Akte Asien

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In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Feuer unterm Dach

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Die Feuerkatastrophe in Bangladesch ist ein weiterer Weckruf für die internationale Textilindustrie. Hört sie ihn?

Die Feuerkatastrophe in Bangladesch ist ein weiterer Weckruf für die internationale Textilindustrie. Hört sie ihn?

 

Von Christoph Hein

Die internationale Textilbranche fürchtet die Folgen des tödlichen Feuers in der Fertigung in Bangladesch. Deshalb macht die Branche gegen die zum Teil katastrophalen Arbeitsbedingungen im zweitgrößten Textillieferland der Erde mobil. Schlagzeilen wie „Bangladesch ist die Hölle” in der Boulevardpresse oder Talkshows zum Thema wie die Runde mit Günter Jauch drohen der Branche das Weihnachtsgeschäft zu vermiesen.

„Viele Manager haben mir gesagt, dass es ihnen Sorgen bereite, in Bangladesch fertigen zu lassen”, warnte der amerikanischen Botschafter in Dhaka, Dan Mozena im Sommer. Karl-Johan Persson, der Vorstandschef von Hennes & Mauritz, forderte Bangladeschs Ministerpräsidentin Sheikh Hasina vor Wochen öffentlichkeitwirksam dazu auf, den Mindestlohn einhalten zu lassen und dessen Anheben zu prüfen. „Stabile Märkte, in denen die Menschen mit Respekt behandelt werden, und die Arbeiter von ihren Firmen ordentlich bezahlt werden, sind enorm wichtig.” Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht Vertreter zahlreicher weltumspannender Handelsketten über ihr Vorgehen beraten. Hinter den Kulissen rechnen die westlichen Firmen schon mit spitzem Stift: „Verlagern wir Fabriken nach China oder Sri Lanka, kostet uns das pro Jeans etwa 25 Cent mehr. Wenn wir aber die schlussendlichen Folgen von Unruhen in Bangladesch betrachten, liegen die zusätzlichen Kosten dort bei mehr als 25 Cent. Dann sehen wir uns nach alternativen Standorten um”, sagt ein Textilmanager. Adidas oder Walmart, Metro, Tesco, Kik, Lidl, Primark, Tchibo, C&A, oder H&M lassen in Bangladesch nähen. Mit seinen Problemen steht Bangladesch nicht allein dar: Erst im September waren 289 Arbeiter in Pakistan in einer Textilfabrik verbrannt. Sie war erst wenige Tage zuvor von Auditoren freigegeben worden.

Bei dem Brand in der Fabrik Tazreen Fashions in Ashulia bei Dhaka sind 112 Menschen ums Leben gekommen. Die Polizei erklärte, zu enge Ausgänge verhinderten die Flucht. Zugleich untersucht sie Vorwürfe, Manager hätten die Flucht der Näher verhindert. Auch der Verdacht auf Brandstiftung wird geprüft. In den vergangenen Tagen kam es immer wieder zum Ausbruch kleinerer Feuer in weiteren Fabriken – so schwelten Gerüchte, die Branche stehe unter der Bedrohung durch Sabotage. Nach Ermittlungen des Worker Rights Consortium (WRC) gehen die Brände in Bangladesch und zuvor in einer Fabrik in Pakistan auf die gleichen Muster zurück: „Eine Verkabelung unterhalb jeden Standards, das Fehlen funktionierender Feuertüren, das Fehlen von Sprinkleranlagen, das Fehlen einer Notbeleuchtung und ein Management, das sich erbärmlich verhalten hat, als das Feuer ausbrach. Nach Zeugenaussagen sollen die Manager unter dem Eindruck, die Flammen seien beherrschbar, den Arbeitern gesagt haben, an ihren Maschinen zu bleiben, statt zu fliehen und die Türen verschlossen haben, um die Flucht zu verhindern.”

Lange ist bekannt, dass die Sozialstandards in dem südasiatischen Land auf breiter Front unterschritten werden: „Viele Arbeiter sind gezwungen, 14 bis 16 Stunden an sieben Tagen die Woche zu arbeiten. Einige beenden ihre Schicht um 3 Uhr morgens und fangen um 7.30 wieder an. Darüber hinaus arbeiten sie unter unsicheren, eingeengten und gefährlichen Bedingungen, die oft zu Feuern in den Fabriken führen. Sexuelle Belästigung und Diskriminierung sind weit verbreitet und viele Arbeiterinnen berichten, dass ihnen das Recht auf Mutterschaftszeit versagt werde”, hatte die britische Menschenrechtsorganisation War on Want schon vor der Katastrophe bei Tazreen kritisiert.

