Bagdad Blue

Bagdad Blue

Die Gewalt hat nachgelassen in Bagdad und im ganzen Irak. Aber Sicherheit herrscht noch lange nicht. Die Amerikaner sind weiter verschanzt in der

Zwischen Poprock und Muezzin

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist es patriotische Tradition, dass Hollywood-Stars, Entertainer, Musiker und Sportler den amerikanischen Truppen beim Kriegseinsatz in Übersee beistehen und ihnen an der Front wie in der Etappe Unterhaltung und Ablenkung bringen. Millionen Männer und Frauen haben, an allen Ecken und Enden des Globus, die von der USO organisierten Tourneeauftritte miterlebt. Die Tradition lebt auch heute fort - am Golf wie am Hindukusch.

Kennen Sie „Catchpenny“ aus Minneapolis in Minnesota? „Catchpenny“, das sind die Brüder Christian und Zachary Schauf, die beiden Gitarristen und Lead-Sänger der Gruppe, dazu kommen Eric Raum an den Keyboards und Josh Fink am Bass sowie ein Drummer. Eigentlich stammt die unprätentiöse „Boys Band“, die einen grundehrlichen Rockpop spielt, aus Wisconsin. „Doch dort ist es nicht so weit her mit der Musikszene, und deshalb sind wir schon vor Jahren nach Minneapolis gezogen“, erzählt Christian Schauf, der Vormann der Band. Von Minneapolis aus hat die Karriere allmählich abgehoben, mit Auftritten bei Festivals in der Gegend, in den einschlägigen Rocktreffs der Stadt, sogar eine Einladung nach Kalifornien hat es gegeben.
Und jetzt sind sie auf Irak-Tour, der zweiten schon nach einem äußerst erfolgreichen Tourauftakt im August. Damals haben die Musiker aus Minnesota ihre uniformierten Landsleute in Übersee so begeistert, dass für November und Dezember gleich die zweite Tour vereinbart wurde. Der Auftritt in der JSS Adl ist einer von insgesamt 150 „Gigs“, die sie bis zu ihrer Heimkehr nach Minneapolis absolvieren werden.

Bild zu: Zwischen Poprock und Muezzin

Im Atrium des einstigen Einkaufszentrums im Westen Bagdas, das heute die etwa 120 Mann des Kavalleriesquadrons „4-10 CAV“ des amerikanischen Heeres beherbergt, ist eine kleine Bühne aufgebaut. Vom dritten Stock hängt eine gewaltige Flagge herab. Die Feldküche hat für den Anlass „Hot Wings“ gebacken, Hähnchenflügel in scharfer Soße. Dazu gibt es, wie üblich, zuckrige Erfrischungs- und Energiegetränke. Das absolute Alkoholverbot, das für alle amerikanischen Truppen gilt, wird selbstredend auch bei Anlässen wie diesen nicht aufgehoben. Die Musik muss reichen, um Stimmung zu schaffen. Und sie reicht.

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An manchen Tagen sind es gleich zwei Auftritte, die „Catchpenny“ auf ihrer Irak-Tour absolvieren: vormittags in Bagdad, nachmittags in Balad oder Tadschi in der Provinz Anbar westlich der Hauptstadt. Auftrittsorte sind zum Beispiel das ausladende Heerlager am Bagdader Flughafen BIAP mit seinen Dutzenden von Stützpunkten, die klingende Name wie Camp Liberty, Camp Victory oder auch Camp Prosperity haben.
Veranstalter der Tour von „Catchpenny“ ist die 1941 auf Geheiß des damaligen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt gegründete „United Service Organizations“ (USO), deren Aufgabe seit nun fast sieben Jahrzehnten die moralische Aufrüstung der kämpfenden Truppen in Übersee sowie deren Unterstützung bei der Heimkehr ist.

