Von Christoph Hein
Staunen, Kopfschütteln, Zweifel. Das waren die ersten Reaktionen auf die Meldung, Burmas Regierung weigere sich, einen chinesischen Staudamm bauen zu lassen. Das längst genehmigte Großprojekt für 2,6 Milliarden Euro sei vom Volk nicht erwünscht. Staunen, Kopfschütteln, Zweifel, denn burmesischen Folter-Generälen glaubt man nun mal nicht, auch wenn sie ihre Uniform abgelegt und eine Wahl veranstaltet haben. Tauwetter in Burma? Das klingt noch unglaubhafter als die baldige Rettung Griechenlands aus seinem Finanzdesaster.
Am Freitag aber hat Thein Sein, der Präsident von Myanmar, erklärt, die Regierung müsse sich „am Willen des Volkes orientieren”. Erstaunliche Worte: Denn die Regierung von Myanmar, wie die Generäle das Land während der Militärdiktatur getauft haben, hat über Jahrzehnte auf den Willen des Volkes nur mit Knüppeln und Gewehren reagiert. Bis zu den Wahlen im vergangenen November galt Burma als die schlimmste Militärdiktatur Südostasiens. Sie ließ ihre Bürger nach dem Zyklon Nargis 2008 im Stich, sie schlug die von buddhistischen Mönchen geführte Erhebung 2007 brutal nieder, sie hielt die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi über Jahre in Hausarrest.
Nun aber will die Regierung von Burma eines der größten Kraftwerksprojekte der Erde auf Eis legen. Der Damm sollte von Chinesen gebaut werden und der Volksrepublik – nicht etwa den Burmesen – Strom liefern. Die Opposition in Burma war dagegen Sturm gelaufen, mehrere Widerständler in dem strengen Regime wurden verhaftet, es kam zu Scharmützeln mit den Kachin-Rebellen, auf deren Gebiet das Kraftwerk entstehen soll. Thein Sein verkündete nun, in seiner Amtsperiode bis 2015 werde der Myitsone-Damm nicht gebaut werden.
Vorangetrieben wurde das Projekt von burmesischen Politikern und Geschäftsleuten, die China nahestehen. Die benachbarte Volksrepublik stützt das Regime der Generäle in Burma seit Jahrzehnten und beutet dafür die Bodenschätze des Landes aus – Jade, Gas, Holz gehen nach China. Auch 90 Prozent der Energie, die das Kraftwerk am 152 Meter hohen Damm geliefert hätte, wären nach Südchina verkauft worden – während die ganz überwiegende Zahl der Burmesen überhaupt keinen Strom zur Verfügung hat. Im besten Fall wäre das Geld dafür in die burmesische Staatskasse geflossen. Ob es von dort dem Volk zugegangen wäre, darf bezweifelt werden. In der Vergangenheit stopfte sich die militärisch geprägte Elite des Landes die Taschen voll, oder die Generäle pumpten Millionen in den Bau einer abgeschirmten Regierungsstadt. Auch der Kauf von Waffen, die gegen eben jene Aufständischen eingesetzt würden, auf deren Gebiet der Damm gebaut werden soll, wäre wahrscheinlich.
Während es sich die Elite Burmas dank Chinas Hilfe gut gehen ließ, litt die Masse der Bevölkerung unter den Wirtschaftssanktionen, die der Westen unter Führung von Großbritannien und Amerika gegen die Diktatur verhängt hatte. Auch nach deren offiziellem Ende betrachteten selbst die Nachbarländer den Wechsel zu einer Zivilregierung als Feigenblatt, damit die Elite das Land weiter ungehindert ausbeuten konnte. So hatten sich zahlreiche hochrangige Militärs als Zivilpersonen in die Regierung wählen lassen.
Ausgerechnet die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aber hatte erklärt, der Staudamm bedrohe Burmas größten Fluss Irrawaddy und führe zu einer Umsiedlung von mehr als 12000 Menschen in Dutzenden von Dörfern. Immer mehr Menschen protestierten gegen den Ausverkauf Burmas an China, von dem sie nichts haben. Bis 2019 sollte das Wasserkraftwerk fertig gebaut werden. Erst vor wenigen Wochen noch hatte Energieminister Zaw Min erklärt, ein Abbruch des Projektes komme nicht in Frage.
