Akte Asien

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In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Elton John unterstützt Ai Weiwei mitten in Peking. Warum trauen sich die Deutschen so etwas nicht?

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Elton John hat sein Konzert in Peking dem Regimekritiker Ai Weiwei gewidmet. Die Sängerin Björk unterstützte einst mitten in Schanghai den tibetischen Freiheitskampf. Später handelte sich der Batman-Schauspieler Christian Bale in China Ärger ein, weil er einen blinden Menschenrechtsaktivisten besuchen wollte. Unterdessen zitiert Deutschlands Kulturelite in China lieber Mao. Auch Wirtschaft und Politik gehen jedem Konflikt aus dem Weg. Muss das sein? Darf das sein?

Von CHRISTIAN GEINITZ, Peking

Elton John hat sein Konzert in Peking dem Regimekritiker Ai Weiwei gewidmet. Die Sängerin Björk unterstützte einst mitten in Schanghai den tibetischen Freiheitskampf. Später handelte sich der Batman-Schauspieler Christian Bale in China Ärger ein, weil er einen blinden Menschenrechtsaktivisten besuchen wollte. Unterdessen zitiert Deutschlands Kulturelite in China lieber Mao. Auch Wirtschaft und Politik gehen jedem Konflikt aus dem Weg. Muss das sein? Darf das sein?

Bild zu: Elton John unterstützt Ai Weiwei mitten in Peking. Warum trauen sich die Deutschen  so etwas nicht?

Briten lieben die Freiheit, da können sie noch so extravagant sein. Vermutlich sind es sogar die extravagantesten, die sie am meisten lieben. Elton John jedenfalls, der immer mopsiger, aber irgendwie auch immer zeitloser wird, scheut nicht davor zurück, den verfolgten chinesischen Künstler Ai Weiwei öffentlich zu unterstützen – und das mitten in Peking, mitten in der Höhle des Drachen sozusagen. Dort gab der englische Schmusesänger am Sonntag ein Konzert im ehemaligen olympischen Basketballstadion von Wukesong. Dabei rief Sir Elton (65) nach Angaben verschiedener Medien dem Publikum zu, er widme die Aufführung Ai Weiwei. Diesen, der zehn Jahre jünger ist, hatte er vor seinem Auftritt getroffen, allerdings nicht einmal zehn Minuten lang, wie Ai später twitterte (https://twitter.com/aiww; https://www.scmp.com/news/china/article/1091040/elton-john-dedicates-beijing-concert-ai-weiwei; https://www.thetimes.co.uk/tto/news/world/asia/article3611290.ece;  https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/music/news/elton-john-dedicates-beijing-gig-to-ai-weiwei-8351994.html).

Der Regimekritiker Ai war im vergangenen Jahr von Sicherheitskräften verschleppt und mehr als 80 Tage lang ohne Rechtsgrundlage festgehalten worden. Bis heute darf er das Land nicht verlassen. Er möge Elton John sehr, zwitscherte Ai, der nach Medienangaben von der Zueignung des Konzerts ehrlich überrascht schien. Elton John sei „aufrichtig, großzügig”. Ai  garnierte seine Einträge mit Schnappschüssen, die die beiden Männer zusammen zeigen sowie Elton Johns Sohn (das Foto der Künstler ist insofern drollig, als Elton John neben Ai Weiwei fast grazil wirkt; https://mobile.twitter.com/aiww/status/272663611829284865?p=v).

Bisher ist keine Reaktion der chinesischen Sicherheitsbehörden auf Elton Johns Bekenntnis zu dem Verfemten bekannt geworden. Interessant ist die Frage, ob der Brite am Nikolaustag wie geplant ein weiteres Konzert im südchinesischen Kanton (Guangzhou) geben darf, oder ob es die Behörden unterbinden werden. Englischsprachige Internetmedien spekulieren schon: “Chinese Elton John fans who missed his sold-out show in Beijing last night may never get another chance to see the superstar…” (https://www.newser.com/story/158205/elton-john-praises-dissident-at-beijing-concert.html).

