Sie wollen ein Baby? Dafür aber gibt es in Deutschland zu wenig Kindergeld, zu wenig Krippenplätze, zu wenig Elternzeit? Kommen Sie nach Singapur, werden Sie Singapurerin. Denn weil der Stadtstaat mit immer schnellerer Geschwindigkeit auszusterben droht, fördert er nun massiv Geburten.
Das Programm der „Baby Boosters” führt zu bizarren Verhaltensmustern, zumindest aus westlicher Sicht. Denn vor dem Kinderkriegen steht auch in Singapur die Paarbildung. Um sie pragmatisch-schnell abzuschließen, werden Studenten zu gemeinsamen Ausflügen mit Barbecue und Badmintonspiel auf Staatskosten eingeladen. Auch eine romantische Kahnfahrt auf einem Weiher könnte helfen, oder Blitztreffen mit paarungswilligen Akademikern des anderen Geschlechts. Eine Telefonhotline und die Internetseite „heybaby.sg” bieten Unterstützung bei allen Fragen zum Ungeborenen. Auf der Webpage erscheint dann sofort ein süßes Herzchen und strahlende Paare lächeln einem entgegen – eine Eheberatung braucht hier niemand, Scheidung ist ein no-go.
Was so munter daherkommt, ist im pragmatischen, zielstrebigen Stadtstaat Singapur natürlich alles andere als zufällig. Sonst würde der – zugegeben reiche – Inselstaat nicht weitere 2 Milliarden Singapur Dollar (1,22 Milliarden Euro) in die Produktion neuer Landeskinder investieren. Dafür bekommen junge Familien jetzt beispielsweise mehr Elternzeit – eine Woche für die Väter, eine weitere, die sie mit ihren Frauen wechseln können – bevorzugten Zugriff auf staatliche geförderte Wohnungen und Prämien von jeweils 6000 Singapur Dollar für die ersten beiden Babys, 8000 Singapur Dollar für Nummer drei und vier.
Der Staat schafft Anreize, weil er sonst wegschmilzt. Bei einer Geburtenrate von 1,2 werde Singapurs Bevölkerung ab 2025 zu schrumpfen beginnen. Schon fünf Jahre früher schwände die Zahl der Arbeitskräfte.
Für die Unlust, wenn es um Kinder geht, gibt es Gründe: Frauen der neuen asiatischen Mittelschicht erkennen den Wert, den ein eigenes Einkommen resultierend aus einer guten Ausbildung besitzt. Zugleich bieten die asiatischen Länder wenig Anreize, die Karriere für Kinder zu unterbrechen oder gar aufzugeben. Die Scheidungsrate wächst, und gerade in den neuen Metropolen wie Singapur wollen die Frauen auf eigenen Füßen stehen – Kinder und auch eine Ehe stehen da im Weg. Das Modell der alleinerziehenden Mutter ist in Asien nicht anerkannt, es bietet den Frauen keine Alternative sondern ist nur eine Notlösung. Zugleich werden die Frauen der jungen Mittelschicht wählerischer. Bei einem hohen Männerüberschuss in den meisten Ländern bleiben gerade die Geringverdiener ohne Ehepartnerin.
Singapur liegt mit seinem Baby-Problem im Trend. Das „graue Asien” wird zur Realität. „Asien zählt zu den am schnellsten alternden Regionen der Welt, angeführt von Japan, China, Korea, Taiwan, Singapur und Hongkong. Sogar Thailand, Indonesien und Vietnam ergrauen rasch”, sagt Frederic Neumann, Asienvolkswirt der Bank HSBC. Er warnt: „Die demographische Dividende einer jungen und wachsenden Bevölkerung, die vor allem Chinas Wachstum im vergangenen Jahrzehnt vorangetrieben hat, verflüchtigt sich schnell.” Bis 2030 wird die Zahl der Senioren über 65 Jahre von rund 300 Millionen in Asien auf 580 Millionen steigen. Im Jahr 2050 wird es dann rund eine Milliarde Alte in Asien geben – mehr als jeder Sechste wird dann älter als 65 Jahre alt sein. Schon 2038 dürfte die Zahl der Senioren in China diejenige Amerikas übertreffen.
Die Folgen für die Volkswirtschaften sind dramatisch: Eine alte Bevölkerung bietet weniger Arbeitskräfte. Damit sinken die Wachstumsraten, werden sie nicht durch sprunghafte Produktivitätsfortschritte vorangetrieben. Zugleich dürfte der Konsum schrumpfen. Denn die klassischen Käuferschichten sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Senioren hingegen sind gerade im mit Versicherungen und Pensionen unterversorgten Asien gezwungen, ihr Erspartes aufzulösen – damit ändern sich auch die Kosten für Kapital, und Investitionen könnten versiegen. Alte Menschen verlangen nach Absicherung, nach anderen Produkten, nach anderen Häusern und Wohnungen, nach Betreuung. All dies kostet Geld. So werden zeitgleich die öffentlichen Haushalte zunehmend belastet – und auch ihnen fehlt es an Geld, die Voraussetzungen für Produktivität zu verbessern. Auffangen können sie die Forderungen einer alternden Bevölkerung allenfalls durch höhere Abgaben derjenigen, die Geld verdienen, die dann aber weniger konsumieren werden. Ein Teufelskreis kommt in Gang.
Fast wäre er in Singapur im vergangenen Jahr durchbrochen worden. Denn nach dem chinesischen Kalender war es das Jahr des Drachen, das als besonders glücksverheißend gilt. Doch musste der Stellvertretende Ministerpräsident bei der Vorstellung der 2-Milliarden-Dollar-Spritze für den Baby-Boom zähneknirrschend einräumen, dass es nur einen „Mini-Drachen-Boom” gegeben habe. Wahrscheinlich stieg die Geburtenrate auf 1,28 Prozent. Und weil nun auch noch das Jahr der Schwarzen Schlange folgt, soll Bargeld die Lust steigern helfen.