Akte Asien

Wenn die Chinesen Rabatz machen. Oder: Was der Lufthansa-Partner Air China von Hainan Airlines lernen kann

Chinas Flugverbindungen gehören zu den unzuverlässigsten der Welt, besonders heikel ist die Lage in Peking. Nach Angaben von Flight-Stats, einem Dienst zur Auswertung von Flugdaten, starten dort nur 38 Prozent der Maschinen planmäßig. Damit gilt der Flughafen als derjenige mit den meisten Abflugverspätungen der Welt. Trotz der Eröffnung eines neuen Terminals zu Olympia 2008, das die Anlage zur zweitgrößten der Welt machte.

Für die Verspätungen gibt es viele Gründe, der wichtigste dürfte sein, dass die Luftwaffe bis zu 80 Prozent des Himmels über China blockiert. Der zivile Luftraum ist schlichtweg zu eng für das stark steigende Passagier- und Frachtaufkommen.

Selbst offizielle Stellen in China gestehen ein, dass die Verlässlichkeit der Flugverbindungen abnimmt. Nach Angaben der Zivilen Luftfahrtverwaltung CAAC betrug die Pünktlichkeit der acht wichtigsten Fluggesellschaften 2010 rund 76 Prozent. Fünf Jahren zuvor waren es noch 82 Prozent.

Dass die CAAC die Linien dennoch zu den planmäßigsten der Welt zählt, hat einen methodischen Grund: In China gelten die Abflugzeiten als eingehalten, wenn die Flugzeugtüren rechtzeitig schließen. Deshalb warten viele vollbesetzte Maschinen auf dem Vorfeld und den Rollbahnen. International üblich ist hingegen, dass die Flugzeuge spätestens 15 Minuten nach der angegebenen Zeit starten müssen.

Flugreisende in China sind leidgeprüft. Sie nehmen deshalb bei wichtigen Terminen lieber eine frühere Verbindung, oder sie ertragen das ewige Warten mit stoischer Ruhe, langen Telefonaten und Videospielen.

Doch selbst die chinesische Geduld hat ein Ende, wie unsere Erfahrung vor wenigen Tagen in Xining gezeigt hat, der Hauptstadt der chinesischen Westprovinz Qinghai. Der Abendflug mit Hainan Airlines nach Peking sollte eigentlich um 18 Uhr starten. Dann hieß es, es werde eher 20 Uhr. Nach vielen weiteren Vertröstungen stand die Maschine schließlich gegen 1 Uhr nachts bereit. Als Entschädigung für die Misshelligkeiten erhielt jeder Passagier am Flugsteig 200 Yuan in bar ausgezahlt, etwa 23 Euro oder 12 Prozent des Flugpreises.

Für chinesische Verhältnisse ist das eine unerhört großzügige und unbürokratische Geste des Bedauern und der Kundenorientierung. Doch ging sie vielen Fluggästen nicht weit genug. Während die eine Hälfte an Bord Platz nahm, blieb die andere im Warteraum zurück. „Eine Frechheit ist das, uns so abzuspeisen”, rief einer. „Wir wollen mehr!”, fauchte ein anderer. Wer dazwischen das Geld in Empfang nahm und die Gangway betrat, fühlte sich ein wenig wie ein Streikbrecher.

Nach fast sieben Stunden Ausharren auf das Flugzeug, warteten wir jetzt eine weitere Stunde auf die Dickköpfe im Terminal. Die Schimpftiraden draußen mischten sich mit einem ersten Grummeln von denen, die nun endlich, endlich nach Hause wollten. Bevor die Sache eskalierte, bezogen die fehlenden Passagiere ihre Plätze, und es ging doch noch los.

In Peking angekommen, bekam man in der Gepäckhalle nicht nur die Koffer ausgehändigt, sondern – quelle surprise! – weitere 200 Yuan von der Fluggesellschaft. Das war offenbar der Preis, der die Sitzstreikenden im Wartesaal dazu bewogen hatte, letztlich doch einzusteigen. Wer diesen Schneid, sich zu widersetzen, nicht aufgebracht hatte, fühlte sich in diesem Moment zwar ein bisschen schäbig, nahm das Geld aber dennoch gern an. Auch in China schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul.

Der Vorfall sagt Einiges darüber aus, dass sich einige weltgewandte Unternehmen wie Hainan Airlines – die zwischen Peking und Berlin direkt verkehren – immer mehr den internationalen Gepflogenheiten in Service und Kundenorientierung annähern. Vom Wettbewerber und Lufthansa-Partner Air China kann man das leider nicht sagen. Der zivile Ungehorsam der Fluggäste zeigt überdies, dass sich die Konsumenten nicht mehr alles gefallen lassen. In Ermangelung gesetzlicher Ansprüche oder deren Durchsetzbarkeit nehmen sie den Verbraucherschutz immer häufiger in die eigenen Hände.

Dabei geht es zuweilen auch handgreiflich zu. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, in denen Protestler mit Rangeleien, Besetzungen oder Sachbeschädigungen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Oft geht es dabei um vermeintliche Übergriffe der Staatsmacht, um Enteignungen oder um Umweltsünden von Unternehmen.

Wie am Flughafen von Xining gehen die Demonstranten nicht selten als Sieger vom Platz. Kürzlich setzte ein Massenauflauf in der Hafenstadt Dalian östlich von Peking durch, dass eine angeblich toxische Chemiefabrik geschlossen werden musste. In der Ostprovinz Zhejiang südlich von Schanghai stürmten im September aufgebrachte Dorfbewohner eine Fabrik des Solarkonzerns Jinko. Sie bezichtigten das Unternehmen, für das Fischsterben in den nahegelegenen Gewässern verantwortlich zu sein. Die Polizei nahm 20 Randalierer fest. Doch letztlich wurde das Werk geschlossen und erst wiedereröffnet, nachdem sich die Leitung zu einer besseren Abfallentsorgung verpflichtet hatte.

China ist noch weit davon entfernt, eine Servicegesellschaft zu sein. Noch viel weniger ist es ein Land mit Protestkultur, Bürgerpartizipation und Abwehrrechten gegen die Mächtigen in Staat und Wirtschaft. Aber immer deutlicher artikulieren auch hier die Menschen ihren Unmut und setzen ihre Interessen selbst gegen Widerstände durch.

Das ist gut und richtig, zumal dann, wenn es gewaltfrei bleibt. So wie neulich am Flughafen von Xining.

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