Dem Besucher aus dem Abendland mag der Anblick vertaut sein, selbstverständlich ist er nicht. Im Hotel Rashid, nur einen Steinwurf vom Kongresszentrum entfernt, steht ein Weihnachtsmann aus Plastik in der Lobby. Er hat einen weißen Rauschebart und hebt den rechten Arm mit der Glocke. Daneben steht ein großer Plastikstiefel, gefüllt mit Geschenkattrappen. Und wieder daneben hat man einen mit Lametta geschmückten Christbaum aus Kunststoff aufgestellt, darunter liegen wiederum hübsch verpackte Pakete.
Im Rashid, einem unansehnlichen Klotz, der den Charme der betonverliebten Ästhetik des Sozialismus versprüht, pflegen die Abgeordneten des irakischen Parlaments abzusteigen, wenn nebenan im Kongresszentrum Sitzungsperiode ist. Die vier Männer, die sich miteinander unterhalten und zugleich ihre Handys traktieren, sind Abgeordnete des Parlaments, das aus Sicherheitsgründen im Kongresszentrum in der Grünen Zone zusammenkommt. Weil sie einer in demokratischen Wahlen bestimmten Körperschaft angehören, müssen sie um ihr Leben fürchten – und sind gewiss dankbar über die hermetische Abriegelung der Grünen Zone. Das Parlament selbst sowie manche Abgeordnete waren schon Ziel von Selbstmordanschlägen oder Feuerüberfällen.
Wahrscheinlich sind sich die Männer nicht des Umstands bewusst, dass sie ebenso um Leib und Leben fürchten müssen wie jene, um derentwillen der Weihnachtsbaum im Hotel Rashid zu Bagdad steht: die Christen im Irak. An Heiligabend und am Ersten Weihnachtsfeiertag haben sie der Geburt ihres Heilands gedacht, in Kirchen und in Klöstern – unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Die Regierung unter dem kurdischen Präsidenten Dschalal Talabani, einem sunnitischen Muslim, und dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al Maliki hat den Ersten Weihnachtsfeiertag aus Respekt vor der christlichen Minderheit zum offiziellen Feiertag erklärt. Auch das ist, so wenig wie Christbaum und Weihnachtsmann im Rashid, keine Selbstverständlichkeit in einem muslimisch geprägten Staat, in dessen Verfassung mancher Glaubensgrundsatz des Islam eingeflossen ist.
„Die Gemeinden der Ur-Christen im Irak haben am Aufbau der Kultur und Zivilisation des Landes entscheidend mitgewirkt“, hieß es in der Glückwunschbotschaft von Präsident Talabani an die Christen. Ministerpräsident Maliki bekräftigte in seiner Weihnachftsbotschaft, seine Regierung werde alles tun, um den Christen im Irak „ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen“.
Tatsächlich steht es nicht gut um die Christen im Irak. Nach Schätzungen von Kirchen leben von ehemals 1,4 Millionen Christen noch etwa 700000 in ihren angestammten Heimatgebieten. Nach Drohungen und Verfolgungen durch islamistische Extremisten – sunnitische Al-Qaida-Terroristen in Bagdad und in der Mitte des Landes sowie schiitische Milizen im Süden um Basra – sind seit dem Einmarsch der amerikanisch geführten Koalitionstruppen und dem Sturz Saddam Husseins im Frühjahr 2003 Hunderttausende in Nachbarländer und nach Europa geflohen. Die Verfolgung traf eine wesentlich aus Chaldäern bestehende Christengemeinde, die seit fast zwei Jahrtausenden im Zweistromland lebt – gut 600 Jahre länger als die Muslime, die heute 95 Prozent der etwa 28 Millionen Einwohner des Iraks stellen. Viele assyrische Christen im Irak sprechen bis zum heutigen Tag Aramäisch, die Sprache Jesu. Christen waren seit den Tagen der Gründung des irakischen Staates unter britischem Mandat im Jahre 1921 loyale Bürger und gehörten oft zur Verwaltungs- und Bildungselite. Selbst Saddam umwarb die Christen.