Nun scheint alles anders – aber ist es das? Und wenn, warum? Haben die Generäle, die sich nun als Politiker darstellen, Angst vor einem erneuten Aufflammen des Widerstands in ihrem Land? Einem Widerstand, den sie in der neuen Form der Regierung nicht mehr ganz so leicht vernichten könnten, wie in ihrer Rolle als Militärherrscher?
Zumindest grassiert in ganz Asien unter den Politikern die Furcht, dass angesichts der für die breiten Massen schlechten Lebensbedingungen auf der einen Seite, der engen Vernetzung über soziale Medien auf der anderen Seite, Revolutionen wie in Nordafrika heraufzögen. Immer wieder war es in den vergangenen Wochen zu Zwischenfällen an den Dammprojekten in Burma gekommen, denn Rebellen wehren sich mit Waffen gegen die chinesischen Investoren, die ihnen ihr Land nehmen.
Zur selben Zeit ist Burma unter den Druck seiner Nachbarländer geraten. Denn ausgerechnet 2014, vor dem Jahr des Zusammenrückens der Länder Südostasiens zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, soll Burma die Präsidentschaft des Staatenbundes Asean übernehmen. Dass aber kann kein Land, dass die Menschenrechte um so vieles deutlicher mit Füßen tritt, als die Nachbarländer. Burma ist eh ein Kellerkind, der Westen fährt seit Jahren Sanktionen gegen das Land, und selbst Malaysier oder Indonesier schütteln den Kopf über die Brutalität der Generäle. Im November will Asean über den Vorsitz 2014 entschieden. Burma sich dramatisch ändern, will es die öffentliche Blamage verhindern.
Das Aufschieben des Baus des Myitsone-Staudamms könnte also den ersten Schritt zu einer Wende in dem Land markieren, das sich in vollkommene wirtschaftliche Abhängigkeit von China und zu Teilen von Indien begeben hatte. China ist mit Abstand Burmas größter Auslandsinvestor, hat den Generälen über Jahre den Rücken frei gehalten und Menschenrechtsverletzungen gedeckt. Im Norden des Landes zeigen die burmesischen Uhren Peking-Zeit, die Kinder lernen Mandarin als erste Sprache in der Schule. Am Samstag zeigten sich die Chinesen denn auch verärgert über die plötzliche Eigenständigkeit von Burmas Regierung: Ein Sprecher forderte, Burma müsse „einen den Gesetzen entsprechenden Umgang mit den Interessen chinesischer Unternehmen garantieren.” Immerhin sei das Staudammprojekt von beiden Seiten eingehend geprüft worden.
Dass die Burmesen sich erstmals mit ihrer Schutzmacht China anlegen, zeigt vielleicht am Deutlichsten, wie groß der Druck ist, der auf ihnen lastet. Dabei sitzt die Elite Burmas auf einer Goldader. Dank seiner Bodenschätze ist Burma das reichste Land Südostasiens, dank der Ausbeutung sind die Menschen dort bettelarm. Die Wahl der Zivilregierung im März aber ermöglicht Annäherung: Auch deutsche Kaufleute brechen nun zu einer Tour nach Myanmar auf, um dort Geschäftschancen auszuloten. Zudem profitiert Burma von seiner Rolle als Scharnier zwischen den Großmächten Asiens, wenn China und Indien näher aneinanderrücken. Und auch der „Asian Highway” soll Thailand und Indien via Burma verbinden.
Die Chancen, die andere Nachbarländer und der Westen Burma bieten, steigen. Vielleicht also kann es ein „neues Burma” wagen, sich allmählich aus Chinas Umklammerung zu lösen. Das Staunen, Kopfschütteln, Zweifeln über die tastenden Schritte einer ehemaligen Diktatur würde dann zur Normalität. Die Ex-Generäle müssen aufwachen. Die Furcht, von der Macht des eigenen Volkes weggefegt zu werden, ist dabei der schlechteste Weckruf nicht.