei übersetzt bedeutet das soviel wie verlorene Hunde, Loser. In der konservativen japanischen Gesellschaft gelten diese Frauen als Versager, trotz ihrer Erfolge und obwohl es wichtig ist, dass gerade solche erfolgreichen Frauen eine Familie gründen.
Dabei wünschen sich viele der japanischen Frauen Kinder; auch Tomoko, als Softwarespezialistin in einem amerikanischen Unternehmen arbeitet. „Aber wenn es keine Kindertagesstätten gibt und ich keinen Mann finde, der meine Unabhängigkeit erträgt, was soll ich machen?” fragt sie. Florian Coulmas bestätigt, dass der Wunsch, Kinder zu bekommen, bei Japanerinnen fast doppelt so hoch ist wie die Geburtenrate. 2,48 gewünschten Kindern stehen 1,26 gebornene Kinder gegenüber. Coulmas sieht einen der Gründe für die dramatische Entwicklung in dem grassierenden Pessimismus und der fehlenden Zukunftsperspektive der japanischen Gesellschaft. „Alles, was wir über die Gründe der niedrigen Geburtsrate wissen, zeugt von Zaghaftigkeit und der Sorge, den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen zu sein”, erklärt er.
Dazu passt, dass es in japanischen Ehebetten offenbar auch ausgesprochen freudlos zugeht. Eine Studie des Gesundheitsministeriums brachte Anfang dieses Jahres zutage, dass 40,8 Prozent aller befragten Ehepaare angaben, sie hätten im letzten Monat keinen Sex gehabt. Männer antworteten auf die Frage nach dem Warum, sie seien nach der langen Arbeit einfach zu müde. Das hindert sie aber nicht daran, am Freitag das Ende der harten Arbeitswoche im Kreise der Kollegen bei reichlich Alkohol ausgiebig bis in den nächsten Morgen zu feiern. Die Frauen erklärten, Sex bereite ihnen einfach zu viele Probleme. Zumindest statistisch gehören die Japaner damit zu den sexuell inaktivsten Völkern der Erde.
Diese Zahlen und Thesen des japanischen Gesundheitsministeriums stehen allerdings in merkwürdigem Kontrast zu dem Bild, das einige Teile Tokios bieten. In welcher anderen Stadt sieht man so viele Männer in den besten Jahren in der U-Bahn ungeniert in pornografischen Comics blättern. Auch die Rotlichtindustrie fristet alles andere als ein Schattendasein. Zwar gibt es dabei manche japanische Besonderheit, aber außerhalb des Ehebetts scheinen japanische Ehemänner aktiver zu sein als daheim. Auch das ist nach Ansicht mancher Wissenschaftler eine Begründung für den dramatischen Rückgang der Geburten. Die schnelle Erleichterung bei jungen Frauen lässt sich – zumindest für den Japaner – preiswert und ohne emotionale Bindungen leicht finden.
Der Geburtenrate hilft diese außereheliche Aktivität nichts. Und manchen Mann hält es davon ab, sich eine Frau zu suchen. Wie Tomoko und Mika geht es heute bereits mehr als der Hälfte der Japanerinnen über 30, sie suchen einen Partner, finden aber keinen. „Ein Warnsignal”, sagt Ökonom Maeda. Japan werde mit dieser Entwicklung mehr und mehr zum warnenden Beispiel für die anderen entwickelten Industriestaaten. Ein Ausweg, den viele alternde europäische Länder gehen, bleibt Japan verwehrt: Zuwanderung ist hier kein Thema. Alle Parteien, aber auch die Gewerkschaften lehnen Zuwanderung aus asiatischen Ländern rigoros ab. Nicht ohne Grund gehört allein der Dachverband der Industrie, Keidanren, zu den Kräften, die Japan öffnen wollen. Japans Unternehmen drohen sonst, schon bald die qualifizierten Arbeitskräfte auszugehen. Auch die Schwäche der Binnennachfrage, die Japan in eine leichte Deflation geführt hat, ist eine Folge der Überalterung. Das Problem sei, dass Japans wirtschaftliche Situation mit der rasant voranschreitenden Überalterung immer schwächer geworden sei, die Alten mit ihren guten Renten den nachfolgenden Generationen aber gefahrlos Verzicht predigen könnten, erklären Ökonomen. Die leichte Deflation, unter der Japan leidet, freut die Alten in einer alternden Gesellschaft sogar. Wer vom Ersparten lebt, freut sich über sinkende Preise. Die Heiratsunlust der Japaner mit weiter sinkenden Geburtsraten verstärke diese dramatische Entwicklung weiter, befürchtet Maeda.
weiter so !
Ist doch OK. Es gibt zu viele Menschen auf der Welt. Schön das es in den entwickelten Ländern einen Geburtenrückgang gibt.
Japaner werden deshalb mit Sicherheit nicht aussterben.
Es gibt keinen grenzenlosen Wachsstum !
Hoffentlich macht das Schule und hoffentlich entwickeln sich die Länder, wo die Menschen sich immer noch explosionsartig vermehren auch bald.
Das ist genau die richtige Entwicklung.
Tja, ein Zynischer könnte...
Tja, ein Zynischer könnte doch sagen, was ist genau die Bedeutung der Ehe außer “ein Leben ohne Sex?” Die Gerüchte von den Alteren sind nicht grundlos!
Nach einigen Jahren gehen die Tierische Sexhormonen einfach nieder, wenn man rein biologisch die Sache prüft.
Übrigens, ich finde es sehr interresant, diese Verbindung zwischen die Aktionen der Einzelne, und sogar was daraus für die Lage ganze Gesellschaften gemacht ist.
In liberalem Abendland, darf man fast alles tun, nach gesetzlicher Grenzen natürlich. Manche Amtliche schreien über bösen Statistik und Voraussetzungen, aber bis jetzt sind wir irgendwie die Pleite vermeiden. So muss es nicht immer festhalten, aber ich glaube dass das Insel nicht sinken wird.
Letztlich, was gibt man den Recht, in Japan oder ganzer Welt, einfach ein Kind in Dasein zu bringen? Wie die Welt verwandelt, wird es immer mehr nicht für das Wunder des Lebens, sondern als Wirtschafts Esel behandelt. Wie Leute aus der Frankfurt Schule gescrieben haben, das Leben lebt sich nicht mehr. Vielleicht spielen solche demütigende Geistliche und Pyschologische Einflüße unterwertete Rollen in den laufenden Geburtsfiguren.
Der Artikel scheint mir...
Der Artikel scheint mir unvollständig. Mich hätte Mal interessiert, was japanische Frauen unter “Sex bereite ihnen Probleme” verstehen.
Der Ausweg, den viele...
Der Ausweg, den viele alternade europäische Gesellschaften mit der massenhaften Zuwanderung gehen, ist nur statistisch ein Ausweg, führt in der Realität aber zu dramatischem Wohlstandsverlust durch hohe Tranferleitungen, erhebliche Probleme der inneren Sicherheit und nicht zuletzt zu einer Erosion der gesellschaftlich-kulturellen Kohärenz. Das fatale: die Probleme werden trotz steigender Anstrengungen von Generation zu Generation schlimmer.
Japan wird älter, ärmer und an gewicht verlieren. Aber es bleibt Japan und hat die Chance, sich in fünfzig oder hundert Jahren zu erholen. Kann man das von den europäischen Gesellschaften auch sagen?