Nach den früheren Vertreibungswellen in der Mitte und im Süden des Landes seit 2003 hat zuletzt im Norden in und um Mossul sowie Kirkuk die ethnisch-religiöse „Säuberung“ ganzer Landstriche und Dörfer von den Christen begonnen. Zum einen ist dort das ansonsten geschwächte Terrornetz Al Qaida so stark wie in keinem anderen Gebiet des Iraks, und die Christen sind Zielscheibe des pseudoreligiösen Hasses der sunnitischen Extremistenorganisation. Andererseits geraten die Christen – wie die Minderheiten der Jessiden und der Schabaks – zwischen die Fronten im Kampf der Kurden und Araber um Einfluss, Wohnraum und Ressourcen in der ölreichen Region.
Im September kassierte zudem das Parlament in Bagdad eine Bestimmung im Wahlrecht, die den Minderheiten eine feste Anzahl von Abgeordneten garantierte. Die Proteste der Christen gegen diesen Schritt führten in Mossul zu einer dort nie gekannten Welle von mörderischen Angriffen. Etwa die Hälfte der 20000 Christen von Mossul soll seit September aus der Stadt geflohen sein.
Dem steht die deutlich verbesserte Sicherheitslage in den anderen Teilen des Iraks und auch in der Hauptstadt Bagdad gegenüber. Und die Ausrufung des Weihnachtstages zum offiziellen Feiertag. „Ich danke der Regierung, dass sie allen die Möglichkeit gibt, sich füreinander und für das Gemeinwohl einzusetzen, und ich danke ihr dafür, dass sie diesen Tag, an dem wir zu Gott beten, dass wir uns einander wie Brüder vertrauen mögen, zum Feiertag erklärt hat“, sagte der chaldäsische Kardinal Emmanuel Delly am Donnerstag in seiner Weihnachtspredigt in der Kapelle eines Bagdader Klosters. Der schiitische Geistliche Ammar al Hakim, Sohn und mutmaßlicher Nachfolger von Abdulaziz al Hakim als Chef der maßgeblichen Schiitenpartei, nahm an der Christmesse teil und überbrachte namens der schiitischen Mehrheit „unseren christlichen Brüdern eine Botschaft der Liebe, des Respekts und der Dankbarkeit“. Al Hakim hatte eine ganze Schar von Leibwächten zum Gottesdienst in das Kloster mitgebracht. Auch an den anderen christlichen Kirchen und Klöstern ging es zu Weihnachten nicht ohne strenge Sicherheitsvorkehrungen ab. Jeder Gottesdienstbesucher musste eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen, Polizisten durchsuchten die Gotteshäuser vor dem Beginn der Weinachtsmesse nach möglichen Spengsätzen.
Ob europäische Staaten wie Deutschland Christen aus dem Irak dauerhaft aufnehmen oder eher darauf hinarbeiten sollten, dass die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können, ist umstritten. Vater Saad Sirop Hanna, ein chaldäischer Christ, der 2006 von sunnitischen Extremisten entführt und 26 Tage lang festgehalten worden war, stellte jüngst fest, dass „sich die Dinge in Bagdad ändern, langsam zwar, aber wir haben die Hoffnung, dass dies ein wirklicher Wandel ist“. Er selbst sei aus Rom in den Irak zurückgekehrt, weil er glaube, „dass wir hier leben können“. Und auch Ken Joseph Jr., ein Vertreter der assyrischen Christen, zeigte sich nach jüngsten Treffen mit Regierungsvertretern in Bagdad hoffnungsvoll, dass die bis zu 500000 Christen, die in Jordanien und Syrien unter „unvorstellbaren Bedingungen leben“, in den Irak zurückkehren könnten.
Derweil haben viele der amerikanischen Soldaten im Irak schon zum zweiten Mal Weihnachten in Bagdad gefeiert. In den Stützpunkten der Besatzungstruppen waren die Kantinen und Aufenthaltsräume seit Wochen weihnachtlich geschmückt.
Wenn im Irak wieder alle Christen und ihre muslimischen Freunde gefahrlos Weihnachten feiern können, dann können die amerikanischen Soldaten an Weihnachten wieder daheim bei ihren Familien sein.
(Fotohinweis: Fotos Matthias Rüb; AFP)