Akte Asien

Keiner kann in die Zukunft schauen. Analysten schon gar nicht. Aber Sterndeuter? Heute feiert die chinesisch geprägte Welt den Beginn des Jahres des Wasserdrachen. Da die Banker derzeit noch ratloser sind als üblich, kommen nun die Feng-shui-Meister zu Wort. Im schlimmsten Fall wissen wir soviel wie zuvor. Aber können hunderte Millionen Asiaten irren?

Keiner kann in die Zukunft schauen. Analysten schon gar nicht. Aber Sterndeuter? Heute feiert die chinesisch geprägte Welt den Beginn des Jahres des Wasserdrachen. Da die Banker derzeit noch ratloser sind als üblich, kommen nun die Feng-shui-Meister zu Wort. Im schlimmsten Fall wissen wir soviel wie zuvor. Aber können hunderte Millionen Asiaten irren?

Von Christoph Hein

Wir wissen es längst: Das Gewicht der Welt verschiebt sich in atemberaubender Geschwindigkeit nach Osten. Im chinesisch bestimmten Teil der Erde wird am heutigen Montag das Neujahrsfest nach dem Mondkalender gefeiert. Auch dort hört man, was die Fed und die Europäische Zentralbank, was die Politiker, Standard & Poor’s und Fitch, die Analysten der UBS oder der Citibank für 2012 vorhersagen. Die Asiaten aber haben noch eine weitere Quelle, wenn es um den Blick in die Zukunft geht: Es sind die Meister des Feng-shui, die Geomanter, die Astrologen und Weissager. Sie werden ernst genommen in ihren Prognosen. So mancher Volkswirt erblasste schon am Ende des Jahres, wenn die Meister des Ungewissen mit ihren Vorhersagen besser lagen.

Was also prophezeien die asiatischen Wahrsager? Nun, ihre Aussagen kreisen um den Drachen, der heute als Tierkreiszeichen dem Hasen folgt. Das Drachenjahr ist immer ein besonderes Jahr. Unter dem Zeichen des Drachen werden allein schon mehr Babys als sonst geboren, weil die Eltern überzeugt sind, dass Drachenkinder stärker seien als andere. Wenn dies aber rund 1,4 Milliarden Menschen denken, hilft es, die Aktien von Babyartikel- und Babykleidungsherstellern im Portfolio zu haben.

Doch ist das Drachenjahr nicht nur vielversprechend. Denn dieses Jahr übernimmt der Wasserdrache das Regiment – ein ungestümer Zerstörer. Deshalb gilt die Grundregel: „Sei zurückhaltend, umgänglich und halte Dich aus Streitereien heraus!” Im Zeichen des Drachen werden diese eskalieren.

Der Wasserdrache werde starke Fluten und Erdbeben in Asien hervorrufen, sagt Feng Shui Meister  Lim Eng Cheong. Er wird von all seinen Kollegen gestützt: „In diesem Jahr steht der Stern Nummer 5 – der der gefährlichste in der Astrologie ist – über dem Südwesten”, warnt Meister Joey Yap in Kuala Lumpur mit Blick auf Südostasien. Er ist kein Scherzbold: Für seine Beratungen stellt er Firmen umgerechnet durchaus 15000 Euro in Rechnung. Im vergangenen Jahr stand der Stern über dem Nordosten, wo es dann auch zur Katastrophe von Fukushima kam, betont Yap. Zwischen April und Mai sagt Yap Sturmfluten, Tsunamis oder Erdbeben für Südostasien vorher. Dies sind Vorhersagen, die den Experten der Münchner Rück die Ohren klingen lassen werden. War doch schon 2011das schlimmste Schadensjahr der Region. Zugleich bringe der Wasserdrache ansteckende Krankheiten, ja Seuchen mit sich, warnt Yap. Da tauchen bei den Asiaten direkt die Erinnerungen an die Lungenkrankheit Sars und die Vogelgrippe auf.

So weit die schlechten Nachrichten. Doch bringt das Drachenjahr auch Gutes: Wasser wird gleich gesetzt mit Wissen und Erkenntnis; in beiden Bereichen werde die Welt in diesem Jahr sprunghaft hinzugewinnen. Die fließende Energie sorge zudem in Unternehmen insbesondere in der ersten Jahreshälfte für gute Fortschritte meint Amelia Neo, Beraterin von World of Fengshui. Besonders profitierten Firmen in den Sektoren Immobilien, Bau, die Banken (!) und Sicherheitsdienste. Erst im Herbst würden diese positiven Einflüsse nachlassen.

Europas Politiker werden sich über Schützenhilfe der asiatischen Astrologen freuen: 2012 werde ein Aufschwung einsetzen, der sich 2013 und 2014 fortsetzen werde, sagt Yap. Für Investoren mit einem Horizont von ein bis zwei Jahren lohne es sich, jetzt in den Markt einzusteigen. Er empfielt Sektoren wie Gesundheit, Rohstoffe und Einzelhandel. Die überhitzten Immobilienmärkte Asiens würden zwar eine Korrektur erleben, aber nicht im großen Maßstab. Hier decken sich die Prognosen des Feng-shui und die Analysen der Banken weitgehend. Bleibt die Frage, wer von wem abkupfert.

Doch kennen die Asiaten den Spruch: Was der Drache bringt, nimmt er auch wieder. Deshalb kommt vielen gerade jetzt das letzte Drachenjahr 2000 in Erinnerung – denn damals platze die Internetblase an den Märkten. So wagt sich denn auch Lynn Yap – nicht verwandt mit dem Meister aus Malaysia – mit einer viel kritischeren Prognose hervor: „Auf das gesamte Jahr gesehen werden die Märkte fallen.” Ins selbe Horn stößt ihr Kollege Lim Eng Cheong: „Die guten Zeiten werden nicht von Dauer sein. Die Angst wird wieder hervorkriechen und die gute Stimmung zerstören.”

Vielleicht hilft bei soviel Unken doch ein Blick in die Statistik: Drachenjahre schafften es zweimal – 1928 (plus 48 Prozent) und 1904 (plus 42 Prozent) in die zehn Jahre mit der besten Entwicklung des amerikanischen Aktienindex Dow Jones. In immerhin vier der letzten neun Drachjahre lag die Entwicklung des Index aber wenigstens deutlich über dem Durchschnitt der Jahre der übrigen Tierkreiszeichen. Und sagen nicht auch die Analysten der Banken eine bessere Entwicklung der Märkte voraus? Wissen Sie doch mehr, als die Sterndeuter? Jedenfalls, so die Astrologen, werde das nächste Jahr, dasjenige der Schlange, deutlich entspannter ausfallen. Abtauchen und Aussitzen, könnte die Devise lauten.