„Der Vogel fliegt, wenn das Wetter und der liebe Gott es wollen.“ So sagt der Angestellte eines jener vielen Privatunternehmen, die im Amerikanischen „Contractor“ heißen und im Auftrag des Pentagons und des State Department im Irak für die Kriegslogistik im Einsatz sind. Das reicht vom Aufstellen, Entleeren und Säubern der Toilettenhäuschen über den Personenschutz bei Politikern und Besuchern aus dem Showgeschäft zur Unterhaltung der entsendeten Soldaten bis eben zum Erstellen und Verwalten der Fluglisten für Hubschrauber und Transportflugzeuge.
In unserem Fall ist es das Großunternehmen „Kellog, Brown & Root“ (KBR), das sich um die Passagier- und Wartelisten für den Helikopter-Flug vom militärischen Teil des Bagdader Flughafens (BIAP) in die Internationale Zone (IZ) kümmert. Die Leute von KBR selbst sind meistens Amerikaner, Männer jeden Alters in robustem Freizeit-Khaki mit vielfältigen Tätowierungen. Die Scharen der Angestellten der „Subcontractors“ aber, die ihrerseits von KBR Aufträge erhalten, kommen aus aller Herren Länder. Derzeit sind noch etwa 150000 amerikanische Soldaten im Irak stationiert. Um diese zu versorgen, auszurüsten und zu transportieren kommt auf jede Frau und jeden Mann in Uniform mindestens ein weiterer Zivilangestellter: 163500 Menschen sind im Irak für das Pentagon im kriegsunterstützenden Einsatz, davon sind gerade einmal 28000 Amerikaner. Das State Department versorgt weitere 5500 Menschen als Zivilangestellre mit Lohn und Brot, 4500 davon sind Amerikaner.
Der „Vogel“ jedenfalls – so nennt der Mann von KBR in der „Helo Ops“-Halle am BIAP den „Blackhawk“-Hubschrauber kumpelhaft – fliegt heute nicht mehr, wie sich bald herausstellen soll. Tatsächlich ist die Luft über Bagdad seit Tagen ein milchiges Etwas aus Dunst und Sand, dazu gibt es immer wieder heftige Windböen. Keine Chance für einen Helo, es bleibt der Rhino. Der Konvoi aus gepanzerten Bussen pendelt seit Monaten nicht nur im Schutz der Dunkelheit zwischen BIAP und IZ, sondern es gibt auch gegen sieben Uhr eine Morgenfahrt im Tageslicht: Die verbesserte Sicherheitslage macht es möglich.
Der Tages-Rhino ist freilich längst weg, es heißt, den halben Tag auf den Nacht-Rhino zu warten. Der Konvoi, bestehend aus vier gepanzerten Rhino-Bussen, dem Sattelschlepper für das Gepäck und der Eskorte von MRAP-Fahrzeugen des Heeres, setzt sich endlich um 3.30 Uhr in Bewegung. Wie das Flugzeug aus Ammann ist auch mein Bus – die Nummer 2 – nur halb voll: Jetzt bequemer nach Bagdad reisen? Die Passagiere: ein paar Soldaten und einige Beamte des State Department; viele Arbeiter von „Subcontractor“-Unternehmen aus Südostasien, bei denen aus irgendwelchen Gründen die Westen immer zu groß oder zu klein sind und die Helme schief sitzen; und ich.
In Bagdad sind derzeit nur verhältnismäßig wenige ausländische Journalisten. Die großen amerikanischen Zeitungen und die Nachrichtensender unterhalten dort ihre Büros, auch die unerreichte BBC ist seit Jahr und Tag an Ort und Stelle. Deutsche und europäische Medien sind nur sporadisch vertreten. Das Interesse am Irak-Krieg ist in dessen sechstem Jahr erlahmt, zumal seit es nicht nur von katastrophalen Entwicklungen zu berichten gibt, sondern von greifbaren, wenn auch fragilen Fortschritten bei der Sicherheit; von sachter Normalisierung des Alltags; von Kooperation und Kompromiss der Volksgruppen, wenn auch noch nicht von Aussöhnung. Gute Nachrichten sind keine Nachrichten, sagt man, und komplexe Zusammenhänge sind – ja, komplex und nicht leicht zu vermitteln.