Ob die Anhänger in Peking wirklich so überrascht waren, wie die Presse berichtet, und ob tatsächlich ein “Raunen” durch die Reihen ging, als Elton John das Konzert „dem Geist und Talent” Ai Weiweis widmete, ist nicht ganz klar. Es gibt Konzertbesucher, die weder die Zueignung selbst noch die angebliche Aufregung mitbekommen haben. Auch sei die Veranstaltung mitnichten ausverkauft, sondern halb leer gewesen (andere Quellen sprechen von 10.000 bis 12.000 Zuschauern). Ein Großteil des Publikums, so wurde mir außerdem gesagt, waren Ausländer.

Doch unabhängig davon zeigt Elton Johns Engagement ein gewisses Maß an Zivilcourage. Denn selbst Musiker von Weltrang müssen – das weiß kaum jemand im Westen – mit den chinesischen Zensur- und Propagandabehörden zusammenarbeiten. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, sind sie gezwungen, sich ihre Liedtexte vor den Auftritten genehmigen zu lassen. Elton Johns Kalter-Krieg-Heuler „Nikita” von 1985 passierte diese Hürde unbeanstandet, obwohl man ihn mit etwas Mühe vom Ostblock der achtziger Jahre aufs heutige China übertragen kann: “And if you’re free to make a choice / Just look towards the West and find a friend.”

Der Engländer ist nicht der erste und hoffentlich nicht der letzte Künstler aus der freien Welt, der sich vom chinesischen Sicherheitsapparat nicht abschrecken lässt. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang die isländische Sängerin Björk. Sie sorgte bei einem Konzert 2008 in Schanghai für Wirbel. Am Ende ihres Protest-Lieds „Declare Independence” rief sie „Tibet! Tibet!” und forderte dazu auf: „Raise your flag”. Daraufhin beschuldigte sie das Kulturministerium in Peking, die „Gefühle des chinesischen Volkes” verletzt zu haben.

Man darf annehmen, dass die Künstlerin den Appell damals aus Überzeugung und nicht aus PR-Gründen formulierte. Denn unter ihren chinesischen Anhängern sind mit solchen Freiheitsforderungen kaum Blumentöpfe zu gewinnen. Die Mehrheit der (Han)-Chinesen sieht Tibet als integralen Bestandteil Chinas an. Umso mehr Achtung verdient der Schritt der Sängerin.

Ähnliches gilt auch für den britischen Schauspieler Christian Bale („Batman”). Im Dezember vor genau einem Jahr versuchte er, den blinden chinesischen Bürgerrechtler Chen Guangcheng in seinem – auch nach chinesischen Maßstäben illegalen –  Hausarrest aufzusuchen. Bale und das ihn begleitende amerikanische Kamerateam wurden von Sicherheitskräften daran gehindert, offenbar auch unter Einsatz von Gewalt. Der Schauspieler sagte später, er habe Chen seiner Unterstützung versichern wollen, er sei für ihn “eine Inspiration” (CNN-Video und Bericht: https://edition.cnn.com/2011/12/15/world/asia/china-bale-activist/index.html?hpt=hp_c2.)

Wo bleiben eigentlich mutige Deutsche, die solche Schritte wagen? Eine einfache Erklärung dafür, dass es sie nicht gibt, könnte sein, dass wir nicht genügend Künstler von Weltruhm aufbringen. Sogar Island hat offenbar mehr… Aber an deutschen Unternehmensführern, Politikern und Diplomaten, die sich in China die Klinke in die Hand geben, fehlt es nicht. Die Angelsachsen pochen viel mehr auf die Freiheitsrechte als unsere Vertreter, nicht nur die Künstler: So versuchte noch vor Bale der republikanische Kongressabgeordnete Chris Smith Chen zu besuchen, ebenfalls erfolglos. Später nahm die US-Botschaft den geflüchteten Aktivisten auf und konnte ihn nach langen Verhandlungen mit den chinesischen Behörden in die Vereinigten Staaten ausfliegen.

