Akte Asien

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In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Von Vielweiberei und Glücksspiel. Macao hat Las Vegas längst abgezockt

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Macao war viermal so lange unter portugiesischer Kolonialverwaltung wie das benachbarte Hongkong unter englischer. Deshalb finden sich in der Altstadt eindrucksvolle Sakral- und Profanbauten aus der Zeit des Absolutismus neben dampfenden chinesischen Garküchen. Doch wegen der Schönheit kommt kaum jemand hierher: Weil das Glücksspiel auf dem Festland verboten ist, hat sich Macao seit der Rückgabe an China zum weltgrößten Casino-Standort entwickelt.

Von CHRISTIAN GEINITZ

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Der junge Mann, er ist vielleicht Anfang 20, wirft lässig 8000 Hongkong-Dollar auf den Spieltisch, rund 800 Euro. Der weibliche Croupier wechselt den Betrag unbeeindruckt in Chips. Dann stülpt sie eine Abdeckung aus Metall, die aussieht wie eine Tellerglocke in feinen Restaurants, über eine kleine Glaskuppel. Dort liegen drei Würfel auf einer elektrischen Schüttelplatte. Der Neuankömmling setzt den größten Teil seiner Jetons auf ein paar Zahlenfelder. Die Spielleiterin startet den automatischen Würfelbecher, hebt die Glocke – der Spieler hat alles verloren. 800 Euro in zwanzig Sekunden.

Er schaut etwas verdutzt, aber nicht erschrocken, und geht zum nächsten Tisch.

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Der junge Chinese trägt einen hellen Cordanzug, braune Schuhe, keine Krawatte. Niemand trägt hier eine Krawatte. Solche Zeichen der Arriviertheit sind unnötig in einem Ambiente, wo ohnehin jeder eine dicke Nummer ist. Oder jedenfalls eine dicke Brieftasche hat. Hier geht es nicht, wie in einem James-Bond-Film, um Glamour, Manieren, schöne Frauen und vielleicht sogar um Spaß, sondern ganz offenbar nur ums Geld. Es wird wenig gelacht, viel geraucht, es ist laut und riesig, nicht einmal die Croupiers lächeln. Der Saal ist so groß und so anheimelnd wie eine Werkshalle, keine Spielbank, sondern eine Sparkasse, eine Geldfabrik für Neureiche.

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Wir befinden uns im Grand Lisboa Casino, dem vielleicht bekanntesten Casino von Macao. Weil das Glücksspiel anderswo verboten ist, kommen die reichen Chinesen aus allen Landesteilen hierher, um noch reicher zu werden. Oder eben ein bisschen ärmer wie unser Jüngling im Cordanzug.

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Der Gründungsbetrieb, das Lisboa Casino, ist mit dem Schwesteretablissement über eine gläserne Fußgängerbrücke verbunden. Das Original ist wesentlich kleiner, bleibt aber der Inbegriff für das Spielerparadies Macao. Der zwölfgeschossige Hotelturm wurde 1970 von Stanley Ho gegründet, dem Urgestein der asiatischen Glücksspielbranche und Gründungsvater des modernen Zockerimperiums Macao.

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Ho, ursprünglich ein verarmter Einwanderer aus dem nahegelegenen Hongkong, ersteigerte 1961 gemeinsam mit einigen Geschäftspartnern die Lizenz für das Glücksspielmonopol in der portugiesischen Kolonie. Bis diese 1999 an China zurückfiel und bis der Markt für andere 2002 geöffnet wurde, hatte Ho 40 Jahre lang Zeit, reich zu werden. Die hat er gut genutzt: Mit einem Vermögen von 3 Milliarden Dollar ist er Forbes zufolge der reichste Bürger Macaos und der dreizehnreichste Hongkongs.

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Die Büste des heute Neunzigjährigen begrüßt jeden Besucher im Foyer des Grand Lisboa. Verehren müssten ihn eigentlich nicht nur seine Mitarbeiter (und mancher glückliche Spieler), sondern die „Sonderverwaltungsregion Macao” im Ganzen. Denn auf Hos Vorarbeit basiert heute ihr Wohlstand. Der (Spieler-)Tourismus macht die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus, beschäftigt ein Drittel der Arbeitskräfte, steuert fast drei Viertel zu den Staatseinnahmen bei.

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Dem örtlichen Statistikamt zufolge betrugen die Glücksspielumsätze 2011 rund 270 Milliarden Pataca, das sind mehr als 33 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Las Vegas brachte es in derselben Zeit auf nicht einmal 17 Milliarden Dollar, so dass Macao mit Abstand der wichtigste Spielerstandort der Welt ist.

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Ho und Macao haben einige Rückschläge erlitten: die Stadt in der Finanzkrise, als selbst die Chinesen etwas vorsichtiger mit ihrem Geld umgehen mussten, Ho mit seiner Familie, die mit ihm und untereinander um das Erbe streitet. Der bekennende Polygamist ist oder war mit mindestens vier Frauen verheiratet – bis 1971 waren Mehrfachehen in Hongkong erlaubt -, mit ihnen hat er 17 Kinder (siehe: Spielkasinos: Gezocke um das Zockerimperium von Stanley Ho …,www.faz.net/-gqi-xsdh).

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Seit Wegfall des Monopols für Hos Sociedade de Turismo e Diversoes de Macau (STDM) vor zehn Jahren verdienen andere an Macaos Aufschwung – der eigentlich ein Aufschwung des Festlands und seiner reichsten Vertreter ist – kräftig mit, etwa Wynn und Sands aus Las Vegas. Gut die Hälfte der 33 Casinos ist aber in der einen oder anderen Form weiter mit STDM verbandelt.

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Unverständlich bleibt, warum sich die meisten Besucher Macaos an den Spieltischen drängeln, wenn die Stadt draußen doch so viel mehr bietet: die Ruinenfassade der Jesuitenkirche São Paulo etwa mit ihrem ebenso einladenden wie ehrfurchtgebietenden Treppenaufstieg. Oder den zentralen Platz Largo do Senado mit seinem Gewirr aus Gässchen, in denen man genauso auf Azulejos-geschmückte Kolonialbrunnen trifft wie auf dampfende chinesische Garküchen.

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Oder man gönnt sich einen kecken Vinho Verde in einem von Macaos schönsten Kolonialgebäuden, dem ehemaligen Offizierstreff Clube Militar. Dort achtet man übrigens, anders als in den Casinos, auf eine angemessene Kleidung.

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1 Lesermeinung

  1. hummelw sagt:

    Bei diesem Beitrag kommt dem...
    Bei diesem Beitrag kommt dem China-Reisenden in den Sinn, wie, weit weg von Macao, findige chinesische Städte und Provinzen die Spielleidenschaft der Chinesen zum eigenen finanziellen Vorteil nutzen.
    Die Idee ist bestechend einfach, bringt Steuereinnahmen und kann sogar ganz auf Investitionen verzichten: Die Rechnungen von Restaurants sind als Lotterie-Scheine gestaltet.
    Wenn, so die Idee, der Kunde – darauf ist Verlaß – nach dem Essen eine Rechnung verlangt, können die Einkünfte des Restaurantbesitzers nicht mehr am Fiskus verbeigeschleust werden.
    So verhindert Glücksspiel sogar “schwarze” Geschäfte und dies ohne Verwaltungsbürokratie und ganz ohne zusätzliche Finanzbeamte.
    Wolfgang Hummel, Berlin

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