Treffpunkt zehn Uhr früh bei den „Crossed Sabres“. Die „Gekreuzten Säbel“ sind das Denkmal, das sich Saddam Hussein nach dem desaströsen Krieg gegen Iran von 1981 bis 1989 hat setzen lassen. Kaum irgendwo sonst lässt sich die Niedertracht und Brutalität der Herrschaft Saddams so klar mit Händen greifen wie an dem pompösen Siegesdenkmal im Westen Bagdads. Die mächtigen „Hände des Sieges“, die nach den Fingern Saddams geformt sind, halten jeweils zwei 43 Meter lange Säbel, die am Beginn und Ende des Paradeplatzes zwei riesige, 40 Meter hohe Triumphbögen bilden. Am Fundament jeder Hand wurden jeweils etwa 2500 Helme in den noch weichen Beton „geschüttet“. Die Helme sollen von getöteten iranischen Soldaten stammen, die angeblichen Einschusslöcher dürften aber mehrheitlich nachträglich hineingestanzt worden sein. Auch in die Fahrbahn wurden iranische Helme eingelassen: Bei Militärparaden, die Saddam so liebte, rollten seine Kriegsmaschinen dann über die Helme, traten gewissermaßen die Kriegstrophäen von den Köpfen der Feinde mit Füßen. Hin und wieder feuerte Saddam einen Schuss aus seinem Gewehr. Dass Saddam den Krieg gegen Iran faktisch verlor, jedenfalls nicht triumphal gewann, wie es seine Geschichtslegende wollte, beeinträchtigte seine Denkmalbauwut freilich nicht.
Kurz nach dem vereinbarten Zeitpunkt kommen die vier gepanzerten „Humvee“-Jeeps jener Einheit vorgefahren, mit der ich die kommenden Tage verbringen werde – auf Patrouillenfahrten, bei Gesprächen mit irakischen Offizieren und Würdenträgern, bei Einweihungen und Inspektionen von allerlei Hilfs- und Bauprojekten. Meine Einheit ist die „4-10 CAV“, das steht für Viertes Kavalleriesquadron des Zehnten Regiments, das zur Zweiten Kampfbrigade der Dritten Infanteriedivision des amerikanischen Heeres gehört. Das Squadron „4-10 CAV“ trägt den Namen „Black Jack“. Das Wappentier des Regiments ist der Bisonbüffel, denn die Einheit wurde 1866 als eine von ausschließlich schwarzen Soldaten ins Leben gerufen. Die erlangten als „Buffalo Soldiers“ einen legendären Ruf und wurden etwa vom Reggae-Übervater Bob Marley in dessen gleichnamigem Song verewigt. Heute ist das in Fort Carson in Colorado beheimatete Regiment längst nicht mehr ausschließlich und nicht einmal mehr mehrheitlich schwarz; vielmehr dürfte es die ethnische Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft recht genau widerspiegeln.
Es holen ab in der „Grünen Zone“ Hauptmann Shawn Tobin und sein Zug von 15 Mann. Etwa 120 Mann des Squadrons (das entspricht einem Bataillon bei der Infanterie) sind in einer „Joint Security Station“ (JSS) im Stadtteil Adl im Westen Bagdads untergebracht. Der Rest der Einheit ist auf dem Gelände des militärischen Teils des Bagdader Flughafens BIAP stationiert, wo sich auch das Hauptquartier von „4-10 CAV“ befindet. Die Fahrt von den „Gekreuzten Säbeln“ in der „Grünen Zone“ hinaus in die „Rote Zone“ zum JSS Adl führt, nachdem zwei mit viel Beton und Stacheldraht gesicherte Kontrollstellen passiert sind, durch Wohngebiete der Bagdader Mittelklasse. Nach vielleicht 40 Minuten Fahrt durch dichten Verkehr ist die JSS Adl erreicht: Willkommen in der „Roten Zone“.
Die JSS waren und sind das Kernstück der Strategie zur Bekämpfung des Aufstandes, der sektiererischen Gewalt und des Terrors im Irak: In kleinen Einheiten, am besten gemeinsam mit den irakischen Sicherheitskräften, sollen sich die amerikanischen Soldaten in größeren Wohnhäusern oder öffentlichen Gebäuden mitten unter der Bevölkerung Bagdads einquartieren. Sie sollen bei und mit jenen Menschen leben, die sie schützen sollen, statt sich in abgeschotteten Feldlagern vor den Toren der Städte abzukapseln. Hinein in die Stadtviertel, nicht heraus aus der Stadt, lautete von Februar 2007 an der Marschbefehl von Heeres-Generals David Petraeus, dem maßgeblichen geistigen Vater der Strategie. Diese Strategie, zu der auch die Truppenaufstockung um 30000 Mann gehörte, wird von der Geschichtsschreibung vielleicht einmal als Wende im Irak-Krieg dargestellt werden. Gut fünf Dutzend dieser „Gemeinsamen Sicherheitsstationen“ gibt es in und um Bagdad. Die JSS Adl im Nordwesten Bagdads wird für einige Tage mein Wohnort und Arbeitsplatz sein. Meine Unterkunft, aus Sperrholzplatten zusammengezimmert, heißt „VIP Room“. Immerhin, ich muss sie während meines Aufenthaltes mit niemandem teilen, die Einheit hat derzeit keinen anderen Besuch.
Bei dem dreistöckigen Gebäude, einem Monstrum aus Beton, handelt es sich um das einstige „Adl Shopping Center“, ein Einkaufszentrum für die recht wohlhabenden, sunnitisch geprägten Wohngebiete im Westen und Nordwesten Bagdads. Heute ist das Einkaufszentrum mit noch mehr Beton umgeben: Da ist zunächst der äußere Befestigungsring aus meterhohen Betonmauern, auf denen zudem Stacheldraht angebracht ist; zusätzlich sind – zum Schutz vor Schrapnell, falls doch einmal eine Mörsergranate im Gelände landen sollte – Betonmauern unmittelbar vor die Eingänge und rings um das „Adl Shopping Center“ platziert.
Auch die Toilettenhäuschen und der Container mit den Duschen sind mit den für das Bagdad dieser Tage so charakteristischen „Blastwalls“ oder „T-Walls“ umgeben, jenen vielleicht drei Meter hohen Betonmauersegmenten, die im Profil wie auf dem Kopf stehende „T“-Buchstaben aussehen: Willkommen in einer weiteren kleinen „Grünen Zone“ inmitten der „Roten Zone“.
(Fotohinweis: Alle Fotos Matthias Rüb)