Den deutschen Repräsentanten von Kultur, Kommerz und Politik fällt es viel schwerer, eine kritische Haltung zu China einzunehmen. Im Gegenteil, oft biedern sie sich geradezu an. Unvergessen ist die Eröffnungsveranstaltung der deutschen Ausstellung „Kunst der Aufklärung” im neuen chinesischen Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens Anfang April 2011. In einer der Reden bemühte ein deutscher Museumsvertreter damals sogar Mao Tse-Tung, um den Gastgebern zu gefallen – jenen großen Freund des aufgeklärten Denkens, dem Millionen seiner Landsleute zum Opfer fielen (und der deshalb sogar in China umstritten ist).

Bild zu: Elton John unterstützt Ai Weiwei mitten in Peking. Warum trauen sich die Deutschen  so etwas nicht?

Was die chinesischen Machthaber vom unverstellten Gedanken- und Kulturaustausch, von der Freiheit in der Debatte und von individueller Mündigkeit hielten, zeigten sie anlässlich der Ausstellung gleich auf doppelte Weise: Zuerst verweigerten sie dem Sinologen Tilman Spengler die Einreise, da er einst eine Laudatio auf Liu Xiaobo gehalten hatte, den inhaftierten Dissidenten und spätere Friedensnobelpreisträger. Spengler reiste nicht etwa individuell an, sondern war Teil der offiziellen Ausstellungs-Delegation von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Dennoch dachte der vermeintliche Freiheitspolitiker nicht im Traum daran, wegen des Eklats mit einer Absage der Reise zu drohen.

Kaum war Westerwelle aus Peking wieder abgeflogen, folgte der nächste Schlag gegen alles, wofür die Aufklärer (und eigentlich auch liberale Parteien) stehen: Ai Weiwei wurde am Flughafen festgenommen und, wie oben erwähnt, ohne Haftgrund weggesperrt.

Nicht nur Westerwelle zeigt sich Peking gegenüber derart weichgespült, auch die christlich-demokratische Bundeskanzlerin wird immer zahmer, je abhängiger Deutschland und Europa von dem Riesen in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht werden. Längst vergangen sind die Zeiten, als Angela Merkel (CDU) 2007 den Dalai Lama traf und daraufhin deutsche Politiker und Unternehmer in China geschnitten wurden. Heikle Fragen spricht sie zwar an. Als aber bei ihrem ersten China-Besuch in diesem Jahr der Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping daran gehindert wurde, sie zu treffen, schwieg die Kanzlerin, bis die Presse davon Wind bekam. Bei der zweiten Visite im August hätte man Mo wieder einladen können, um ein Zeichen zu setzen, das aber unterblieb. Auch Ai Weiwei erhielt – natürlich – keine Einladung.

Dieses Einknicken wird von Menschenrechtsorganisationen durchaus wahrgenommen. So empört sich die Organisation Free Tibet in London darüber, dass die internationale Gemeinschaft zu der zunehmenden Zahl von Selbstverbrennungen in den tibetischen Gebieten schweige. Mönche und Laien steckten sich dort selbst in Brand, um gegen die chinesische Besatzung zu protestieren, doch der Westen halte still. Illustriert wird der Beitrag im Internet mit einer Fotomontage. Sie zeigt den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Angela Merkel, geknebelt mit einer rotchinesischen Flagge.

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Fotos: Ai Weiwei, Freetibet


13 Lesermeinungen

  1. freikorpsfan sagt:

    Ai Weiwei gehört zu der...
    Ai Weiwei gehört zu der Spezies der sich selbst überschätzenden Asiaten, die ich bei meiner Tätigkeit in fernöstlichen Banken zur Genüge kennenlernen durfte. Die Selbstüberschätzung entsteht während des Aufenthaltes im Westen oder beim intensiven Kontakt mit westlichen Medien. Zu dieser Spezies gehört auch die unsägliche Grinsekatze namens Dalai Lama, die zu unerhörter Höchstform auflief, als sie noch bei Roland Koch und anderen CDU-Granden ein- und ausgehen durfte. Ein wenig weniger Beachtung wie bei dem dümmlich kichernden Dalai Lama tut auch Ai Weiwei gut.

  2. itzi sagt:

    Liebe Kommentatoren,
    vielen...

