Akte Asien

Live von der Demo in Peking!

Von CHRISTIAN GEINITZ, Peking

Dass ich das noch erlebe! Auf dem Weg mit dem Rad zum Kindergeburtstag geraten wir mitten in Peking in eine echte Demonstration. Mit allen Schikanen: Flaggenschwenken, Transparenten, aufgebrachtem Skandieren. „Wie in Berlin!” freut sich unser Fünfjähriger, der in Preußen geboren wurde.

Er hat irgendwie Recht, aber in China ist das ein seltener Anblick. Zwar steht die Demonstrationsfreiheit in der Verfassung, de facto aber besteht ein Versammlungsverbot. Vor der Vertretung der Vereinten Nationen versuchen hin und wieder kleine Grüppchen, Plakate zu entrollen oder Petitionen zu überreichen. Aber solche Menschenaufläufe werden schnell aufgelöst, die Protestanten verschwinden dann in Polizeibussen.

Heute ist die Lage anders, denn die Veranstaltung findet mit Duldung, wenn nicht mit aktiver Unterstützung der autoritären Führung statt. Wie die Regierung wettern die Demonstranten dagegen, dass Japan drei umstrittene Inseln im Ostchinesischen Meer von japanischen Besitzern gekauft und somit verstaatlicht hat. Auf das Atoll erheben China, Japan und Taiwan gleichermaßen Ansprüche. Auf Chinesisch heißt die Inselgruppe Diaoyu, auf Japanisch Senkaku. Hier gibt es große Fischbestände und möglicherweise auch Bodenschätze.

Der Streit hat sich immer mehr aufgeschaukelt, jetzt hat Peking sogar sechs Patrouillenschiffe in die Region geschickt. Umgehend bestellte Tokio den chinesischen Botschafter ein, um gegen das, wie man meint, unrechtmäßige Eindringen in seine Hoheitsgewässer zu protestieren.

 “Kleine Japaner raus aus Diaoyu! Nieder mit dem japanischen Imperialismus!”

Wegen der Sache hat es schon einige kleinere Demos in Peking und anderswo in China gegeben. Aber unsere heute ist die größte, ja die prächtigste! Die aufgebrachte Menge wedelt mit riesigen roten Fahnen, straßenbreite Spruchbänder fordern die „Rückgabe” der Inseln. Beschirmt und eingehegt wird der Protest von Hunderten Polizisten in normaler und Kampfuniform mit Helmen, Knüppeln, Plexiglasschilden. Der Zug schiebt sich die Liangmaqiao-Straße in Pekings Nordosten hinauf an jener Stichstraße vorbei, die zur japanischen Botschaft führt. Die Vertretung selbst ist großräumig abgeriegelt.

Agenturen melden, es würden Steine und Eier geworfen. Das sehen wir nicht, die ganze Sache scheint ziemlich friedlich zu verlaufen. Nach meiner Schätzung sind Tausende unterwegs, aber so richtig überprüfen lässt sich das nicht. Denn an der Abzweigung zu dem bekannten Einkaufszentrum „Solana” dreht die Prozession auf der anderen Straßenseite wieder um zum Ausgangspunkt. Es könnte durchaus sein, dass sich die Wütenden hinten wieder anstellen – wie im Theater, wenn dieselben Feuerwehrleute oder Soldaten mehrfach über die Bühne flitzen.

Apropos: Viele nennen das Gezanke zwischen China und Japan „Theaterdonner”, „Sturm im Wasserglas” etc. Aber so richtig wohl ist mir bei dem Gedanken nicht, dass sich die wichtigste und die zweitwichtigste Macht in Asien derart in den Haaren liegen. Solche Sachen können auch aus dem Ruder laufen und gewalttätig werden. Deshalb radeln Sohnemann und ich auch schnell weiter zum Kindergeburtstag. Einen Vorteil hat die Demo: Da die Zuwege für Autos gesperrt sind, hat man mit dem Rad herrlich freie Fahrt.

Foto itz.

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