Akte Asien

Lösung für Griechenland: Rubbeln wie in China

Von CHRISTIAN GEINITZ

 Restaurantquittungen sind in Peking zugleich Rubbellose.

In der Schuldenkrise könnte Europa einiges von China lernen. Zum Beispiel, wie man listig Steuern eintreibt. Griechenland hat zwar die Hilfe der deutschen Fiskalverwaltung abgelehnt, aber vielleicht lässt es sich ja von den Fachleuten aus Fernost überzeugen. Dort gilt seit Jahren ein Verfahren, das die Umsatzsteuer mit einem Glücksspiel verbindet: Viele Quittungen in Restaurants und anderen Dienstleistungsbetrieben sind zugleich Rubbellose oder tragen Lotterienummern. Um mitspielen zu können, bestehen die Käufer auf den Belegen und zwingen so die Unternehmen, ihre Steuern auszuweisen und abzuführen. Die Anreize sind hoch, es winken Gewinne von bis zu 800.000 Yuan (100.000 Euro).

„Das System funktioniert tadellos und hat die Steuereinnahmen merklich erhöht”, sagt der führende Fachmann zu dem Thema, der Volkswirtschaftler Wan Junmin. „Man sollte es auch in Ländern mit Zahlungsschwierigkeiten einführen, in Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien.” Wan hat herausgefunden, dass in Provinzen, die das Verfahren nutzen, das gesamte Steueraufkommen jedes Jahr um 5,25 Prozent stärker wächst als anderswo. Bei der Umsatzsteuer beträgt der Vorsprung fast 8,6 Prozent, bei der Steuer auf die Unternehmensgewinne mehr als 12 Prozent. „Ähnliche Effekte wären in Europa vorstellbar”, erwartet Wan, der an der Fukuoka-Universität in Japan lehrt. Der Ansatz sei sehr vielversprechend, findet auch He Xiaoyu Finanzwissenschaftler an der Volksuniversität in Peking. „Überall ist die Spielleidenschaft größer als die Steuerehrlichkeit.”

 Leider eine Niete statt 100.000 €… Nett formuliert auf Chinesisch: “Xiexie nin, Thanks!”

In China gibt es zwei Arten der Umsatzsteuer. Auf Güter wird eine Mehrwertsteuer von 17 Prozent erhoben, auf Dienstleistungen eine so genannte Geschäftsteuer von 5 Prozent. Diese indirekten Steuern sind von großer Bedeutung. Nach Angaben der Fiskalverwaltung brachte die Geschäftsteuer 2011 etwa 1368 Milliarden Yuan (171 Milliarden Euro) ein. Das machte ein Sechstel des Steueraufkommens aus und war 22,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Es gibt keine Daten darüber, wie viel das Lotteriesystem dazu beiträgt. „Aber klar ist, dass es sich rentiert, denn immer mehr Provinzen führen es ein”, sagt Wang Jun, Partner in der Steuerabteilung von KPMG in Schanghai.

Grundlage des Verfahrens sind offizielle Quittungen, so genannte Fapiaos. Diese erwirbt das steuerpflichtige Unternehmen von den Behörden, oft in Blöcken mit unterschiedlichen Nennwerten. Damit trägt es seine Steuerschuld gleichsam im voraus ab. Anschließend kann der Betrieb, zum Beispiel ein Restaurant, den Gästen die Quittungen aushändigen, so lange, bis sie aufgebraucht sind und neue nötig sind. Mittlerweile gibt es auch ein maschinelles Verfahren, mit dem sich Fapiaos an der Kasse ausdrucken lassen. Natürlich wolle jeder Wirt möglichst wenige Quittungen ausgeben, sagt KPMG-Mann Wang. Diese kosteten nicht nur Geld, sondern seien auch eine wichtige Grundlage für die Berechnung der Gewinnsteuer.

 Auf ein Neues mit frischen “Fapiaos”!

Hier kommt das Lotteriesystem ins Spiel, das es schon seit den fünfziger Jahren in Taiwan gibt. Wan zufolge hat es seitdem Einzug auch in Armenien, Bolivien, Indonesien, den Philippinen sowie in Südkorea gehalten. 1998 kam es nach China, zunächst auf die Tropeninsel Hainan. Die Idee ist simpel: jede Fapiao ist zugleich ein Los. In Peking etwa ist ein graues Feld aufgedruckt, das sich abkratzen lässt. Bei Nieten erscheint ein freundliches „Danke”, sonst ein Betrag. Bis zu 800 Yuan (100 Euro) zahlt die Gaststätte aus, bei größeren Summen muss der Preisträger im Steueramt vorsprechen.

Andere Städte, etwa Kanton (Guangzhou) im Süden, ermitteln ihre Glücknummern in einer Tombola. Wer eine Quittung mit der richtigen Zahlenreihe vorlegt, kann bis zu 50.000 Yuan gewinnen. Insgesamt schüttet die Stadt jedes Vierteljahr 380.000 Yuan aus. In Shenyang in Nordchina gibt es sogar Einzelgewinne über 800.000 Yuan. „Die ausgelobten Preise und die Kosten sind viel geringer als der Nutzen”, sagt Professor Wan. Nur 3 Prozent der Einnahmen aus der Geschäftsteuer würden wieder ausgeschüttet. Seiner Ansicht müsste dieser Anteil zehnmal so hoch sein, um größere Anreize zu schaffen. Denn tatsächlich sinke die Bereitschaft, Quittungen zu verlangen, weil die meisten Gewinne gering seien und die Inflation vergleichsweise hoch. Außerdem unterliegen größere Auszahlungen der Einkommensteuer.

Fotos: itz.

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