Akte Asien

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In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Chinaböller von Adidas. Mit diesem Ball werden wir Meister!

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Am Donnerstag putzt die deutsche Nationalmannschaft Italien vom Platz. Warum? Na, weil der Turnierball von der deutschen Firma Adidas im Land unseres wichtigsten Handelspartners gefertigt wird, in China. Football's coming home: die Chinesen haben die luftgefüllte Spielkugel schließlich erfunden. Wenn 1,3 Milliarden von ihnen unseren Jungs jetzt auch noch die Daumen drücken, kann nichts mehr schiefgehen. Weder gegen Italien, noch anschließend gegen Spanien oder Portugal.

Von CHRISTIAN GEINITZ

Bild zu: Chinaböller von Adidas. Mit diesem Ball werden wir Meister!

Auf den ersten Blick liegt ein Ball, der „Tango 12″ heißt, den Italienern mehr als uns. Schließlich haben die Südeuropäer Argentinien und seine Tänze geprägt wie sonst nur, nunja, die Spanier (Himmel!). Aber davon lassen wir uns natürlich nicht irremachen. Am Donnerstag putzt die deutsche Nationalmannschaft Italien vom Platz und zwar mit einem Tango! So beschwingt, wird sie das im Finale gegen Spanien oder Portugal leichtfüßig wiederholen.

Woher diese Siegesgewissheit stammt? Daher dass der Ball ein Deutscher ist und deshalb eigentlich besser „Schieber” oder „Schwof” heißen sollte. Hersteller nämlich ist der Sportartikelproduzent Adidas aus Herzogenaurach bei Erlangen. Seit 1970 liefern die Mittelfranken die Bälle für die Weltmeisterschaften und seit 1972 auch für die Europameisterschaften.

Im Klartext heißt das, dass unsere Jungs ihre EM-Titel 1972, 1980 und 1996 alle mit einem Adidas-Ball erzielt haben und immerhin zwei ihrer drei WM-Triumphe, 1974 und 1990. Lediglich 1954 war das nicht der Fall. Damals stammten aber zumindest die Sportschuhe des Fritz Walter und der anderen Recken von Adidas und machten – mit den neuentwickelten Schraubstollen – das Wunder von Bern erst möglich.

Die Italiener ihrerseits mögen die Adidas-Bälle gar nicht. Ihr Supertorwart (pffff!) Gianluigi Buffon schimpfte bei der WM 2010 in Südafrika, der Ball sei „eine Schande”. Der Gute wird auch den „Tango 12″ verfluchen, wenn er am Donnerstag eins ums andere Mal hinter sich greifen muss.

Nun könnte man einwenden, dass die Deutschen ja auch schon mit Adidas-Produkten gescheitert seien, zuletzt 2008 und 2010. Aber damals waren die Beziehungen noch nicht so eng zu einem weiteren Land, das bei der Ball-Produktion eine entscheidende Rolle spielt: China. Während Italien, Spanien, Portugal von einer (wirtschaftlichen) Niederlage zur nächsten stolpern, ist Deutschland obenauf. Und zwar weil es exzellente Beziehungen zur Volksrepublik unterhält, dem größten Markt und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Das Land ist heute Deutschlands wichtigster Handelspartner, ganze Branchen wie die Automobil- und Chemie-Industrie oder der Maschinenbau hängen vom Reich der Mitte ab (China: Deutschlands wichtigster Handelspartner -). Angela Merkel reist in diesem Jahr gleich zweimal hierher, demnächst Ende August, wenn wir längst Europameister sind!

Was hat das mit dem „Tango 12″ zu tun? Nun, der Ball wird von Adidas in China gefertigt, ist also ein weiterer Beleg dafür, wie eng Deutschland und der Ferne Osten miteinander verwoben und wie erfolgreich sie zusammen sind. Das Unternehmen hat gerade seine Rekordergebnisse aus dem Fußballgeschäft veröffentlicht. Im laufenden Jahr will man damit 1,6 Milliarden Euro erlösen, sogar mehr als im WM-Jahr 2010. Der „Tango 12″ trägt einen wichtigen Teil dazu bei, er soll mehr als 7 Millionen Mal verkauft werden.

Dabei muss man unterscheiden zwischen dem offiziellen „UEFA-Spielball”, wie er in Polen und der Ukraine über den Rasen rollt, und den weniger anspruchsvollen Freizeitversionen, zum Beispiel für Kinder. Wie schon 2010 gilt auch diesmal folgende Aufteilung: Den echten und anspruchsvollen „Tango 12″ lässt Adidas in China schneidern, die einfachen Kopien auch in Pakistan.

Das Original kostet im Einzelhandel stolze 130 Euro, 10 Euro mehr als 2010. Über die Herstellungskosten schweigt sich Adidas aus. Die Gewinnspanne dürfte beträchtlich sein, auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, in denen billige Näherinnen die Kugeln im Akkord zusammenschusterten. Der „Tango 12″ ist ein Hightech-Produkt, die Mitarbeiter sind qualifiziert und werden jedes Jahr teurer; in Chinas Industrie sind Steigerungen der Arbeitskosten um 20 Prozent im Jahr keine Seltenheit.