    Liebe Kommentatoren,
    vielen Dank für Ihre Denkanstöße (auch wenn ich mir im Schlagabtausch mehr Florett und weniger Säbel gewünscht hätte). Einige Erwiderungen zu dem, was Sie schreiben:
    a) Ganz so unbeachtet ist Ai Weiwei in China nicht. Man kennt ihn nicht zuletzt wegen seines berühmten Vaters, des Malers und Dichters Ai Qing. Gebildete Chinesen haben Ai Weiweis Bücher gelesen („Ci Shi Ci Di / Time and Place“) und wissen, dass er am Entwurf des Olympiastadions „Vogelnest“ beteiligt war. Auf Twitter hat er mehr als 180.000 Follower, vermutlich Festlandchinesen, jedenfalls solche, die Kurzzeichen lesen und – das sieht man an den Retweeds – schreiben können. Wahrscheinlich wären es noch mehr, wenn Twitter in China nicht von der Internetpolizei gesperrt wäre… Als Ai im November vor einem Jahr 12 Mio. Yuan Steuern nachzahlen sollte, gingen Millionen an Spenden von Zehntausenden Anhängern ein, vor allem aus dem Inland. Teilweise wurden Geldscheine als Papierflieger auf sein Grundstück geworfen. Man muss aufpassen, liebe Kritiker, dass man der chinesischen Propaganda nicht auf den Leim geht, die jeden Abweichler sofort als isoliert darstellt.
    b) Erschrocken bin ich darüber, dass Ais vermeintliche Unbekanntheit und seine vermeintlich schwachen oder abstoßenden Werke als Rechtfertigung seiner Verfolgung herhalten sollen. Selbst wenn ihn niemand außer seiner Frau Lu Qing und seinem Halbbruder Ai Xuan (der als Maler übrigens auch nicht ganz unbedeutend ist in China) kennte und selbst wenn er der schlechteste Künstler unter der Sonne wäre, kann das doch niemals das Vorgehen der Behörden gegen ihn begründen! Ich empfehle, die chinesische Verfassung zu lesen. In Artikel 33 heiß es: „Alle Bürger der Volksrepublik China sind vor dem Gesetz gleich. Der Staat schützt und respektiert die Menschenrechte.“ Artikel 35 gewährt das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht zu demonstrieren.
    c) Besonders weise ich auf Artikel 37 hin: „Die Freiheit der Person der Bürger der Volksrepublik China ist unverletzlich. Kein Bürger darf ohne Genehmigung oder Entscheidung einer Volksstaatsanwaltschaft oder ohne Entscheidung eines Volksgerichts verhaftet werden, und Verhaftungen müssen durch ein Organ für öffentliche Sicherheit vorgenommen werden. Die rechtswidrige Beraubung oder Beschränkung der Freiheit der Person von Bürgern durch rechtswidrige Festnahme oder andere Mittel ist verboten.“
    d) Das führt mich zum entscheidenden Punkt. Sowohl nach internationalen Standards als auch nach chinesischem Recht war Ais Verschleppung unzulässig. Es gab keinen Haftbefehl und keine andere Rechtsgrundlage, um ihn 81 (!) Tage an einem unbekannten Ort festzuhalten. Er wurde keinem Haftrichter vorgeführt, die Festnahme ihm gegenüber nicht begründet. Sein Anwalt und seine Familie wurden nicht informiert, seine Ehefrau erst nach sechs Wochen 20 Minuten lang zu ihm gelassen. Die Haftbedingungen unter ständiger Beleuchtung und Aufsicht zweier Bewacher sind, wohl nicht ganz zu Unrecht, als psychische Folter beschrieben worden.
    e) Eine solche Form der „häuslichen Überwachung“ von bis zu sechs Monaten hat der Nationale Volkskongress dann im März dieses Jahres, also lange nach Ais Freilassung, legalisiert – und zwar als Teil des reformierten und hochfragwürdigen Strafverfahrensrechts. Aber selbst das bedeutet nicht, dass die internationale Gemeinschaft es hinnehmen muss, wenn nationale Gesetze gegen die Menschenrechte verstoßen – so wenig wie man das in anderen Unrechtsregimen akzeptiert hat und akzeptieren darf. Es ist schon ziemlich unverfroren, die gesetzlich abgesicherte Verfolgung möglicher Steuersünder in Deutschland, die natürlich Rechtssicherheit und Rechtsbeistand genießen und für welche die Unschuldsvermutung gilt, mit der Willkür in Ländern wie China zu vergleichen, die eben keine Rechtsstaaten sind.
    f) Um es ganz deutlich zu sagen: Selbst wenn Ai Weiwei in all dem schuldig sein sollte, was ihm zur Last gelegt wird, dürfte man mit ihm nicht derart umspringen. Und schon gar nicht darf man es, bevor er verurteilt wurde. Uns Journalisten sagte einmal ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums beim Mittagessen, er verstehe die Aufregung im Ausland nicht. Ai Weiwei sei ein Verbrecher wie jeder andere. Diese Aussage zu einer Zeit, als die Ermittlungen noch andauerten, ist entlarvend und erschreckend zugleich. Denn sie legt eine Vorverurteilung zugrunde, die im internationalen und eigentlich auch im chinesischen Verständnis nicht zulässig ist.
    Ich bin sicher, liebe Kommentarschreiber, dass Sie dieses und andere hohe Güter des Rechtsstaats Ihrerseits nicht missen möchten. Dazu müssen Sie weder Freunde von Ai Weiwei noch von Elton John sein. Schön wäre allerdings, Sie blieben der F.A.Z. gewogen.
    Mit besten Empfehlungen aus Peking
    itz.

