Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi erklärt dem Weltwirtschaftsforum warum sie nicht jeden Investor in Burma will. Und die Unternehmensführer sind begeistert.
Von Christoph Hein
Selbst hartgesottene Manager werden hier weich: „Sie hat die Herzen der Teilnehmer geöffnet. Ganz klare, einfache Worte gefunden”, sagt Bosch-Asienchef Uwe Raschke. Die Rede ist von Aung San Suu Kyi, der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Burmas. Nach fast einem Vierteljahrhundert durfte sie ihr Land erstmals wieder verlassen. Sie entschied sich, ins thailändische Bangkok zu reisen. Dort nahm sie am World Economic Forum (WEF) teil – und erklärte den Managern ihr Land, seinen Weg in die Zukunft und die Rolle, die Investoren dabei zu spielen hätten.
Als der Pilot sie im Anflug auf das nächtliche Bangkok ins Cockpit bat, staunte sie über die Lichterflut der Stadt. „Bei meiner letzten Reise vor 24 Jahren hätte ich nur auf die Anzeigen im Cockpit geschaut. Aber der Blick auf die Lichter Bangkoks zeigte mir, wie dunkel unsere Metropole Rangun ist”, erzählt Aung San Suu Kyi auf der Bühne vor hunderten von Managern, die so leise sind, als spräche Warren Buffet. 24 Jahre durfte sie ihr Land nicht verlassen, weil die Generäle sie fürchteten. Woran sie beim Anblick der leuchtenden Stadt gedacht habe? „Das wir in Burma eine neue Energiepolitik brauchen.”
Es sind diese Bodenständigkeit, die Entschlossenheit, ihr Charisma, ihre Ruhe, die die Manager im Tagungszentrum in Sekunden für sie einnehmen. Betritt Aung San Suu Kyi einen der Säle, erheben sie sich. Sitzt sie im Publikum, wird der Saal brechend voll – so langweilig das Thema der Debatte auch sein mag. Das Iphone-Foto an ihrer Seite ist das begehrteste Souvenir des Forums. Gestandene Unternehmensführer drücken sich für ein paar Sekunden auf den Stuhl neben ihr, und sie lässt die peinliche Prozedur mit stoischem Lächeln über sich ergehen. Wie ein Popstar wird „die Lady” beklatscht – und das nicht nur, weil alle hier hoffen, in einem offenen Burma auf eine Goldader für ihre Unternehmen zu stoßen. IM Parkett machen Gerüchte die Runde, der nächste Ostasiengipfel des WEF werde 2013 in Burma abgehalten.
Wie sie dasteht am Rednerpult, in grell türkiser Seidenbluse vor der dunkelblauen Wand des WEF, klein und zart, Jasminblüten im Haar, wirkt die Politikerin noch wie ein Paradiesvogel, wie aus Versehen gelandet in der einförmigen Masse der dunkel gekleideten Herren. Eingeflogen aus einer anderen, fremden Welt, verloren auf dem riesigen Podium. Dann aber hebt sie zu sprechen an.
Mit kräftiger Stimme, in reinem Oxford-English gibt sie den Herren den Kurs vor. Sekunden später weiß jeder im Saal, warum es dieser Frau gelang, den Generälen in Burma jahrzehntelang die Stirn zu bieten. Und wieso der amtierende Ministerpräsident Thein Sein auf seine Teilnahme am WEF absagte, als er vom Erscheinen Aung San Suu Kyis hörte. Natürlich ist seine Absage ein weiterer sanfter Sieg für sie. Sie kostet ihn auf ihre ganz eigene Art aus: „Wissen Sie denn überhaupt, ob er meinetwegen abgesagt hat?”
Fast zeitgleich wirbt Burmas Verteidigungsminister Hla Min im benachbarten Singapur auf der wehrpolitischen Konferenz Shangri-La Dialogue um Vertrauen: Das Militär stehen zu „hundert Prozent” hinter Präsident Thein Sein. Dies soll eine Versicherung sei, dass die Generäle den Öffnungskurs des Landes tragen, das sich selber Myanmar nennt. Auch Hla Min wirbt um Investoren, denn das Geld helfe der verarmten Nation der gut 60 Millionen Menschen.
Aung San Suu Kyi hat da ein differenzierteres Bild in Bangkok: „Wir wollen nur die Investoren, von denen auch wir etwas haben”, ruft sie den Managern zu. „Beide Seiten müssen gewinnen. Sie, aber auch die Menschen Burmas.” Und freundlich aber bestimmt fügt sie an: „Wir wollen nicht, dass Sie uns sagen, was wir zu tun haben. Wir möchten Ihnen sagen, was wir brauchen!”
Einfach wird es nicht werden mit der charismatischen Politikerin, das merken alle hier schnell. „Seien Sie gewarnt. Auch das beste Investitionsgesetz hilft nichts, wenn es keine unabhängigen Gerichte gibt. Seien Sie nicht überoptimistisch. Leichtsinniger Optimismus hilft uns jetzt nicht.” Im Gegenteil: Während die Wirtschaftsdelegationen in Rangun sich die Klinke in die Hand geben, bittet Aung San Suu Kyi die Manager um Geduld. Das Land, das bis zur Übernahme durch das Militär das reichste Südostasiens war, das auf riesigen Bodenschatzvorkommen sitzt und Billiglöhne verspricht, das sich zu einem zweiten Thailand entwickeln könnte und strategisch zwischen den Wachstumsmärkten China und Indien liegt, brauche Zeit: „Uns hilft jetzt ein gesunder Skeptizismus.” Die Ikone des freien Burma ist sich nicht zu schade, zur Bittstellerin zu werden: „Investitionen können Burma auch gefährlich werden. Bitte achten Sie darauf, dass sie transparent arbeiten. Unsere Menschen müssen verstehen, was sie vorhaben, was für sie dabei abfällt!”
Stunden zuvor hatte die republikanische amerikanische Senatorin Susan Collins auf dem WEF noch davon geschwärmt, dass die Amerikaner mit ihrer Annäherung an Burma die Schlinge um das kommunistische China enger zögen. Die Oppositionsführerin kontert: „Burma darf kein Schlachtfeld zwischen China und Amerika werden.” Aber ist Burma wirklich auf dem richtigen Weg, nachdem die Generäle ihre Uniformen abgelegt haben? „Wir nehmen an, dass Burma eine Demokratie werden wird. Aber wir haben noch nicht alle Grundlagen dafür erreicht.”
Es ist nicht die Stunde, über Renditen in Rangun zu rätseln. Der kleinen, starken Frau auf dem Podium geht es um das große Bild: „Was wir brauchen, ist Ausbildung für unsere Menschen, die ihnen ein Grundeinkommen verschafft. Zu viele junge Leute hängen schon in Bierstuben herum, spielen oder greifen zu Drogen. Die Arbeitslosigkeit ist eine Zeitbombe.” Der Saal nickt verständig. An Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz wird es eine gute Stunde später sein, darauf zu verweisen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien mit rund 50 Prozent höher liege als in Burma.
Christoph Hein