Von CHRISTIAN GEINITZ
Am Sonntag hat es in Peking überraschend geschneit – rechtzeitig zum Ende der offiziellen Heizperiode, wenn die Fernwärmeunternehmen ihren Dienst einstellen. Den Kindern – klar – macht das nichts aus, sie wollen den ersten und wahrscheinlich letzten Schneemann dieses Winters bauen.
Im Chaoyang-Park, einem der größten Stadtparks Asiens, trotten wir nach getaner Arbeit Hunderte Meter an einem blauen Bauzaun vorbei. Hier hängen mannshohe Plakate, die für eines der ehrgeizigsten Freizeitprojekte aller Zeiten werben: „208 Meter – das höchste Aussichtsrad der Welt”, heißt es da. „Das entspricht einem 70 Stockwerke hohen Gebäude.” 48 eiförmige Gondeln, die an fliegende Untertassen erinnern, sollen sich hier drehen, jede mit bis zu 40 Passagieren.
Zusammen sind das 1920 Personen, mehr als in zwei vollbesetzten Riesenflugzeugen vom Typ A380. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass noch nie so viele Menschen gleichzeitig in der Luft unterwegs gewesen sind wie in dem Pekinger Riesenrad! Eine tolle Sache, fürwahr, nicht nur die Kinder sind begeistert. Allein das Datum macht stutzig: „Opening 2010″ versprechen die Schilder, die gleiche Information findet sich bis heute im Internet https://www.greatwheel.com/beijing_eng/intro.htm, https://www.greatwheel.com/beijing_english.htm. Doch auf der weiten Brache hinter den Zäunen streben bis heute nur die wuchernden Pflanzen himmelwärts. Ein Blick durch die rostigen Absperrwände lässt nicht einmal ein Fundament erkennen.
Die Verantwortlichen würden wohl ebenso gern Gras über die ganze Sache wachsen lassen wie über den Baugrund. Zu den Akteuren gehören ausweislich der Zaun- und Internetinformationen der chinesische Staat („one of China’s most prestigious government supported tourism projects”) und die Entwicklungsgesellschaft Great Wheel. Die verweist als Referenz auf das vorhandene größte Riesenrad der Welt, das 165 Meter hohe Singapore Flyer. Dort aber besteht man darauf, dass die Gesellschaften nicht zusammengehörten.
Mit gutem Grund, denn die Projekte von Great Wheel sind mächtig in Verruf geraten. Keines der vier neuen Vorhaben scheint sich verwirklichen zu lassen, weder in Peking, noch in Orlando oder in Berlin. Das Projekt im krisenverzögerten Vergnügungspark Dubailand liegt ohnehin auf Eis. Das ist vor allem bitter für die Geldgeber, die mit den Riesenrädern ein riesen Rad drehen wollten. Rund 10.000 Kleinanleger, viele davon aus Deutschland, haben in die Immobilenfonds namens „Global View” investiert.
Bis zu 10 Prozent Vorsteuerrendite hatten sie sich erhofft und dafür rund 208 Millionen Euro der Gesellschaft DBM Fonds Invest anvertraut, einem Tochterunternehmen der Bank ABN-Ambro. Hauptvertreiber der Produkte war die Deutsche Bank. Doch die Sache ging gründlich schief, außer Kosten ist an den drei Baustellen nichts entstanden. Erst mussten die Planer die Eröffnung in Peking vom Olympiajahr 2008 auf 2010 verschieben, dann wurde deutlich, dass das Geld vorne und hinten nicht reichen würde. Die Gesellschaft ging insolvent, die Errichtung der Riesenräder wurde abgeblasen – „vorerst”, wie es offiziell heißt.
Den Investoren boten die Geldhäuser an, 60 Prozent der Einsätze zurückzuerstatten, falls sie auf weitere Forderungen verzichteten. Die meisten nahmen die Offerte an, um nicht ganz leer auszugehen oder sich auf einen Rechtsstreit mit den Großbanken einzulassen. Vergangenen September bezifferten die Liquidatoren die verbliebenen Vermögenswerte der drei Bauprojekte auf nur noch 12,2 Millionen Euro.
Der Löwenanteil entfiel auf den Wert des Berliner Grundstücks am Zoologischen Garten. Das Engagement in Orlando war nur noch 120.000 Euro wert, jenes in Peking sogar nur einen Euro. Eigentum an Grund und Boden kann man in China nicht erwerben, das Land gehört immer dem Staat. Die Megalomanie in China, zusammen mit den Planungs- und Finanzierungsfehlern dort, hat dem Gesamtvorhaben offenbar den Todesstoß versetzt.
Spannend wurde es noch einmal im Oktober. Da erkannten die Deutsche Bank und DBM Fonds Invest die Ansprüche eines Ehepaars an, das die Abfindung nicht angenommen, sondern, wie manch anderer Geschädigter, gegen die Banken geklagt hatte. Die beiden bekommen nun ihren Gesamteinsatz von 30.000 Euro plus Zinsen zurück.
Offenbar wollten die Banken einer Entscheidung des Landgerichts Frankfurt zuvorkommen. Das hatte signalisiert, den Klägern möglicherweise rechtzugeben. Die Richter schrieben, dass der Anlegerprospekt „zu den Risiken der Finanzierung des Projekts in Peking nicht ausreichend” gewesen sein könnte. Die Verhandlungen darüber, ob nun alle Investoren ihr Geld zurückbekommen oder ob das Angebot an die Eheleute ein Einzelfall bleibt, wird sich vermutlich ähnlich lang hinziehen wie die nie ausgeführten Baupläne.
Eines allerdings zeigt das Beispiel recht unwidersprochen: Auch im erfolgsverwöhnten China sind Anleger nicht vor Rückschlägen gefeit. Manches prächtige Vorhaben schmilzt so kleinlaut dahin wie unser großer, unser riesengroßer Schneemann im Chaoyang Park. Am Montag war in Peking alles Weiß schon wieder weggetaut.
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