Kann man sich das vorstellen? Japan, immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist in wenigen Wochen zahlungsunfähig? Nein, vorstellen kann sich das wohl kaum jemand. Und doch spielen Japans Politiker mit dem Feuer und arbeiten daran, genau diese Situation herbeizuführen.
Der anhaltende Streit zwischen Regierung und Opposition in Japan führt dazu, dass das Land schon Mitte Oktober in erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten kommen könnte. Gegen den Widerstand der Opposition hat die Demokratische Partei (DPJ) von Regierungschef Yoshihiko Noda im Unterhaus in Tokio eine Reform des Wahlrechts beschlossen und ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung ermächtigt, für das laufende Haushaltsjahr Staatsanleihen auszugeben. Für dieses Haushaltsbegleitgesetz braucht Noda aber auch die Mehrheit im Oberhaus, der zweiten Kammer des Parlaments. Dort hat aber die Opposition die Mehrheit, die er bewusst provoziert hat. Sie droht jetzt damit, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern, solange Noda nicht endlich das Parlament auflöst und Neuwahlen binnen 40 Tagen herbeiführt.
In Japan beginnt das Fiskaljahr am 1. April. Da der Staatshaushalt seit Jahren zu nahezu 50 Prozent über neue Schulden finanziert wird, droht dem Land damit bereits Mitte Oktober die Zahlungsunfähigkeit, wenn das Gesetz zur Ausgabe von Staatsanleihen nicht beschlossen wird. Von diesem Zeitpunkt an könnten die Gehälter der Beamten nicht mehr bezahlt, staatliche Programme zum Wiederaufbau der vom Erdebeben 2011 zerstörten Regionen nicht mehr fortgesetzt und Subventionen zum Kauf umweltfreundlicher Autos nicht mehr gewährt werden. Finanzminister Jun Azumi kündigte an, er werde schon bald bekannt geben, wo die Regierung kurzfristig Ausgaben kürzen wird, um den Zeitraum zu strecken, bis zu dem Staatsanleihen ausgegeben werden können. Er werde dem japanischen Volk sagen, wie er die Zahlungsunfähigkeit bei begrenzten Einnahmen herauszögern will, erklärte Azumi. Bei den Kürzungen werde es keine Ausnahmen geben.
Die Zeit für Japans Regierung wird dabei knapp. Anfang September endet die Sitzungsperiode des japanischen Parlaments. Die Opposition, die Noda zu vorgezogenen Neuwahlen zwingen will, spielt mit ihrer Blockade des Gesetzes zur Ausgabe von Staatsleihen ein gewagtes Spiel. An den Finanzmärkten werden die mangelnde Reformbereitschaft der japanischen Politik und die gegenseitige Blockade schon lange als eines der größten Probleme für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes gewertet. Trotz der hohen Schulden sind die Zinsen in Japan mit rund einem Prozent immer noch sehr niedrig. Wenn Japan aber in den Ruch der drohenden Zahlungsunfähigkeit geriete, könnte sich das schnell ändern. Die Ratingagenturen stuften das Land dann herab, die Zinsen stiegen und der Schuldendienst würde den Spielraum der Politik dramatisch einengen.
Vor einem Jahr war Japan bereits in einer ähnlichen Situation. Damals stimmte die Opposition am Ende der Ausgabe von Staatsanleihen zu. Inoffiziell heißt es deswegen auch aus japanischen Oppositionskreisen, eine Zustimmung werde es notfalls auf einer außerordentlichen Sitzung des Parlaments Ende September oder Oktober geben – wenn Noda bis dahin ein konkretes Datum für vorgezogene Neuwahlen genannt haben sollte. Zum Schlimmsten werde es nicht kommen, sagte auch ein Vertreter der Regierung. „Die Zahlungsunfähigkeit ist undenkbar.” Spätestens fünf vor zwölf wird Japans Politik eine Mehrheit für die Ausgabe der Staatsanleihen finden. Zu stark haben sich die Politiker in Tokio bereits daran gewöhnt, jedes Problem mit Geld und neuen Schulden zu lösen. Vertrauen in die Finanzpolitik des Industrielandes mit den weltweit höchsten Staatsschulden, schaffen Japans Politiker damit aber nicht.