Akte Asien

Akte Asien

In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Nachrechnen bitte: Auch Volkswagen und Co werden zu spüren bekommen, dass der Autoabsatz in Asien viel langsamer zulegt als erhofft

Erst verrechnet, dann noch Pech gehabt: Der Automobilabsatz in den Hoffnungsmärkten China und Indien steigt plötzlich viel langsamer als erwartet. Den Wachstumsmarkt Südostasien aber haben Mercedes, Volkswagen und Co. links liegen lassen. Hier dominieren die Japaner. Es bleibt die Aufholjagd. Und die Hoffnung auf ein zweites Verkaufswunder in den großen Märkten, bezahlt vom Staat.

Von Christoph Hein

Dank der Stärke Chinas und Indiens wollten die deutschen Automobilhersteller durch die Krise segeln: Die beiden letzten großen Wachstumsmärkte der Erde sollten Umsatz und Gewinn sichern. Nun rechnen die Stabsabteilungen und Konzernstrategen neu. Denn die Verkaufsprognosen schmelzen wie Butter in der Tropensonne. Im Januar hatte es geheißen, Chinas Automobilabsatz werde in diesem Jahr um bis zu 15 Prozent zulegen. Nun hat Chinas Herstellerverband seine Prognose zum zweiten Mal in nur drei Monaten kassiert. Die Auslieferungen würden in diesem Jahr um weniger als 5 Prozent steigen, heißt es derzeit. Das gleiche Bild in Indien: Der Industrieverband geht nun nur noch von einer Wachstumsrate zwischen 2 und 4 Prozent in diesem Jahr aus. Zu Jahresbeginn hatte die Inder noch von 18 Prozent geschwärmt.

Der Kälteeinbruch kommt plötzlich: Im vergangenen Jahr hatten Peking und Neu Delhi den Fahrzeugabsatz noch mit Steuernachlässen 32 Prozent und 30 Prozent aufgeblasen. 

Einmal mehr zeigt sich jetzt, dass die neue Mittelschicht Asiens zwar Autose will, aber rechnen kann. Sie kauft nur dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In China und Indien stimmen sie nicht (mehr). Die Inflation legt deutlich zu, die Linsen, Reis und Hühnchen werden im Tagesrhythmus teurer, die Straßen sind verstopft, die Treibstoffpreise steigen. Da verhalten sich Inder und Chinesen nicht anders, als der Golf-Käufer in Deutschland: Er wartet ab. Unter solchen Bedingungen wurde auch das logistisch missratene Projekt des Kleinstwagens für die indische Landbevölkerung zum Rohrkrepierer: Der Tata Nano, anfangs noch als mindestens so revolutionär wie das I-phone gefeiert, ist ein Ladenhüter.

Und die Deutschen? Daimler drängt in Indien und China mit neuen Nutzfahrzeugprojekten an den Markt. Nicht ausgeschlossen, dass die Stuttgarter wie schon so oft in der Vergangenheit auch diesmal beim Timing falsch liegen. Denn zumindest in Indien kommen sie mit dem ambitionierten Projekt des Bharat-Benz genau zu dem Zeitpunkt, wo die Kreditzinsen so hoch stehen wie selten zuvor. Ohne eine passende Finanzierung aber wird kein Firmenchef seinen buntlackierten Tata oder Ashok-Leyland verschrotten, um auf einen abgespeckten Lastwagen einer noch unbekannten Marke mit Ursprung in Stuttgart umzuschwenken.

Volkswagen fuhr mit dem Versuch vor die Wand, sich in Indien von Marktführer Suzuki aufpeppeln zu lassen. Die Japaner zeigten den Wolfsburgern die kalte Schulter, die erhoffte Entwicklungspartnerschaft scheiterte auf der Ebene des Spitzenmanagements, noch bevor die ersten Ingenieure überhaupt die Köpfe zusammensteckten. Ohne erfolgreiche Kleinwagen aber ist im verstopften Indien kein Boden gut zu machen. Hohe Einfuhrzölle und Luxusabgaben in ganz Asien schmerzen die Deutschen zudem. Die Konkurrenten aus Japan haben dank bilateraler Freihandelsabkommen etwa mit Thailand zumindest in einigen Märkten einen Preisvorteil. Und sie waren sich nie zu schade, geeignete Produkte zu bauen, vom Kleinstwagen bis zum Pick-up.

Allerdings sind die Deutschen beim Verkauf von Limousinen erfolgreich. Denn in der größten und der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens gilt das Automobil weiterhin als Statussymbol. In China darf der Wagen länger sein, in Indien muss auch der Audi-Händler eine Limone unter die Stoßstange der Limosine binden. Sie soll vor bösen Geistern schützen. Die Deutschen haben sich dem lokalen Riten und Wünschen längst angepasst. Ihre hochfliegenden Träume aber werden auch sie in diesem Jahr nicht erfüllen können. Einen Ausgleich für krankende Märkte in Amerika und Europa kann Asien nur dann bieten, wenn die Politik noch einmal kräftig anschiebt – danach aber sieht es nicht aus.

Weil die Hersteller in China und Indien mit wachsenden Hürden kämpfen, sprechen sie immer lauter über den allerletzten Wachstumsmarkt Asiens – den Südosten der Region. Dort stehen mit Indonesien, Thailand und Malaysia drei Märkte für gut 85 Prozent Absatz in den insgesamt zehn Ländern des Asean-Bundes. Verkalkuliert hatten sich hier in erster Linie heimische Hersteller, wie Proton in Malaysia. Sie erinnern sich? Das Regierungsfahrzeug Malaysias, dessen Hersteller in seiner Not über Jahre bei allen deutschen Produzenten um Hilfe anklopfte.

Die Automobildichte in Südostasien liegt schon heute bei 44 Einheiten je eintausend Einwohner. Zum Vergleich: Dank Deutschlands Autobahnen und gefüllter Lohntüten liegt sie im Ursprungsland des Automobils bei 566 Einheiten, in China bei 30, in Indien bei zwölf Einheiten. Seit 1998 aber stieg der Fahrzeugabsatz in den Asean-Staaten um durchschnittlich 18 Prozent im Jahr. Und die Deutschen? Sie stehen für gerade einmal ein Prozent des Automobilverkaufs in den südostasiatischen Ländern. Die Konkurrenten aus Japan halten in Indonesien oder Thailand dagegen gut 80 Prozent der Märkte. „Diese Region ist offensichtlich noch kein richtiger Fokus-Markt für die deutsche Automobilindustrie”, stellt die Deutsche Bank ebenso lakonisch wie richtig fest. Dabei sollte die Zahl der Automobile in Südostasien von derzeit 26 Millionen auf 40 Millionen bis 2015 steigen. Werden sich die Deutschen davon ihre Scheibe abschneiden? Ansätze schon in den achtziger Jahren scheiterten, als Mercedes-Benz versuchte, in Vietnam Fuß zu fassen. Denn genauso wenig wie die Inder wollten die Vietnamesen veraltete Modellreihen der Deutschen kaufen. Heute sind die Japaner als Hersteller in Südostasien fest verankert, die Deutschen bleiben Nischenanbieter.  

Ob das eine weitere deutsche Offensive in Südostasien ändert, ist fraglich. Eines allerdings bleibt unbestritten: Dieses eine Prozent am Absatz in Südostasien ist Margen-stark: So stellte Audi während des Formel-1 Rennens in Singapur seinen R8 im Edelhotel Fullerton aus. Noch am ersten Abend wurde er verkauft, per Handschlag. Der Scheck folgte umgehend.