Inselvölker glauben gern von sich, sie seien anders als andere. Wer jemals einen Briten gefragt hat, ob er sich als Europäer fühlt, weiß, dass diese Aussage einen wahren Kern enthält. Und Japaner empfinden sich noch stärker als einmalig in einer Welt, die ihnen mit der Globalisierung zunehmend als Bedrohung erscheint. Das spektakuläre Scheitern von Michael Woodford, dem smarten Briten, der am 1. April Vorstandschef des Optik-Konzerns Olympus wurde, zeigt, dass es kulturelle Differenzen zwischen Japan und dem Westen wirklich gibt. Ausländer im Vorstand, gar an der Spitze, eines japanischen Unternehmens sind nach wie vor eher die Ausnahme. Auch der Chef des weltgrößten Autobauers Toyota, Akio Toyoda, antwortete auf die Frage, ob zur neuen globalen Strategie Toyotas nicht auch ein Ausländer im Vorstand gehöre, nur kurz: „Das ist noch verfrüht.”
Woodford als Olympus-Chef war einer der seltenen Fälle. Er sollte das japanische Unternehmen fit machen für den globalen Wettbewerb und über jahrzehnte gewachsene Besitzstände aufbrechen. Nach nur einem halben Jahr ist jetzt Schluss. So offen wie Olympus hat es ein japanisches Unternehmen wohl noch nie formuliert, warum es mit einem Mann aus dem Westen nicht klappte. „Kulturelle Differenzen” seien der Grund für den Rausschmiss des Briten, der von sich selber sagt: „Ich kann meinungsstark, großmäulig, dickköpfig und direkt sein.” Alles keine Eigenschaften, die in Japan als vorbildlich gelten.
Der Fall Woodford weist auf ein strategisches Dilemma der großen, exportorientierten Unternehmen Japans hin. Mit voranschreitender Globalisierung müssen sie sich öffnen, auch kulturell. Die Zeiten sind vorbei, wo vor allem in Japan produziert und von dort aus exportiert wird. Öffnung gegenüber Fremdem? Das fällt vielen Japanern schwer. Auch wenn die großen Städte des Landes, Tokio, Osaka oder Nagoya, an der Oberfläche modern erscheinen, unter der Oberfläche haben die feudalen Strukturen des Landes in einem Maße überlebt, wie es sich Ausländer auf den ersten Blick kaum vorzustellen vermögen. Der 51 Jahre alte Engländer Woodford arbeitet seit 30 Jahren für das Unternehmen, war aber bislang nur auf dem europäischen Markt für Olympus tätig. Bevor er nach Tokio kam, hat Woodford an der Spitze der Europa-Zentrale maßgeblich dazu beigetragen, das Unternehmen in Europa wettbewerbsfähig zu machen. Auch deswegen erschien der Brite dem Vorstand in Tokio im Februar der ideale Kandidat dafür zu sein, Olympus als neuer Vorstandschef für den globalen Wettbewerb fit zu machen. Führungsstärke, effektive Management- und Entscheidungsstrukturen, das waren die Eigenschaften, die Aufsichtsratschef Tsuyoshi Kikuwa damals bei der Entscheidung für Woodford besonders hervorgehoben hat.
Kikuwa war Woodfords Vorgänger. Er hat den Briten auf den Chefsessel gehievt. „Wir hofften, er würde leisten, was einem japanischen Chef schwerfällt”, sagt Kikuwa. Kostensenkung, Personalabbau, Umstrukturierungen; alles das, was in der auf Konsens ausgerichteten japanischen Gesellschaft, in der die soziale Verantwortung der Unternehmen für ihre Beschäftigten eben auch noch aus feudalem Denken und Fürsorge gespeist ist, schwer fällt, sollte Woodford durchsetzen. Der Brite hatte oft genug geklagt, japanische Unternehmen beharrten viel zu stark auf dem Status quo. Wolle man eine Abteilung schließen, sei der Widerstand bis in die Spitze enorm. Spielte er damit auf die Kamera-Abteilung an? Für seine japanischen Kollegen gehört sie bis heute zum Image von Olympus, mag sie auch nur noch Verluste einfahren. Woodford war da weniger sentimental.
