Von CHRISTIAN GEINITZ
Am Donnerstag und Freitag besucht Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zum zweiten Mal in diesem Jahr die Volksrepublik China. In Peking feiert er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten vor 40 Jahren, im mandschurischen Shenyang (Mukden) eröffnet er ein neues Generalkonsulat; es ist das fünfte in dem Riesenreich.
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nach China reist, dann bringt sie stets die ganz Großen der deutschen Wirtschaft mit, die Chefs von VW, Siemens, SAP, Thyssen-Krupp, BASF oder der Bahn. Zuletzt war das im August so. Westerwelle hingegen dürfen auch die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen begleiten, darunter sogar ein Orgelbauer aus Waldkirch.
Das ist gut und richtig so, denn der Mittelstand ist unter den deutschen Unternehmen in China genauso wichtig wie in der Heimat. Man hört immer von den großen Erfolgen (und zuweilen von Rückschlägen) der wichtigen DAX-Konzerne in Fernost. Zum Beispiel von den Autobauern Volkswagen, BMW, Mercedes oder Porsche auf dem größten Neuwagenmarkt der Welt. Kaum jemand aber weiß, dass diese ohne die Ortspräsenz ihre deutschen Zulieferer oder Dienstleister aufgeschmissen wären. Und dass auch ganz unabhängig von diesen Platzhirschen China in vielen Nischenmärkten für kleinere deutsche Unternehmen heute hochinteressant ist.
Tatsächlich hält, ebenso wie in der Heimat, in der Volksrepublik vor allem der Mittelstand die schwarzrotgoldene Fahne hoch. Nach Angaben der Deutschen Handelskammer in Peking sind in China derzeit 5000 deutsche Unternehmen mit 220.000 Mitarbeitern ansässig. Drei Viertel davon zählten zum Mittelstand, verfügten also über höchstens 500 Mitarbeiter und einen Umsatz von nicht mehr als 50 Millionen Euro.
„Deutsche Mittelständler spielen eine wichtige Rolle für die chinesische Wirtschaft”, sagt Kammerchefin Alexandra Voss. Begehrt seien sie wegen ihrer außergewöhnlichen Produkte, der Innovationen und der Qualität. „Die Nachfrage nach hochwertigen Spezialprodukten wird in China steigen, gerade in der Umwelt- und Medizintechnik, wo deutsche Mittelständler besonders stark sind”, erwartet Voss.
Jörg Höhn, der Geschäftsführer des German Centre in Peking, verweist auf die Pläne der Regierung in Peking, den Binnenverbrauch anzukurbeln und stärker auf den Umwelt- und Ressourcenschutz zu achten. „Wenn sich hier die Spreu vom Weizen trennt, haben deutsche Mittelständler mit ihren Qualitätsprodukten gute Aussichten.” Allein im German Centre, das zur Landesbank Baden-Württemberg gehört, sind auf 17 Etagen 100 deutsche Unternehmen untergekommen.
Das German Centre in Schanghai ist sogar noch etwas größer, ein drittes könnte in dem ehemaligen deutschen Kolonialhafen Qingdao entstehen (Tsingtau – mehr als Bier und deutsches Erbe: Maos Bett z.B.; Die Deutschen wollen nicht zurück nach Tsingtau: https://www.faz.net/-gqe-73e0u; In China entsteht der größte Hafen der Welt: https://www.faz.net/-gqe-73a4c ).
Selbst in Branchen, die schrumpfen, erwarten die Deutschen steigende Aufträge. Der Immobilienentwickler Drees & Sommer aus Stuttgart hat sein Büro in einer Zeit eröffnet, in der sich die Bauwirtschaft abkühlt. Die Regierung bekämpft Spekulationen, die Preise fallen, die ersten Bauträger sind insolvent. „Das beunruhigt uns nicht”, sagt der Geschäftsführer in Peking, Markus Lauber. „Der Schwenk von Quantität zu Qualität kommt uns zugute.” Lauber setzt auf Modernisierung, Wärmedämmung und Energiesparen.
Während Drees & Sommer auf die Zukunft hoffen, illustriert der Maschinenbauer Aura, wie bedeutsam der chinesische Markt jetzt schon ist. Ein Drittel des Umsatzes von rund 30 Millionen Euro erwirtschafte man im Reich der Mitte, sagt China-Repräsentant Li Peng. Die wichtigsten Kunden von Aura, das Anlagen für industrielle Prozesswärme liefert, sind die staatlichen Öl- und Gasförderer.
Zum einen explodiert der Rohstoffbedarf Chinas, des größten Energieverbrauchers der Welt (Gegenwind für Chinas Rohstoffkonzerne). Hinzu kommt, dass der Mittelständler aus der Pfalz den Chinesen ins Ausland folgt. So habe man von Cnooc Aufträge in Indonesien erhalten und von Petro China in Sudan und Iran, sagt Li.
Auch Pfisterer, ein schwäbischer Hersteller von Kontakten in Überlandleitungen, installiert seine Bauteile in Produkte, die Chinesen exportieren. Noch macht der China-Anteil erst 3 Prozent des Umsatzes aus. Aber der Erlös verdopple sich jedes Jahr, sagt Geschäftsführer Jan-Henrik Kuhlefelt. „China ist der wichtigste Markt, also müssen wir hier sein.” Siemens oder ABB ließen dem Familienbetrieb keine Wahl: Wo die Großen hingingen, erwarteten sie eine Präsenz auch ihrer Zulieferer.
Es ist ein typischer Schritt für Mittelständler, zunächst ihren deutschen Kunden nach China zu folgen und dann den chinesischen Partnern in weitere Länder. Üblich ist auch der Weg, den der Familienbetrieb Lechler aus Metzingen gegangen ist. Nach drei Jahren Import entschied sich der Hersteller industrieller Sprühdüsen dafür, in Peking eine eigene Fertigung aufzubauen, um die Kosten zu senken. Heute stammt ein Zehntel des Gesamtumsatzes aus China, der Zuwachs beträgt rund ein Viertel im Jahr.
Natürlich plagen die deutschen Mittelständler auch Sorgen, etwa der Patentdiebstahl. Trotz der eigenen Fertigung produzieren Lechler und andere ihre sensibelsten Teile deshalb nicht in China, sondern liefern sie aus Deutschland zu. Die deutsche Regierung müsse die chinesische immer auch auf die Korruption ansprechen, fordert der Geschäftsführer von Lechler in Peking, Qiu Wenguang. Für die Deutschen sei es ohnehin schwierig, Aufträge zu akquirieren. „Wenn dann noch geschmiert wird, woran wir uns nicht beteiligen, dann geht mancher Auftrag erst recht an uns vorbei.”
Li von Aura sagt, sein Unternehmen habe viele Bestellungen kurz vor dem Zuschlag wieder verloren, weil ein Wettbewerber illegal Geld geboten habe. „Am schlimmsten ist die Lage in den Staatsbetrieben.”
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