Akte Asien

Was, wenn Chinas Zorn auch mal die Deutschen trifft?

Von CHRISTIAN GEINITZ

 

Während der antijapanischen Demonstrationen in Peking hat das Kempinski-Hotel seine Mitarbeiter auf die Straße geschickt. Allerdings protestieren sie nicht, sondern sie suchen nach Gästen. Normalerweise öffnen die Portiers den Anreisenden die Taxitüren und laden das Gepäck aus. Da jedoch die Zufahrt seit Tagen blockiert ist, können keine Autos mehr vorfahren. Deshalb schwärmen die Hoteldiener aus und fahnden nach Personen, die gepäckbeladen zu Fuß unterwegs sind, um sie ins Hotel zu lotsen.

„Die Demos sind bitter für uns”, sagt ein leitender Angestellter. „Wir hoffen, dass sich das nicht länger hinzieht.” Sein japanisches Restaurant hat das Kempinski „aus Sicherheitsgründen” geschlossen, wie der Manager sagt. Den sieben Mitarbeitern hat er frei gegeben.

Seit Samstag ist im Nordosten Pekings die Liangmaqiao-Straße gesperrt, an der das Hotel liegt (Live von der Demo in Peking!). Die Magistrale verbindet den dritten und den vierten Stadtring, und sie führt an der japanischen Botschaft vorbei. Auf diese haben es Tausende Demonstranten abgesehen, die – flankiert von einem Großaufgebot an Polizei und Paramilitärs – die Allee auf und ab marschieren. Sie schwenken Fahnen und Transparente und rufen zum Boykott japanischer Waren auf. Darüber knattern Hubschrauber.

Der Grund für die Massenaufläufe ist ein Territorialstreit zwischen Tokio und Peking um eine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer. Auf Chinesisch heißt sie Diaoyu, auf Japanisch Senkaku. Hier gibt es zwar keine Bewohner, wohl aber Fischbestände und möglicherweise Gas- und Ölvorkommen. Die Sache hat sich hochgeschaukelt, nachdem Japan drei der Inseln gekauft und somit zum Staatsbesitz erklärt hat.

Jetzt kocht in China der Volkszorn hoch, von dem man annehmen kann, dass es auch der Regierungszorn ist. Auch heute, am Dienstag, gehen die Proteste weiter, es scheinen sogar noch etwas mehr Menschen unterwegs zu sein als gestern. Kein Wunder, denn es jährt sich die Teilbesetzung Chinas durch Japan 1931.

Wirtschaftlich trifft der Konflikt vor allem japanische Unternehmen in China. Es gibt Angriffe und Brandattacken auf japanische Autohäuser und Geschäfte, Sabotageakte in Fabriken. Nach Canon und Panasonic wollen von heute an auch Honda und Mazda die Produktion in einigen Werken anhalten. Die Handelskette Uniqlo schließt 19 Geschäfte. Auch 13 Ito Yokado Supermärkte und fast 200 „7-Eleven”-Läden öffnen vorerst nicht. Im ganzen Land haben Hunderte japanische Restaurants geschlossen.

 “Kleine Japaner raus aus Diaoyu! Nieder mit dem japanischen Imperialismus!”

Die betriebswirtschaftlichen Belastungen gehen in die Millionen. Allein Canon schickt 20.000 Mitarbeiter in den Zwangsurlaub – bei vollen Bezügen. Die Boykottaufrufe, die am Dienstag andauerten, dürften vor allem die Fahrzeugproduktion treffen. „Es wird für die japanischen Hersteller unmöglich sein, ihre Verkaufsziele in diesem Jahr zu erreichen”, sagte der stellvertretende Generalsekretär des Verbands der Automobilhändler in China, Luo Lei.

Lachender Dritter könnte die deutsche Automobilindustrie sein. Schon im August, als der Inselkonflikt hochzukochen begann, haben sie die Japaner als wichtigste Hersteller für den chinesischen Markt – den größten der Welt – abgelöst. Mittlerweile verkaufen die VW-Gruppe, BMW, Mercedes oder Porsche in China mindestens ein Fünftel mehr Autos als zuhause!

Doch wer zu früh lacht, lacht am schlechtesten. Denn niemand kann garantieren, dass sich der Zorn des größten Volks der Welt nicht auch einmal gegen europäische Produkte, Unternehmen oder sogar Landsleute richtet. Die französische Supermarktkette Carrefour, die in China stark vertreten ist, kann ein Lied davon singen. Als Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Dalai Lama empfing oder als in Paris der Fackellauf zu den Olympischen Spielen in Peking gestört wurde, waren der Einzelhandelsgigant und seine Manager die ersten, die das in China handfest zu spüren bekamen.

Für den deutschen Maschinenbau, die Chemieindustrie oder eben die Kfz-Branche ist China inzwischen der wichtigste Markt. Allein VW investiert hier zusammen mit seinen Partnern 14 Milliarden Euro – das ist mehr als je zuvor in der deutschen Industriegeschichte. Jedes dritte Fahrzeug der Marke VW und jeder vierte Audi werden hier verkauft.

 “Japan, verzieh dich von den Diaoyu-Inseln nach Hause!” 

Nicht auszudenken, was passierte, wenn in China Regierung und Volk – ähnlich wie jetzt im Falle Japans – an einem Strang zögen, um Deutschland abzustrafen! Etwa weil Angela Merkel die zunehmenden Selbstverbrennungen in Tibet zum Thema machte. Weil sie die Zugehörigkeit Taiwans zum Festland anzweifelte. Weil sie den verfolgten Künstler Ai Weiwei einlüde. Oder weil sie Gedichte des inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo vortrüge.

Ach ja, den Dalai Lama hat sie ja tatsächlich schon einmal empfangen – was entsprechend wütenden Reaktionen in Peking auslöste. Aber das ist lange her. Mittlerweile ist Merkel längst auf die Linie ihres Vorgängers Gerhard Schröder eingeschwenkt und vermeidet gerade in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten jeden Konflikt mit China. Schließlich ist das Land inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, der größte Exporteur und Devisenbesitzer (der helfen soll, den Euro zu retten). Die Volksrepublik könnte in diesem Jahr erstmals der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik außerhalb der EU werden – und natürlich ist sie eine Atommacht, die immer mehr aufrüstet.

Derart eingeschüchtert, vermeidet die Bundesregierung jede Provokation. Die deutschen Unternehmen muss also nicht bekümmern, was in China geschieht, und wie die Politik darauf reagiert. Menschen mit Sinn für Freiheit und Recht sollte aber genau das große Sorgen machen.

Fotos: F.A.Z., itz.

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