  3. aureliano sagt:

    Herr Geinitz, unbestimmt...
    Herr Geinitz, unbestimmt aufrührerisch und hochwollend gestimmt, hält Elton Johns Tuntengesang offenbar für Kunst von Weltrang, wie “wir” (wen meint er damit?) sie mangels künstlerischer Formate nicht aufbrächten. Na denn. Über Herrn Ai Wei Wei schreibt er, der sei “im vergangenen Jahr von Sicherheitskräften verschleppt und mehr als 80 Tage lang ohne Rechtsgrundlage festgehalten worden”. Nun, wenn bspw. die deutschen Steuerbehörden den Eindruck gewinnen, jemand sei bei der Abgabe seiner Steuererklärung zu Lasten des Fiskus entschieden und auch noch vorsätzlich einfach zu subjektiv gewesen, und das im Millionenbereich, und ein Staatsanwalt und ein Ermittlungsrichter denselben Eindruck haben, sind ein Haftbefehl und dessen Vollzug eine auch hierzulande recht übliche Folge, vor allem wenn der Haftgrund der Flucht- und Verdunklungsgefahr angesichts eines unmittelbar bevorstehenden Reiseantritts ins Ausland zu bejahen ist. Das “Verschleppen” ist also auch deutschen Strafverfolgern nicht ganz wesensfremd, und die Rechtsgrundlage findet sich u.a. in der StPO, dem StGB und der Abgabenordnung . Herr Geinitz weiß das vielleicht nicht, was sicherlich daran liegt, daß seine Steuererklärung inhaltlich objektiv ist. Weiter findet er, daß “wir nicht genügend Künstler von Weltruhm aufbringen”, was der wahre Grund mangelnden Engagements zugunsten des Unternehmers Herrn Ai sei. Ein solcher Schluß hat – abgesehen von seiner Infamie – Züge des idiotischen. Ist bspw. Gerhard Richter deshalb kein Künstler von Weltrang, weil er sich nicht in die Reihe der Mutigen stellt, die Mut vor einem Herrscherthron üben, der in einem Sicherheitsabstand von zehn Flugstunden weiter östlich steht? Die künstlerischen Emanationen Herrn Ais? Hochmögende Bastelarbeiten, selbstgefälliges Gezappel vor der Kamera, obszöne Gesten. Ein blöde zusammengenagelter Turm aus Holztüren, der das kulturelle Erbe Chinas beschwören soll (!), bricht beim ersten kräftigen Windstoß zusammen, was den Kurator der mißlungenen Veranstaltung documenta12 zu erhöhter Verzückung über den frischgebackenen Müllhaufen veranlaßt oder zumindest so tun läßt. Ein noch mißlungeneres (falls das möglich ist) wie unbedingt verkommenes Machwerk, verkommen wie sein gröhlender Urheber, war die Bastelarbeit, mit der Herr Ai sich zum Wahrer des Andenkens der chinesischen Kinder aufschwang, die bei dem Erdbeben in der Provinz Yunnan im Frühjahr 2008 ums Leben gekommen waren. Aus tausenden bunter Schulranzen bastelte er den Schriftzug: “Sieben Jahre lebte sie glücklich in dieser Welt” und pappte ihn an eine große Wand. Die Worte hatte er aus einer Todesanzeige chinesischer Eltern abgeschrieben, die ihre kleine Tochter verloren hatten. Man begreift: da konnte Herr Ai Wei Wei einfach nicht widerstehen. Denn es gibt nun mal keinen potenteren Moralspender als Kinderleichen. Die können sich nicht wehren, wenn einer ungefragt und auf ihre Kosten den Edlen mimt und sich an sie ranwanzt. Die Rührung des Publikums, soweit eingetreten, hat dabei etwas von der werbesprichwörtlichen Fünf-Minuten-Terrine: kostet wenig und geht schnell. Überflüssig zu sagen, daß das Werk selbst in Machart und Erscheinung tölpelhaft war und Herrn Ai die Frage uninteressant schien (falls sie ihm überhaupt in den Sinn kam), wer eigentlich und unter welchen Arbeits- und Vergütungsbedingungen die 9000 Schulranzen in welcher Fabrik hergestellt hatte. Was auch konsequent ist: Wäre Herr Ai auch nur halb so mutig wie er s gern wäre (aber nicht ist), thematisierte er bspw. die Machtverhältnisse, die in erbärmlichen Produktionsbedingungen zum Ausdruck kommen, dann: ginge die Zahl der Interviewanfragen schlagartig gegen null. Und Elton John müßte sich einen neuen Helden suchen.

