Schade, dass Anshu Jain Vorstandschef der Deutschen Bank wird. In seiner Heimat werden Typen wie er gebraucht. Denn dort herrscht Chaos. Und das nicht erst, seit Richter 122 Telefonlizenzen gestrichen haben.
Von Christoph Hein
Ein Inder wird die Deutsche Bank leiten. So wie er führen Inder die Citigroup (Vikram Pandit), Pepsi-Cola (Indira Nooyi) oder Arcelor Mittal (Lakshmi Mittal), den größten Stahlkonzern der Erde. Von Davos bis zur Wall Street, der Londoner City bis zu Singapurs Bankenviertel sind indische Manager ein Markenzeichen. Auch in Indien selber erweist sich die Industrie als robust, den Unternehmern und Managern ist das Wirtschaftswunder der drittgrößten asiatischen Volkswirtschaft vor allem zu verdanken.
Die Politik indes bleibt weit hinter diesem Vorpreschen zurück. Der Wirtschaft gelingt ihr Wachstum trotz, nicht dank der politischen Rahmenbedingungen. Das jüngste Beispiel: Indische Richter sind gezwungen, gleich 122 Telekom-Lizenzverträge für unzulässig zu erklären. Bei deren – nun unrechtmäßigem – Verkauf durch das Telekommunikationsministerium 2008, sollen der Staatskasse bis zu 31 Milliarden Dollar entgangen sein. Der vergangene Donnerstag, als das Urteil erging, war ein weiterer in der schier endlosen Liste der indischen Chaostage. Sie decken das gesamte Spektrum der Gesellschaft ab: Es geht um Schwarzgeld und Korruption, um Sozialwohnungen, die sich Generäle und Politiker unter den Nagel reißen, um Großveranstaltungen, die zum Selbstbedienungsladen für Funktionäre verkommen, um überalterte Politiker, um bestechliche Politiker, um Politiker, die nichts als ihr eigenes Fortkommen im Blick haben.
Dazu aber wird es nicht kommen. Der indische Anti-Korruptionskämpfer Anna Hazare schätzt, dass allein im indischen Unterhaus 150 Abgeordnete säßen, die eine kriminelle Vorgeschichte hätten. Die Berater von Political & Economic Risk Consultancy (PERC) in Hongkong kürten Indiens Bürokratie zur schlechtesten Asiens. Auf einer Skala von eins bis zehn – zehn ist der schlechteste Wert – erhielt Indien die Note 9,21. Auch die Zentralbankiers verlieren die Geduld mit ihren Politikern: „Das globale Umfeld ist nur zu Teilen für die schwache Leistung der Industrie und das träge Investitionsklima verantwortlich. Mehrere heimische Faktoren spielen eine Rolle, unter anderem Unsicherheiten in der politischen und der behördlichen Ausrichtung.” Die Notenbanker fordern von der Regierung in Neu Delhi ein Handeln, „das das Investment antreibt um so die Engpässe bei der Lebensmittelversorgung und in der Infrastruktur abzubauen – das ist entscheidend”. Damit beziehen sie sich erstaunlich deutlich auf das jüngste Scheitern der indischen Regierung, den Markt für die großen ausländischen Lebensmittelkonzerne zu öffnen. Dieses über Jahre geplante Vorhaben scheiterte zuletzt. Genauso scheiterte der Versuch, nach langen Jahren ein Antikorruptionsgesetz zu erlassen.
Leidtragende ist die indische Bevölkerung, die weiter auf eine angemessene Versorgung zu akzeptablen Preisen warten muss. Die indische Bürgerrechtlerin Mallika Sarabhai sagt im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Niemals zuvor hatten wir eine Elite, die so losgelöst von der Masse des Volkes ist. Sogar zu Zeiten der schlimmsten Maharadschas gab es einen Ehrenkodex, wie man sich dem kleinen Mann gegenüber zu benehmen hatte.”
„Wir wurden unfair behandelt”, beklagte das Telekom-Joint-Venture Unitech als Reaktion auf das Urteil. „Wir hielten uns an die Vorgaben, die die Regierung gegeben hatte.” Unitech Wireless, das Gemeinschaftsunternehmen der norwegischen Telenor und der indischen Unitech, wird all seine Lizenzen verlieren. Das Unternehmen hat derzeit 36 Millionen Kunden und beschäftigt 17500 Mitarbeiter in Indien. Die insgesamt acht Mobilfunkbetreiber, die die 122 Lizenzen für verschiedene Landesteile wohl guten Glaubens erworben hatten, werden sich in spätestens vier Monaten noch einmal um Lizenzen bewerben müssen. Die Richter ordneten an, dass die Politiker und Beamten einen neuen Vergabeprozess ausarbeiten sollen.
Das Urteil findet weltweit Beachtung aus drei Gründen: Indien ist inzwischen zum zweitgrößten Mobilfunkmarkt der Erde herangewachsen, mit knapp 900 Millionen Kunden. Indien wird von Skandalen erschüttert, die meist in Delhi ihren Ursprung haben, aber das ganze Land betreffen. Und Indien ringt um Auslandsinvestoren. Die aber lieben bekanntermaßen nichts mehr, als verlässliche Bedingungen.
Es ist das alte Dilemma. Die Richter in der größten Demokratie der Erde räumen auf. Der Rechtsstaat gewinnt, korrupte Politiker verlieren. Verlierer aber sind auch die Unternehmen, die sich auf eine gewisse Rechtssicherheit verlassen haben, als sie vor Jahren Verträge schlossen. Angekratzt wird auch das Image Indiens, das nicht mehr scheint, sondern reichlich zerbeult und farblos daher kommt. Es ist ein schmerzhafter Prozess.
Geht nichts mehr in Indien, sollen normalerweise Ausländer helfen. So öffnet Indien seinen Aktienmarkt Privatinvestoren, nachdem die Kurse massiv gefallen sind. Wohl schon am Donnerstag sollen die überschuldeten indischen Fluggesellschaften das Recht zugesprochen bekommen, 49 Prozent ihrer Anteile an Ausländer abzugeben, um so frisches Geld zu bekommen. Aber wollen Singapore Airlines, British Airways oder Emirates wirklich in einem Markt investieren, in dem Richter geschlossene Verträge rückwirkend auflösen müssen?
Indiens Wirtschaftswunder verdankt es seinen – oft im Ausland ausgebildeten – Unternehmern und seinen Managern. Es ist kein Wunder, dass von der Deutschen Bank über Pepsi Cola bis zur Citibank Inder in Spitzenpositionen von Weltkonzernen hineinwachsen. Sie wurden gezwungen, ihr Land zu verlassen, waren extrem motiviert, passten sich in einer neuen Welt rasch an. Sieht man die Karrieren der Jains, Nooyis oder Pandits dieser Erde, wünscht man sich nichts sehnlicher, als deren Rückkehr und Einstieg in die Politik ihrer Heimat. Jürgen Fitschen müsste die Deutschen Bank dann halt alleine führen…
Herr Hein, Ihnen ist...
Herr Hein, Ihnen ist offensichtlich entgangen, dass zumindest B ähh Pandit und Jain für höchst dubiose Geschäftspraktiken incl. ausgeprägter persönlicher Bereicherung stehen, die erheblich zur immer noch anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise beigetragen haben. Millionenfache Armut und Arbeitslosigkeit und erhöhte Suizid- und Sterberaten nach sich ziehend. Weshalb man diese Herren als Beispiel für Integrität für (indische)Politiker sieht erschließt sich mir nicht. Muss man dazu Zyniker sein?