Akte Asien

Der Marathonmann. VW-China-Chef Neumann läuft sich für die Winterkorn-Nachfolge warm

Bild zu: Der Marathonmann. VW-China-Chef Neumann läuft sich für die Winterkorn-Nachfolge warmEin Mann mit Ausdauer. Am Vorabend hat Karl-Thomas Neumann auf der Automesse in Guangzhou (Kanton) die VW-Group-Night gefeiert, am Tag danach empfängt er schon um 7.30 Uhr zur Pressekonferenz. Es ist nicht seine erste Aktivität am frühen Morgen. Zuvor ist der begeisterte Marathonläufer bereits durch Kanton gejoggt, unter anderem an einem nagelneuen Stadion vorbei. „Ich bin immer wieder beeindruckt von der Dynamik hier”, sagt der China-Chef des Volkswagenkonzerns zu den schläfrigen Journalisten.

Es ist genau diese Dynamik, die VW in China reich gemacht hat und die Neumann in den wichtigsten Job katapultieren könnte, den die europäische und bald auch die weltweite Automobilindustrie zu vergeben hat: den des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG.

Zwar will Amtsinhaber Martin Winterkorn das Steuerrad so schnell nicht abgeben. Aber sobald die Integration von Porsche in die Gruppe verkraftet ist, dürfte der heute Vierundsechzigjährige den Weg freimachen. Der Stabwechsel wird spätestens erfolgen, wenn VW an Toyota vorbeigezogen und zum größten Autokonzern der Welt geworden ist. Das soll 2018 passieren, könnte aber auch deutlich schneller gehen.

Neumann hat Zeit, und er ist fit. Der promovierte Elektrotechniker ist gerade einmal 50 Jahre alt. Erst Ende 2009 – nach fünf Jahren beim Zulieferer Continental, zuletzt als Vorstandsvorsitzender – kam er zu VW zurück. Das Chinageschäft übernahm er vor etwas mehr als einem Jahr. Natürlich äußert er sich zu seinen Ambitionen nicht, und natürlich ist er nicht der einzige Aspirant. Im Ausland werden unter anderem Skoda-Chef Winfried Vahland Chancen eingeräumt. Er ist etwas älter als Neumann und war in China dessen Vorgänger.

China, immer wieder China. Die Erfolge der Wolfsburger fallen und stehen mit dem Fernostgeschäft. Mit rund 28 Prozent vom Gesamtabsatz ist China das mit Abstand wichtigste Land für die Gruppe. Jeder dritte Personenwagen der Marke VW wird im Reich der Mitte verkauft und jeder vierte Audi. Auch für die anderen Konzernteile wird die Volksrepublik immer wichtiger, für Skoda, Bentley, Lamborghini, Bugatti, Porsche. Als letzte Pkw-Marke wird in China jetzt Seat eingeführt. Der Import aus Europa soll die unausgelastete Fabrikation in Spanien wiederbeleben.

Die Aussichten dafür sind gut. An die Wachstumsraten in China reicht kein anderer Markt heran. 2008, nach mehr als 20 Jahren im Land, verkaufte der Konzern hier eine Million Fahrzeuge. 2011, also nur drei Jahre später, soll die zweite Million geknackt werden. Der Riesenmarkt bringt nicht nur Volumen ein, sondern auch Geld. Die Margen gelten als deutlich höher als in den Industrieländern. Das führt dazu, dass die beiden Gemeinschaftsunternehmen, die VW mit SAIC und FAW in China unterhält, das größte Investitionsprogramm stemmen können, das es in der deutschen Industrie je gegeben hat: Zwischen 2012 und 2016 fließen 14 Milliarden Euro aus den in China erwirtschafteten Mitteln in neue Werke und Modelle.

Das Vielversprechende am Absatz in Fernost ist die weite Käuferspanne. Die kompakten Seat-Modelle haben hier ebenso Platz wie das wahrscheinlich schnellste und teuerste Serienmodell der Welt, der Bugatti Veyron. Er kostet in Deutschland 1,3 Millionen Euro. In China ist er fast doppelt so teuer, trotzdem wird VW in diesem Jahr fünf davon hier verkaufen. Für den Bentley Continental GT oder den Lamborghini Aventador wird das Land in Kürze der Hauptmarkt sein, für den Phaeton gilt das jetzt schon. Gut die Hälfte der jährlich 7500 in der Gläsernen Manufaktur in Dresden gefertigten Limousinen gehen nach China, 2012 sollen es zwei Drittel sein.

So großartig die Zahlen sind, so verstörend können sie auch sein, wenn man die große Abhängigkeit der deutschen Autoindustrie berücksichtigt. Denn nicht nur VW, sondern auch BMW und Mercedes wachsen nirgendwo stärker. Für sie wird China in absehbarer Zeit ebenfalls das wichtigste Absatzgebiet sein. Dem Automobilverband VDA zufolge setzen die deutschen Hersteller inzwischen ein Fünftel mehr Autos in China ab als in der Heimat.

