Welche Schmach für die französische Küche. Die Feinschmecker dieser Welt haben ein neues Paradies gefunden: Japan! Die Gourmets des Michelin-Restaurantführers führen zwischen Tokio und Kyoto jetzt mehr Drei-Sterne-Restaurants als in Frankreich. Dabei gibt es die Feinschmecker-Führer erst für zwei Regionen Japans, für die Hauptstadt Tokio und für die Region Kansai mit ihren Städten Kyoto, Osaka, Nara und Kobe. Hunderte Restaurants von der nördlichsten Insel Hokkaido (bekannt für seinen frischen Fisch) bis zum gegenüber Südkorea gelegenen Kyushu harren noch der Entdeckung. Und viele der Köche in der japanischen Provinz stehen denen in Tokio oder Osaka in nichts nach. Japans Köche werden wohl so schnell nicht wieder vom Thron zu stoßen sein.
Japans Spitzenrestaurants haben ihre französischen Kollegen jetzt quasi amtlich überrundet, als dieser Tage der neue „Michelin 2012″ für Kyoto, Osaka, Kobe und Nara vorgestellt wurde. Neben der alten Kaiserstadt Kyoto und der quirligen Handelsstadt Osaka schwärmten die Restauranttester dafür erstmals auch nach Nara aus. Viele Japaner hat es köstlich amüsiert, dass ausgerechnet mit Köchen aus Nara der Thron der Feinschmeckerküchen dieser Welt erklommen wurde. „Nara, ausgerechnet Nara”, lästert Michiko Tanabe. Tanabe, eine erfolgreiche Geschäftsfrau, liebt es, abends gerne gut und teuer zu essen. Sie sieht sich als Feinschmeckerin, die nach eigenen Angaben alle Drei-Sterne-Restaurants in der Hauptstadt Tokio schon selber getestet hat. Nara ist bei Japanern berüchtigt – für seine schlechte Küche. Diesen schlechten Ruf verdanken die Köche der Region dem Schriftsteller Naoya Shiga. Shiga war zu seiner Zeit ein bekannter Autor. Und er war ein ruheloser Geist. Bis zu seinem Tod 1971 ist er innerhalb Japans mehr als 20 mal umgezogen. Und immer hat er natürlich auch über die Region geschrieben, in der er gerade lebte. „Es gibt wirklich kein gutes Restaurant in Nara”, lautete sein vernichtendes Urteil. Und weil Shiga bekannt war, verbreitete sich dieses Urteil schnell über das ganze Land.
„Dieses Image ist jetzt vorbei”, freute sich ein städtischer Angestellter, als jetzt der neue Michelin-Führer erschien. 25 Restaurants der Stadt haben im ersten Anlauf Sterne bekommen, eines sogar drei. „Man kann also wirklich sagen, in Nara kann lässt es sich hervorragend essen”, schwärmte Bernhard Delmas, der Präsident von Michelin-Japan, bei der Vorstellung des neuen Restaurantführers. „Ich habe zuerst gedacht, das ist ein Witz”, berichtet Bobuhara Yamamura, der 58jährige Eigentümer und Chefkoch des „Wa Yamamura” in Nara, als er hörte, die gestrengen Tester hätten ihm drei Sterne zuerkannt. Damit gehört er laut Michelin zu den besten Köchen der Welt. Allein ein Essen im „Wa Yamamura” lohnt nach Ansicht der Feinschmecker, den weiten Weg nach Japan anzutreten. Insgesamt bringen es die vier großen Städte der Kansai-Region, Osaka, Kyoto, Kobe und Nara, auf 15 Restaurants mit drei Sternen, 61 mit zwei Sternen und 224 mit einem Stern. Und die Gewinner sind zum größten Teil keineswegs Häuser, in denen französische Haut Cuisine gepflegt sind. 90 Prozent der ausgezeichneten Häuser bieten traditionelle japanische Gerichte. Das reicht von den mehrgängigen Kaiseki-Menues – die Sushi bieten, wie farbenfroh angerichtetes Gemüse, gekochten Fisch, Sashimi der Saison und die obligatorische Miso-Suppe – bis hin zu den Restaurants, die sich auf Soba, Buchweizennudeln, spezialisiert haben. „Japan ist ein einmaliges Land, wo es in vielen Städten ein sehr hohes Niveau der Küche gibt”, sagt Delmas. 29 Restaurants mit drei Sternen führt Michelin jetzt in Japan, vier mehr als in Frankreich.