Die Fahrt mit dem Rhino von BIAP in die IZ ist wie eh und je – und auch wieder nicht. Die Nacht in Bagdad ist zum Beispiel viel heller als beim letzten Besuch. „Route Irish“, die Hauptverbindung vom Flughafen in die Stadt, ist von Straßenlampen durchgehend beleuchtet. Vor einem Jahr war sie noch stockfinster. Auch die Rhino-Busse fahren jetzt mit eingeschalteten Scheinwerfern und nicht mehr wie ehedem ohne Licht. Das orangefarbene Licht der Straßenlaternen bescheint das vielleicht längste Mauergemälde der Welt: Die irakische Regierung hat Maler beauftragt und bezahlt, damit diese die kilometerlange Schutzmauer aus einzelnen Betonelementen um das Flughafengelände verschönern.
Und dabei haben die Mauerkünstler ganze Arbeit geleistet: Da setzen mächtige Tiger behänden Gazellen hinterher; es rollen Wellen an bukolische Gestade; Brücken schwingen sich über mächtige Ströme; Pferde jagen über die Felder; der Turm von Babylon schraubt sich gleich neben hell erleuchteten Hochhäusern in die Höhe; Flugzeuge steigen in die Luft und Kamele schreiten durch die Wüste. Es ist ein idyllisierendes, farbenprächtiges Panoptikum aus uralter Vergangenheit und leuchtender Zukunft, die beide gleichermaßen von der bedrückenden Gegenwart entrückt zu sein scheinen.
Gewiss, Bagdad ist noch immer die Stadt der Mauern und Barrieren: Die Terroristen sollen kein so leichtes Spiel mehr haben, ihre Todesmaschinen auf belebten Märkten oder beim Freitagsgebet inmitten von Gläubigen detonieren zu lassen; und die Mauern sollen die Aufgehetzten unter den Volksgruppen daran hindern, auf die Nachbarn auf der anderen Straßenseite loszugehen. Aber immer mehr Mauern in Bagdad strahlen jetzt in prächtigen Farben, wobei die neue irakische Flagge, die alle Erinnerungen an die Saddam-Zeit ausgelöscht hat, zu einem der Lieblingsmotive der Mauermaler avanciert ist. Auf die Betonbarrieren der ungezählten Kontrollstellen der irakischen Armee und Polizei sind Plastikblumen aufgepflanzt. Es ist, als solle der kalte, harte, graue Beton, den zunächst die amerikanischen Truppen den vom Hass infizierten Irakern und diese sich später auch selbst in einer Dosis zu Millionen Tonnen verordnet haben, jetzt zum Zeichen der Besserung werden. Anders als die Berliner Mauer sind die Mauern von Bagdad von beiden Seiten bemalt: Vielleicht weil beide Seiten, Sunniten und Schiiten, sie bald wieder loshaben wollen?
Die eskortierte Fahrt mit dem Rhino vom BIAP zum „Combined Press Information Center“ (CPIC) in der IZ, kaum 20 Kilometer, dauert gut eine Stunde. Der extrem hart gefederte Panzerbus kann über die vielen Schwellen vor den Kontrollstellen nur kriechen und kommt auch sonst auf den meist holprigen Straßen nur langsam voran. Es ist eine Fahrt von der einen „Grünen Zone“ am Flughafen durch die „Rote Zone“ der westlichen Vororte und Stadtteile Bagdads in die andere „Grüne Zone“ am Tigris. In der „Roten Zone“ ist es vergleichsweise hell, es brennen viele Straßenlaternen. In der eigentlichen „Green Zone“, die jetzt „International Zone“ heißt, ist es stockfinster, weil Dunkelheit vor möglichen Angriffen mit Granaten und Raketen schützen soll.
Das CPIC, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kongresszentrum liegt, in dem bis auf Weiteres das irakische Parlament tagt, ist fast immer die erste Anlaufstelle und auch Unterkunft, bevor das eigentliche „Embedding“ beginnen kann. Hier wird die Akkreditierung ausgestellt, von hier aus geht es dann hinaus zu der Einheit, die den Berichterstatter aufnimmt. Und hier ist der erste Arbeits- und Schlafplatz in Bagdad.
(Fotohinweis: Alle Fotos Matthias Rüb)