Das könnte dann zum Bumerang werden, wenn der Markt in China dreht. Nichts spricht im Moment dafür, dass es große Rückgänge geben wird, aber das Wachstum flacht sich spürbar ab. Die deutschen Hersteller trifft das weniger als die einheimischen, und doch bekommen auch sie die Abkühlung zu spüren.

Neumann gibt sich gelassen. Zum einen spreche die geringe Marktdurchdringung von nur 72 Pkw je 1000 Einwohner dafür, dass das Wachstum hoch bleibe; in Amerika oder Deutschland seien es 500 Autos. Zum zweiten verkauften sich VWs hochqualitative Produkte auch in schwierigeren Zeiten besser als minderwertige, wie man in Peking sehe. Dort habe die Begrenzung der Zulassungen VW weniger geschadet als anderen. Zum dritten liege die geplante Produktionserweiterung unterhalb des erwarteten Wachstums, so dass man keinesfalls auf Überkapazitäten zusteuere.

All das mag richtig sein, schützt aber in China vor Überraschungen nicht. Der Hauptwettbewerber General Motors (GM), der im Verkauf aller Fahrzeugarten noch vor VW liegt, erlebt eine solche gerade mit seiner Lieferwagenmarke Wuling. Nach dem Wegfall staatlicher Kaufanreize ist der Absatz der Minivans, von dem weite Teile des GM-Gesamtvolumens abhängen, massiv zurückgegangen. Nur über saftige Preisabschläge ließ sich der freie Fall aufhalten, der Gewinn je Fahrzeug soll nahe Null sein. Das bei der deutschen Industrie gern gehörte Argument, die staatlichen Joint-Venture-Partner würden schon dafür sorgen, dass alles gut gehe, galt hier offenbar nicht: der GM-Partner bei Wuling heißt ebenfalls SAIC.

Neumann steht bei VW nicht nur für den Markt China, sondern für einen weiteren Hoffnungsträger: die Elektrofahrzeuge. Vor seiner Asienberufung bekleidete er das neu geschaffene Amt des „Konzernbeauftragten für Elektro-Traktion”. In Peking kann er daran anknüpfen, denn China will zum wichtigsten Standort für neue Antriebstechniken werden – und VW strebt darin wiederum die Marktführerschaft an. 2020 sollen in China 5 Millionen Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotoren unterwegs sein. Zu den dann jedes Jahr zu verkaufenden 1,5 Millionen möchte VW 300.000 beisteuern.

Doch was für den Gesamtmarkt gilt, gilt auch für dieses Spezialsegment: Selbst mit Stäbchen wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird! China und mit ihm die abhängige internationale Automobilindustrie ist angetreten, die Volksrepublik innerhalb kürzester Zeit zum Vorreiter in der E-Mobilität zu machen. Bisher ist daraus nichts geworden. Selbst Neumann gibt zu, dass auf Chinas Straßen nur 4000 E-Autos unterwegs sind, einschließlich der Busse sind es gerade einmal 10.000 Fahrzeuge.

Das ehemalige Vorzeigeunternehmen BYD hat keines seiner Versprechen zur Markteinführung eines Stromvehikels rechtzeitig eingehalten. Besser soll es mit dem Partner Daimler laufen, mit dem BYD in Shenzhen eine eigene Marke gegründet hat. Die Regierung, die die ausländischen Hersteller und Zulieferer bei der Entwicklung der E-Mobilität mächtig unter Druck setzt, scheint enttäuscht. Kürzlich beklagte Premierminister Wen Jiabao, dass sich die Entwicklung hinziehe und nicht klar sei, ob Hybrid- oder Elektrofahrzeuge die bessere Lösung seien.

Diese Zweifel trafen die Ausländer, wie Neumann freimütig bekennt, wie ein „Schock”. VW habe sich gefragt, ob die Regierung jetzt einen Strategiewechsel einleite. Es sei aber wohl eher so, dass „mehr Realismus” einziehe: „Die Vorstellung, dass Elektromotoren schnell Verbrennungsmotoren in Autos ersetzen werden, wird so schnell nicht wahr werden.” Die Kosten seien noch zu hoch, die Volumina zu gering, manche Schwierigkeiten in der Technik und Infrastruktur bisher nicht gelöst.

Möglicherweise könnten also zwei der Trümpfe in China, das schnelle Marktwachstum und das Bekenntnis zu grünen Antrieben, in Zukunft nicht ganz so erfolgreich stechen wie erhofft. In der Eisenbahntechnik zeigt sich bereits, was passiert, wenn China seine Prioritäten verschiebt. Nach Unfällen, Korruptionsskandalen und Schuldenexzessen hat die Regierung das Hochgeschwindigkeitsprogramm stark gebremst – mit negativen Folgen für die deutsche Bahnindustrie.

Für Neumanns Zukunft in der Chefetage des Volkswagen-Konzerns wird viel davon abhängen, ob er die Erfolgsgeschichte seines Vorgängers Vahland ohne große Rückschläge weiterschreiben kann. Als Sportler weiß er: Nicht jeder, der mit großem Vorsprung startet, geht am Ende auch als Sieger durchs Ziel.

Foto: Rudolf Simon, Wikimedia

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