Warum ist die japanische Küche so herausragend? Das hat sehr viel damit zu tun, dass sich gute japanische Restaurants viel stärker spezialisieren. Das Restaurant, das „die japanische Küche” komplett abdeckt, ist eher die Ausnahme. Man spezialisiert sich. Der eine Koch zaubert perfekte Kaiseki-Menüs, der Nachbar gehört vielleicht zu den besten Gaststätten, in denen roher Fisch, Sashimi und Sushi, kunstvoll angerichtet wird. Zwei Straßen weiter gibt es dann einen Spezialisten für Kugelfisch-Gerichte. In Deutschland ist diese Delikatesse verboten. In Japan haben die Köche eine Spezialausbildung, denn wird die Leber des Fischs auch nur leicht angeritzt, kann die ganze Mahlzeit schnell zum tödlichen Gift werden. Und wiederum zwei Straßen weiter hat sich der Koch vielleicht auf Buchweizennudelsuppen, Soba, spezialisiert. Spezialisierung sorgt dafür, dass die Qualität steigt.
Zudem gehen Japaner gerne gut essen und achten dabei sehr auf die Qualität. Selbst im einfachsten Landgasthaus isst zudem das Auge mit. „Es muss nicht nur schmecken, der Koch muss auch zeigen, dass er das Essen angenehm für das Auge präsentiert”, sagt Tanabe. Außerdem gibt es in Japan viel mehr Restaurants als anderswo. 160000 sind es allein in Tokio. Zum Vergleich: In Paris sind es rund 13000, in New York 25000. Die Michelin-Tester haben damit einfach viel mehr Restaurants, aus denen sie die besten aussuchen können. Zudem ist gutes Essen wichtig für die meisten Japaner. Die Restaurants sind nicht billig, da muss die Qualität stimmen.
Tokio mit seinen vielen Restaurants, seinen 30 Millionen Einwohnern und einer sehr ambitionierten Lebensmittelindustrie war auch der Grund, warum die Tester von Michelin 2008 den Sprung nach Japan wagten. Schon der „Guide Michelin 2008″, damals nur für Tokio, war eine einzige Liebeserklärung an die japanische Küche. Tokio war die erste Stadt außerhalb Europas und Amerikas, der sich die französischen Feinschmecker zuwandten. Stolze 191 Sterne verliehen die strengen Tester damals im ersten Anlauf, fast doppelt so viele wie in Paris und drei Mal so viele wie in New York. Acht Lokale brachten es damals in Japans Hauptstadt auf drei Sterne. Im „Michelin Guide 2011″ für Tokio und die benachbarten Hafenstädte Yokohama und Kamakura erhöhte sich die Zahl schon auf 14 Restaurants mit drei Sternen
Yamamura, der Überraschungssieger aus Nara, hat sich erst 2003 mit seinem eigenen Restaurant selbständig gemacht. Vorher arbeitete er fast 30 Jahre lang in großen japanischen Hotels. „Es ist immer gespottet worden, dass wir mit Osaka oder Kyoto nicht mithalten können”, sagt er, aber vor allem junge Köche würden heute im ganzen Land sehr viel Wert darauf legen, die Kunden mit herausragender Qualität zu gewinnen. Toshihiko Furuta, Inhaber des japanischen Zwei-Sterne-Restaurants „Hanagaki” in Nara hofft, dass der „Michelin” auch hilft, die ausländischen Gäste, die nach dem Erdbeben vom 11. März das Land meiden, wieder nach Japan zu locken. „Wir haben hart daran gearbeitet, der Welt zu zeigen, wie gut die japanische Küche sein kann.”
Und schon bald wird der Abstand Frankreichs zu Japan vielleicht noch größer werden. Mitte Dezember stellt Michelin seinen neuen Restaurantführer für Tokio und Umgebung vor. Dann werden erstmals auch Restaurants aus Shonan, einer beliebten Ausflugsregion der Tokioter, getestet. Vielleicht gibt es dann auch bald Michelin-Führer für Hokkaido, für Kyushu, für Okinawa und für Shikoku – oder für die vom Erdbeben am 11. März so schwer zerstörte Region Tohoku. Für die Feinschmecker von Michelin gibt es in Japan noch viel zu entdecken. Es sieht so aus, als wenn die französischen Köche ihre japanischen Kollegen nicht so schnell wieder vom Thron stoßen könnten.