  4. leiming sagt:

    Ich lebe seit 10 Jahren in...
    Ich lebe seit 10 Jahren in China und bin mit einer Chinesin verheiratet. Weder einer aus meiner Verwandtschaft, noch im Freundeskreis oder bei den Arbeitkollegen, kennt Ai Weiwei und die wenigen die ihn kennen identifizieren sicht nicht mit ihm und wollen nicht mit ihm zu tun haben. Das ist schon seltsam, nicht wahr?

  5. perfekt57 sagt:

    möglicherweise sieht man da...
    möglicherweise sieht man da was falsch. die deutschen haben nämlich doch zivilourage. und ein großes herz. und überhaupt gar keine proleme damit, gleich hier die notwendigen dissidenten zu machen. und dann kommt elton auch hierher.
    .
    und bzgl. china gilt wohl auch, dass die masse der deutschen mehr “an egon bahr glaubt”, an “wandel durch annäherung”, als an bloße protestkunst: was dem einen sein protestsong ist dem anderen sein chemiewerk.
    .
    wobei jede ernst zu nehmende politische analyse zeien würde, dass es sich hierbei aber um dialetk in rein(st)form handelte:
    .
    die ddrg ging an mangel an intakten chemiewerken zugrunde (leuna, buna = schrott), nicht am übermass an protestsongs. während wir in china zwar – wie hier – zu mehr untertstützung für protest aufrufen – gleichzeitig den chinesen aber die weltbesten kombinate neu hinstellen. (tsss…) (was am ende vielleicht sogar nahelegte, es ginge uns mehr ums kaufmännische (“nach art lübecks zur zeit der buddenrooks”) als um verwirklichung der menschenrechte und freie, gleiche und geheime wahlen für jeden einelnen chinesen.)

  6. freikorpsfan sagt:

    Weil Oh Weh Weh wenige...
    Weil Oh Weh Weh wenige wirklich interessiert… Sack Reis!

