Es war ein schöner Wahltag in Erbil und überall im Irak. Fast festlich war die Stimmung, auf jeden Fall gelöst und auch ein bisschen routiniert.
Wählen, sodass man wirklich die politische Führung des Landes, der Provinz und der Gemeinde auswählen kann – das hat es bis zum Sturz Saddam Husseins vom April 2003 über Jahrzehnte hin nicht gegeben im Irak. Seit junge Meuterer des irakischen Heeres 1958 König Faisal II. stürzten und ihn sowie den Regenten Abd al Ilah ermordeten, kamen und gingen Regierungen in Bagdad immer durch Waffengewalt. Selbst die erste irakische Übergangsregierung nach dem Sturz Saddams war durch Gewalt an die Macht gekommen.
Und jetzt, nach nur wenigen Anläufen mit fairen demokratischen Wahlen seit dem Beginn der amerikanisch geführten Besatzung vom März 2003, scheint alles fast schon wie gewohnt. In Erbil konnten auch Christen für die Parlamente in ihren Heimatprovinzen wählen, die aus Bagdad oder aus Mossul vertrieben worden waren. Dass viele Vertriebene – Christen wie Angehörige anderer Religionen – am Ort ihres „inneren Exils“ an den Wahlen für ihre Herkunftsprovinzen teilgenommen haben, deutet darauf hin, dass sie die Hoffnung auf Rückkehr noch nicht vollends aufgegeben haben.
Der Finger mit der blauen Kuppe, gekennzeichnet mit nicht abwaschbarer Tinte, um die mehrfache Stimmabgabe zur verhindern, ist zur üblichen Trophäe für den Vollzug des demokratischen Prozesses geworden.
Im Vergleich zu den schwierigen und von Gewalt geprägten Provinzwahlen vom 30. Januar 2005, als im ganzen Land bei Anschlägen mindestens 40 Menschen getötet wurde, blieb es am 31. Januar dieses Jahres vergleichsweise friedlich: Niemand wurde getötet, es wurden kaum Zwischenfälle gemeldet, auch wenn einige Wähler wegen des komplizierten Prozesses der Wählerregistrierung zu falschen Wahllokalen gingen und ihre Stimme nicht abgeben konnten.
Inzwischen wurden die ersten vorläufigen Wahlergebnisse veröffentlicht. Vielerorts waren die Stimmzettel wegen der Masse der Kandidaten und Parteien buchstäblich meterlang.
Gewiss wird die Regierungsbildung in vielen der 14 (von insgesamt 18 irakischen) Provinzen, in denen am 31. Januar gewählt wurde, schwierig sein. Es mag auch zu weiterem Streit über angeblichen oder tatsächlichen Wahlbetrug kommen. Dennoch kann man schon jetzt die Sieger der epochalen irakischen Provinzwahlen vom 31. Januar 2009 benennen.
Sieger sind zuerst und zuvörderst die irakischen Sicherheitskräfte, vor allem die Armee, aber auch die Polizei. Wer dieser Tage im Irak mit Offizieren und Soldaten der Armee spricht, sieht diese vor Stolz buchstäblich glühen. Es ist noch nicht lange her, da wollten sie sich aus Angst vor Al Qaida und anderen Extremisten nicht fotografieren lassen. Jetzt stellen sie sich alle bereitwillig zum „Familienfoto“ auf, wenn man die Kamera hebt.
Ihr Stolz ist verständlich, denn sie waren es und nicht die amerikanischen Truppen, die für einen geordneten Ablauf der Wahlen sorgten. Man könnte sogar von den ersten Wahlen nach dem Ende der amerikanischen Besatzung sprechen, obwohl noch immer gut 140000 amerikanische Soldaten im Land sind. Denn die Amerikaner hielten sich sichtlich im Hintergrund, hier und da flog allenfalls ein Huschrauber. Aber am Boden, vor den Wahllokalen, hatten die Iraker bei diesem Hochamt ihrer jungen Demokratie das Sagen. Zudem hatte im Wahlkampf die fortdauernde amerikanische Besatzung kaum eine Rolle gespielt, was auch die Amerikaner zu Gewinnern dieser Wahlen macht. Stattdessen ging es um Sicherheit, öffentliche Dienstleistungen, um die Wirtschaft und um Jobs.
Zweitens haben die Iraker selbst mit ihrer Sehnsucht nach Sicherheit, die alles andere überlagert, einen großen Sieg errungen. Januar 2009 war der Monat mit den wenigstens Gewalttaten und den niedrigsten Todeszahlen seit Beginn des Krieges vom März 2003 – sowohl was die irakischen wie die amerikanischen Opfer betrifft. 138 irakische Zivilisten wurden nach offiziellen Angaben im Januar 2009 getötet, im Vormonat waren es noch 238 und im Januar 2008 gar 466 Tote. Dazu kamen vier amerikanische Soldaten um. Das sind immer noch hohe Opferzahlen, gewiss. Aber im Vergleich zur schlimmsten Zeit der sektiererischen Gewalt in den Jahren 2005 und 2006 ist es derzeit ruhig im Irak.
Drittens konnten Ministerpräsident Nuri al Maliki, der lange Zeit als schwacher nationaler Führer und als Marionette der Amerikaner dazu galt, und seine Daawa-Partei ihre Position festigen. Sie haben aber keinen landesweiten Erdrutschsieg errungen, sondern müssen in zahlreichen Provinzen Koalitionen bilden.
Der sunnitsischen Erweckungsbewegung in der Provinz Anbar, die großen Anteil an der entscheidenden Schwächung von Al Qaida im Irak hatte, ist der Übergang von einer „Graswurzelbewegung“ zur politischen Partei mit einem sehr achtbaren Wahlergebnis geglückt. Auch sie können sich als Sieger fühlen, ebenso wie die Sunniten in der Nordprovinz Niniveh, die künftig die Regierung in Mossul stellen werden. 2005 hatten die Sunniten, die etwa 60 Prozent der Einwohner von Niniveh stellen, die Provinzwahlen noch boykottiert und den Kurden, die nur ein Viertel bis ein Drittel Bevölkerungsanteil haben, den Wahlsieg geschenkt.
Und schließlich hat die Mission der UN unter ihrem schwedischen Missionschef Staffan de Mistura einen Sieg errungen.
Sie unterstützte die unabhängige irakische Wahlkommission, schickte Wahlbeobachter und überwachte auch die Auszählung der Stimmzettel. Der 19. August 2003, als eine Lastwagenbombe das Hauptquartier der UN-Mission in Bagdad zerstörte und neben dem damaligen Missionschef Sergio Vieira de Mello weitere 21 Menschen starben, war der dunkelste Tag in der Geschichte der UN im Irak. Nach dem 31. Januar 2009 stehen der Irak und die UN vor einem neuen Bündnis.
(Fotohinweis: Fotos Matthias Rüb (5); UN)