Jetzt wird Kikuwa, der Woodfords Vorgänger als Vorstandschef war, auch wieder sein Nachfolger. Der Brite darf sich zwar weiter Direktor nennen, verliert aber jede Entscheidungsmacht. Bei der entscheidenden Sitzung war er als einziger nicht stimmberechtigt, er durfte sich nicht einmal verteidigen. Woodford war den japanischen Managern in Tokio offenkundig zu entscheidungsfreudig. „Er hat unsere Organisationsstrukturen ignoriert und Entscheidungen allein aufgrund seiner eigenen Einschätzungen getroffen”, rügte Kikuwa gleich nach dem Sturz Woodfords auf einer Pressekonferenz. Der Brite habe sich schlicht nicht an die japanische Kultur, an die Entscheidungsprozesse in japanischen Großunternehmen angepasst. „Er konnte die kulturelle Barriere zu Japan und zu einem japanischen Unternehmen nicht überwinden.” Woodford gab in der kurzen Zeit, die er an der Spitze von Olympus stand, immer mal wieder Anweisungen an Führungskräften vorbei und entschied wichtige Fragen, ohne vorher langwierige Konsensberatungen mit seinen Vorstandskollegen abzuhalten. „Ich habe ihm wiederholt gesagt, dass er das nicht machen kann”, sagt Kikuwa. „Aber er wollte nicht hören.”
Vielen mag es übertrieben erscheinen, die kulturellen Unterschiede so hoch zu bewerten. Doch in Japan gehen die Uhren wirklich anders. Kaum jemand weiß das besser als Parissa Haghirian, die Management an der Sophia-Universität in Tokio lehrt. Im Westen steht es hoch in Kurs, individuell Verantwortung zu übernehmen. „In Japan ist das genau entgegengesetzt”, sagt sie. Das nimmt dem Einzelnen die Verantwortung, Ziele werden gemeinsam aber auch mit mehr Nachdruck verfolgt. Vielen japanischen Managern liegt der Hauruck-Stil ihrer Kollegen aus dem Westen nicht. Der Glaube, dass die Gruppe stärker ist als das Individuum, dass einsame, mit Druck durchgesetzte Entscheidungen selten zum Erfolg führen, ist ausgeprägt.
Hinzu kommt, dass Englisch zwar als Weltsprache gilt – aber mit Gewissheit bis heute nicht in Japan. Bis ins Management großer japanischer Unternehmen hinein, hapert es deswegen oft mit der Kommunikation, denn auch Japanisch lässt sich von den nach Tokio übergesiedelten Managern nicht mal eben so neben dem Job in zwei, drei Jahren lernen. Der in Büchern so oft beschriebene „Kulturschock” gehört in Japan für Westler zur praktischen Alltagserfahrung. Dem wiederum scheint sich Woodford auch nicht in dem Maße ausgesetzt zu haben, wie es von ihm erwartet worden ist. Er habe gerade mal 40 Prozent seiner Arbeitszeit in Japan verbracht, nicht mal die Hälfte dessen, was die Japaner erwartet hatten von einem, der Verantwortung übernimmt, heißt es.
Wie weit Kikuwa selbst an der Entmachtung Woodfords beteiligt war, ist unklar. Sicher ist aber, dass frühere Vorstandschefs in japanischen Unternehmen als graue Eminenz gerne weiter die Strippen ziehen. Woodford nährte die Spekulationen über Kikuwa als eigennützigen Strippenzieher in einem Gespräch mit seinem Heimatblatt „Financial Times”. Da ließ er durchblicken, während der Zeit Kikuwas als Vorstandschef habe es finanzielle Unregelmäßigkeiten gegeben. Dem sei er auf die Schliche gekommen, das sei der wahre Grund für seinen Sturz. Olympus dementierte prompt. Dass in der japanischen Kultur des Gebens und Nehmens vielleicht das eine oder andere Geschäft von Woodford anders abgewickelt worden wäre, darf man dennoch als gewiss annehmen.
Die Nachricht vom Sturz Woodfords kam einen Tag nachdem Goldman Sachs zum Kauf von Olympus-Aktien geraten hatte. Gerade weil der neue Chef als Garant für Kostensenkung und mittelfristig wirkende Änderungen in der Geschäftsstrategie von Olympus stand, haben die Analysten sein Wirken an der Spitze des Unternehmens positiv bewertet. Die Börse reagierte prompt. Nach dem die Neuigkeit vom Sturz Woodfords in der Welt war, verlor die Aktie 14 Prozent. Und die Talfahrt geht weiter. Zum Wochenbeginn war Olympus 24 Prozent weniger wert, und die Gewinnaussichten des Unternehmens haben sich aus Sicht der Finanzmärkte spürbar verdunkelt. Die Anleger hätten es wohl lieber gesehen, wenn sich die Olympus-Manager Veränderungen gegenüber etwas aufgeschlossener gezeigt hätten.