  7. Burk2 sagt:

    Aiweiwei ist für die meisten...
    Aiweiwei ist für die meisten Chinesen und auch “Westler” ein grobschlächtiger unkultivierter Mensch, der weder als Reformkritiker noch als Künstler anerkannt ist.
    Er ist seit 1995 ein Markenartikel Uli Siggs, Vice-Chairman des Schweizer Medienkonzern Ringier und Springerpartner, der darauf achtet, dass sein Ziehsohn unkritisiert und im Markt bleibt. Es ist schockierend und beschämend, lächerlich und naiv, sich wie Elton John vor ein Publikum hinzustellen, dessen Mehrzahl sicherlich Aiweiwei verachtet oder auch gar nicht kennt und zu belehren.
    Mit seiner einfältigen “Politik der Nadelstiche” und Instrumentalisierung Aiweiweis hat sich Deutschland schon lächerlich genug gemacht, nicht in den Augen des chinesischen Regimes, sondern der meisten Chinesen.
    Aiweiweis Beschimpfungsatacken sind weder hilfreich noch weiterführend. Mit erhobenen Mittelfinger durch Deutschland zu rennen, sich vor den Reichstag zu stellen, vor die Dokumenta in Kassel und anzuzeigen “Ich fi…euch” zeugt lediglich von proletarischen Benehmen aber nicht von Kunst. Seine Mitarbeiter wie bei der Ausstellung “So sorry” in München ins TV Mikrophon sagen zu lassen “Fuck China” entspricht deutscher Kultur, Diskussions- und Benehmnsformen? Mag inzwischen sein, aber noch nicht chinesischer. Man sollte es schon Chinesen überlassen, welche Arten der Umgangsformen sie pflegen oder auch nicht verkommen lassen oder sich mit der Entwicklung ihres Landes auseinandersetzen, denn das tun inzwischen unzählige, in Bloggs und Diskussionsforen und an den Universitäten und politischen Gremien. dafür bedarf es nicht eines herumpöbelnden aufgebauten “Künstlers”
    Als “Dissidenten” gibt es heutzutage wahrlich ein weitaus intellektuelleres, strukturell effizienters und auch gewählters Publikum.
    Seine letzte Diskussion im Juli 2012 beendete Aiweiwei mit einem Schlag ins gesicht des Intellektuellen Fa. Darauf war er stolz. Inzwischen ist Aiweiwei kein Beispiel mehr für chinesische Intoleranz sonder wohl eher dafür, was man alles frei machen darf. In Deutschland hätten Deutsche längst Anzeigen, wegen Pöbeleien, groben Unfugs und Beleidigungen.Er “bekämpft” kein System, er profitiert von diesem und schlachtet es sehr gut zu seinem Vorteil der Selbstdarstellung aus..

  8. g.both sagt:

    Die Deutschen haben aus ihrer...
    Die Deutschen haben aus ihrer Vergangenheit offenbar Nichts gelernt, sie knicken auch heute noch vor jeder Obrigkeit ein und wagen es nicht, für die Freiheit aufzustehen.
    Insbesondere die derzeitige Politikergeneration zieht in den meisten Fällen eine Appeasement-Politik vor – bloß nicht die schönen Wirtschaftsbeziehungen stören!

  9. Der Mut der Deutschen, ihr...
    Der Mut der Deutschen, ihr Rückgrat, zeigt sich z.B. an dem Umgang mit Genitalverstümmelern. Die Deutschen können noch nicht einmal in ihrem eigenen Land Babys vor religiösem Atavismus schützen, auch wenn es nur eine Minderheit ist, die Blut für Gott fließen sehen will.
    Wie sollten die Deutschen dann einem Volk wie den Chinesen widerstehen können, das weit mehr als 1.000.000.000 Einwohner hat?

  10. mot2 sagt:

    Elton John ist eine Sache, es...
    Elton John ist eine Sache, es ist sein gutes Recht sich zu engagieren, ebenso ist es recht, sich nicht zu engagieren.
    Ich brauche in Sachen China keine Nachhilfe, habe 14 Jahre ständig, täglich, in China und in Deutschland mit Chinesen intensiven Kontakt gehabt, Ich finde es als eine Anmassung in meinem Namen zu sprechen oder mich oberlehrerhaft aufzufordern, Partei zu ergreifen.
    zum Grusse

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