Wie aber ist Abhilfe zu schaffen? Bis zu 3 Milliarden Dollar müssten die weltweit tätigen Textilkonzerne über fünf Jahre in die Hand nehmen, wollten sie die Sicherheitsstandards in den Nähfabriken Bangladeschs auf den Standard im Westen bringen, schätzt das WRC. Nach seinen Angaben stiege dadurch der Preis je Kleidungsstück aus Bangladesch um etwa 10 amerikanische Cents. Die 600 Millionen Dollar, die die Auftraggeber jährlich einsetzen müssten, um die Fabriken sicherer zu machen, stehen für etwa 3 Prozent der Summe, die die Textilkonzerne nach Angaben des Branchenverbandes jährlich in die Produktion in Bangladesch stecken. Auf Tazreen bezogen schätzt WRC, dass es die Fabrik rund 1,7 Millionen Dollar gestreckt über zwei Jahre gekostet hätte, Feuersicherheit herzustellen. Auf die Käufer umgelegt, würde ein Tazreen-Sweatshirt dadurch statt 20 knapp 20,50 Dollar kosten. „Kein Programm wird erfolgreich weitere Desaster verhindern, bevor es nicht die finanzielle Unterstützung von Einkäufern einfordert, damit die Fabriken sich verbessern können – verbunden mit der Verpflichtung der Einkäufer, die Geschäftstätigkeit mit den Fabriken einzustellen, die sich weigern, sichere Prozesse herzustellen und aufrecht zu erhalten”, sagt Scott Nova vom WRC. Deutsche Unternehmen wie Kik, Lidl und Metro führen derzeit Gespräche über die Unterzeichnung eines Brandschutzabkommens mit der internationalen Organisation Clean Clothes Campaign. Mit ihr hätten sich schon der amerikanische Hersteller PVH, der die Marken Hilfiger und Calvin Klein führt, sowie Tchibo über ein Brandschutzabkommen geeinigt. Es würde erstmals Gewerkschaften und Organisationen aus den Produzentenländern erlauben, Textilfabriken zu kontrollieren.

Wie abhängig Bangladesch von der Textilbranche ist, zeigen die Exportzahlen. So lag die Ausfuhr Bangladeschs im November knapp 11 Prozent über dem Vorjahreswert. Kleidung steht für 80 Prozent des Exports aus dem südasiatischen Staat. Der Wert der ausgeführten Textilien lag im November bei 1,36 Milliarden Dollar, nach 1,24 Milliarden im November 2011. Bislang liegt der Gesamtwert des Textilexports in diesem Fiskaljahr (30. Juni) mit knapp 8 Milliarden Dollar 5,7 Prozent über dem Wert des Vergleichszeitraums des vergangenen Jahres. Allerdings erwarten die Hersteller auf das gesamte Fiskaljahr aufgrund der Finanzkrise im Westen einen Rückgang um etwa 10 Prozent. Ohne die relative junge Textilherstellung wäre Bangladesch heute kaum noch überlebensfähig: Die mehr als 4500 Fabriken beschäftigen etwa 3,6 Millionen Menschen, unter ihnen immer mehr Frauen, die damit oft schon mehr verdienen, als ihre Männer. Mehr als 12 Millionen Menschen sind darüberhinaus abhängig von dem Sektor, etwa als Zulieferer oder Dienstleister. Der Mindestlohn für ungelernte Arbeiterinnen beträgt 3000 Taka (28,15 Euro) für offiziell acht Stunden Arbeit täglich. Mit Zulagen und Überstunden kommen die Arbeiterinnen auf etwa 35 bis 40 Euro monatlich – der unteren Grenzen, die ein Überleben sichert. Vorarbeiterinnen können durchaus auf umgerechnet 120 Euro im Monat kommen.

Bis 2020, so schätzen die Berater von McKinsey, werde sich die Summe des Exports von Hemden oder Hosen aus Bangladesch verdreifachen. Neben allen Problemen wird damit auch eine soziale Revolution umgesetzt: Wenn Frauen Arbeit finden, sinkt die Geburtenrate. Im stark überbevölkerten Bangladesch ging sie von 4,5 im Jahr 1990 auf heute 2,2 zurück. Zugleich steigt die Zahl der Mädchen, die Schulen besuchen. Kaum jemand hätte dem muslimischen Land mit seinen gut 160 Millionen Einwohnern, bekannt als das Armenhaus des sowieso armen Südasiens, je zugetraut, bei den Sozialstandards zumindest an Nachbarstaaten Indien oder Pakistan heranzurücken, und sie in den besseren Fabriken zu überholen.


1 Lesermeinung

  1. fionn sagt:

    One problem is this:
    When...

    One problem is this:
    When e.g. a European chain store places an order for clothes with a firm in Bangladesh, that order may be passed on to another cheaper manufacturer in Bangladesh.
    The European buyer maybe does not know that…..

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