Übrigens ist das „Leder” weder rund noch ist es wirklich aus Leder, auch wird es schon lange nicht mehr zusammengenäht. Der Ball besteht aus wabenförmigen „3-D-Panelen”, die Präzisionsmaschinen unter großer Hitze miteinander verschweißen. Die verwendeten Kunststoffe heißen TPU oder EVA. Zwei Jahre lang haben Fachleute das Kunstwerk entwickelt und getestet, unter anderem auf Temperaturschwankungen zwischen plus 35 und minus 10 Grad Celsius. Zurecht, denn dem europäischen Sommer ist nicht zu trauen.

Adidas schreibt, dass der Ball 432 Gramm wiege und einen Umfang von 68,9 Zentimetern aufweise. Wenn man ihn aus zwei Metern richtig aufgepumpt auf einen harten Boden fallen lasse, springe er fast 70 Zentimeter wieder zurück. Donnerlütchen!

Das Material für die Superpille stammt zum größten Teil aus China, hat es also nicht weit bis zur Verarbeitung. Die steht in der Nähe von Shenzhen nördlich von Hongkong in der Südprovinz Kanton (Guangdong). Wie schon 2010 hat Adidas dort den Auftragsfertiger Longwei Baoye – anglisiert „Longway” genannt – mit der Herstellung beauftragt. Normalerweise produziert das taiwanische Unternehmen hier Baseballschläger, Helme und Inline-Rollschuhe, für Adidas Torwarthandschuhe, Schienbeinschützer oder Sporttaschen. In der Fabrik arbeiten rund 2700 Mitarbeiter, vor allem Frauen. Im Durchschnitt kleben sie jeden Monat 50.000 der Wettkampfbälle zusammen, die meisten für den freien Verkauf. Für die EM selbst werden nur etwa 2000 Stück benötigt.

Mithilfe von Longway und anderen hat sich Adidas wieder gefangen in China. Deshalb ist die Konstellation, dass eine deutsche Mannschaft mit einem deutschen Ball aus China diesmal gewinnt, so überaus vielversprechend! Beim letzten Mal, während der WM in Südafrika, durchlebte der Konzern gerade eine schwierige Zeit. 2009 und zu Beginn des Jahres 2010 waren die Umsätze in China zurückgegangen. Auch unterhielt man nicht, wie zunächst angekündigt, 7000 Geschäfte, sondern nur 5400. Das Umsatzziel von einer Milliarde Euro wurde 2010 nur mit Mühe erreicht.

Seitdem aber geht für Adidas im Osten wieder die Sonne auf. Im zurückliegenden Geschäftsjahr stiegen die China-Erlöse um 23 Prozent auf 1,23 Milliarden Euro. Das war das größte Wachstum in allen Weltgegenden, so dass die Volksrepublik mittlerweile fast 10 Prozent zum Gesamtumsatz beiträgt. Der Löwenanteil davon stammt aus dem Großhandelsgeschäft, während China im Einzelhandel die kleinste der sechs ausgewiesenen Regionen ist.

Das aber, findet Adidas, bietet auch enorme Potentiale. Es ist deshalb kein Zufall, dass China neben Nordamerika und Russland zu den drei „Fokusmärkten” gehört, in denen der Konzern bis 2015 mehr als die Hälfte seines Umsatzzuwachses erzielen will. Auf der Fertigungsseite führt das Land die Liste jetzt schon an: Hier sitzen 30 Prozent aller Zulieferbetriebe, jeder dritte Sportschuh kommt aus China.

Die deutsche Industrie und der deutsche Fußball sind also deutlich gestärkt in das Turnier gegangen. Deshalb sollte es diesmal eigentlich klappen mit dem Titel!

China übrigens kehrt mit der „Tango”-Produktion an seine Ursprünge zurück: Hier hat man vor Urzeiten die ersten Lederbälle mit Federn und Tierhaaren gefüllt, auch die luftgefüllte Spielkugel ist eine Erfindung der Asiaten. Ganz zu schweigen natürlich vom Schießpulver und dem Feuerwerk. Also, Jungs, zündet am Donnerstag den Chinaböller und knallt den Italienern den „Tango 12″ ordentlich um die Ohren! Wir hier draußen drücken euch die Daumen und auch eine ganze Menge unserer 1,3 Milliarden Gastgeber.

Foto: Wikipedia

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2 Lesermeinungen

  1. pardel sagt:

    Mit diesem Ball werdet ihr...
    Mit diesem Ball werdet ihr Europameister!? Non sequitur.
    Pax boviscum? Quod licet Iovi, non licet bovi. ;-)

  2. EgonOne sagt:

    Der Ball bleibt...
    Der Ball bleibt rund?
    Schoener Kommentar, Meister Geinitz.
    Wieder viel daraus gelernt.
    . Ich werde mit ganz neuem Interesse die naechsten Spiele bewundern, und hoffe nur dass ich nicht zuviel Zeit auf den Ball gucke und dann noch das Spiel verpasse. Das waer dann wohl eine tragisch, was?
    Ich hoffe die “Baller Technologie” macht fest weiter, denn Ich kann kaum warten bis der “Tango 13” ankommt. Sicherlich ein ganz geheimes Projekt. Sehr hush hush, was?
    Was wird wohl fuer die Weltmeisterschaft in Brasilien kommen? Einen “Samba 1” oder “Salsa 7” Baller, mit Magnesium Streben und Heliumfuellung? Mann die Spannung wird bald unertraeglich. Keep the ball rolling.
    Kung hey, fat choy.
    ….und Pax Vobiscum

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