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Im Zweiten Weltkrieg sorgte die gemeinnützige USO dafür, dass Hollywood-Stars wie Bette Davis und Lauren Bacall, James Stewart und Gary Cooper, natürlich auch die Dietrich, dazu Sänger und Tänzer wie Frank Sinatra und Fred Astaire, der Jazzer Glen Miller mit seiner Bigband sowie schließlich der legendäre Komiker Bob Hope an die Front und auch in die Etappe kamen, um patriotische oder auch einfach nur gute Stimmung zu verbreiten. Mit dem heute üblichen Begriffsinstrumentarium würde man vielleicht sagen, es war die amerikanische „soft power“, die sich zu Zeiten des großen ideologischen Kampfes des Mutterlands der Demokratie gegen Nazi-Diktatur und japanischen Militarismus direkt neben die „hard power“ stellte und diese anfeuerte.
Auch im Korea- und im Vietnam-Krieg gehörten USO-Tourneen amerikanischer Stars zu den Schauplätzen in Ostasien zur Kriegsführung der aufstrebenden Supermacht. Marilyn Monroe reiste nach Korea, auch der Haudegen Errol Flynn und viele andere Schauspieler. In Vietnam waren John Wayne, Jayne Mansfield, Sammy Davis Jr. und immer und immer wieder Bob Hope bei den Truppen.
Diese Tradition wird auch bei den Operationen „Enduring Freedom“ in Afghanistan seit 2001 und „Iraqi Freedom“ seit 2003 fortgesetzt. Die Schauspieler Scarlett Johansson, Bruce Willis, Chuck Norris und Robin Williams waren am Golf oder am Hindukusch, der Radfahrer Lance Armstrong, die Musikstars Kid Rock und Toby Keith, dazu jede Menge Profi-Footballer und -Wrestler. Die Truppenbesucher sind beileibe nicht alle Befürworter des Irak-Krieges, die Mehrheit der Stars auf USO-Tour dürfte den Krieg sogar von Beginn an abgelehnt haben. Doch der Showeinsatz für die Soldaten im Fronteinsatz hat nichts mit Politik und alles mit parteiübergreifendem Patriotismus zu tun.
Und für aufstrebende Sternchen wie jene von „Catchpenny“ aus Minnesota auch mit dem Geschäft. „Für uns eröffnen Touren wie hier im Irak Chancen, die wir nirgendwo sonst bekommen würden“, gibt Christian Schauf die durchaus eigennützigen Motive zu, die Strapazen der Irak-Tourneen auf sich zu nehmen. Die Zahl der Zugriffe auf die Website der Band (https://www.catchpennyband.com/home.html) wächst während und unmittelbar nach einer Tour sprunghaft. Es werden auch deutlich mehr Songs heruntergeladen als bei Auftritten daheim. Zudem hat USO vom letzten Album „From Where You Are“ weitere 15000 CDs in einer kostenlosen Sonderedition für die Truppen herstellen lassen. Nach jedem Konzert werfen die Musiker mit sichtlichem Vergnügen ihre CDs ins uniformierte Publikum.
Für die Leute von USO sind Bands wie „Catchpenny“ die idealen Partner. Sie sind nicht primadonnenhaft, beanspruchen keine VIP-Behandlung und beschweren sich nicht, wenn die beiden „Blackhawk“-Hubschrauber, mit denen sie von Stützpunkt zu Stützpunkt geflogen werden, wieder einmal fünf Stunden verspätet sind. Zudem holen die Schauf-Brüder bei jedem Auftritt einige Soldaten auf die Bühne und lassen sie bei ein paar Stücken an der Gitarre oder am Keyboard mittun. Sogar Oberstleutnant Monty Willoughby, der glatzköpfige Kommandeur des Squadrons, greift zum Mikrofon und singt zum Abschluss des Konzerts im Atrium der JSS Adl bei Gassenhauern von Prince und den Beatles tüchtig mit. Das bringt ihm viel Respekt bei den Gefreiten und Hauptleuten ein.
Es ist schon stockfinster, als die beiden Hubschrauber endlich landen. Bei laufenden Rotoren werden die Instrumente und die übersichtliche Ausrüstung von „Catchpenny“ in den einen „Blackhawk“ verstaut, dann huschen die Musiker, vorschriftsmäßig jetzt mit Schutzweste und Helm ausgerüstet, im Laufschritt zum anderen. Kurz darauf heben die Helikopter ab und verschwinden in den Nachthimmel. Dann wird es wieder still in der JSS Adl, stiller als an anderen Abenden. Augenblicklich ist die aus Minnesota kurzfristig importierte postmoderne Landserromantik verflogen. Die Isoliertheit und die Einsamkeit, das Eingesperrtsein im selbstgebauten Betonkäfig scheinen drückender auf den Männern und Frauen von „4-10 CAV“ in Adl zu lasten als an gewöhnlichen Abenden ohne Konzert. Von der nahen Moschee ruft der Muezzin.

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Die Ohrwürmer von „Catchpenny“ aber kriege ich nicht mehr los: vor allem „Tell Me Tomorrow“, „Life In Fast Forward“, „From Where You Are“ und „If You Ever Leave Me“ – in dieser Reihenfolge. Hören Sie hinein, wenn Sie mögen, kostenlos ganz unten auf der Website https://www.catchpennyband.com/home.html im Kasten „Bandbox“. Vielleicht taugen die Stücke tatsächlich etwas. Vielleicht taugen sie nur mit einem kräftigen Schuss Sentimentalität aus Adl im Westen Bagdads.

 (Fotohinweis: Fotos Matthias Rüb; USO)