Bagdad Briefing

Bagdad Briefing

Über den neuen Krieg gegen den Terror – und jene, die sich Krieg und Terror entgegenstellen. Von Bagdad bis Benghasi, von Doha bis Damaskus.

Ankara gewinnt an Boden

| 12 Lesermeinungen

Die Forderung ist so alt wie der bewaffnete Konflikt in Syrien. Bereits seit Sommer 2012 fordert die syrische Opposition die Einrichtung einer Schutzzone – um Zivilisten Unterschlupf zu bieten und Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) einen Rückzugsraum. Darauf eingegangen sind die so genannten „Freunde Syriens“ nie. Der Zusammenschluss von Dutzenden Staaten, angeführt von den Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien, der Türkei, Qatar und Frankreich, war zu gespalten, um gegen den Widerstand Russlands und Irans energisch auf eine solche Lösung zu dringen.

Nun aber scheint Bewegung in die Sache zu geraten, berichtet das „Wall Street Journal“. Zwar sei noch nicht über eine Pufferzone entlang der Grenze zur Türkei entschieden, sagten Beamte aus Außenministerium, Weißen Haus und Pentagon der Zeitung. Doch grundsätzlich ausschließen wie noch vor dem Aufstieg des „Islamischen Staats“ wolle man einen solchen Schritt nicht mehr.

Die gelockerte amerikanische Haltung ist eine direkte Folge der Gespräche, die Vizepräsident Joe Biden im November mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan führte. Ginge es nach dem starken Mann am Bosporus, sollte nicht nur auf dem Boden ein Schutzgebiet für Flüchtlinge und bewaffnete Gegner Machthaber Baschar al Assads geschaffen, sondern direkt eine Flugverbotszone eingerichtet werden. Das aber lehnt Washington weiterhin ab.

Dass es überhaupt so lange dauern konnte, bis über die Einrichtung einer Schutzzone ernsthaft diskutiert wird, ist ein Skandal. Mehr als 200000 Tote hat der Syrien-Krieg bislang gefordert, nahezu zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht – fast die Hälfte der Bevölkerung. Erst am Montag gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass die Nahrungsmittelhilfe für die Flüchtlinge in Syrien und den angrenzenden Staaten reduziert werden müsse. Der Grund: Die von den Gebern versprochenen Gelder für humanitäre Hilfe reichten nicht aus.

Die Weigerung der internationalen Gemeinschaft, auf die humanitäre Katastrophe in Syrien angemessen zu reagieren, macht die Einrichtung von Schutzzonen umso dringlicher. Viel zu lange hat der Westen die moderate Opposition im Stich gelassen. Ihrer Anerkennung als „legitime Vertretung des syrischen Volkes“ durch Vereinigte Staaten und Europäische Union im Dezember vor zwei Jahren folgte – nichts. Nur weil die „Freunde Syriens“ der Forderung der Freien Syrischen Armee nie nachkamen, sie stärker mit Waffen auszustatten und entsprechend zu trainieren, konnte der „Islamische Staat“ so wachsen.

Erdogan nutzt seinen Hebel als Nato-Mitglied mit Grenzen zum Irak und zu Syrien geschickt aus. Die von Washington gewünschte stärkere Rolle innerhalb der Anti-IS-Allianz ist er nur bereit zu spielen, wenn die Schutzzone an seiner Südflanke eingerichtet wird. So kann er zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen: Die nach einem eigenen Bundesstaat innerhalb Syriens strebenden Kurden kann er besser kontrollieren und die Anti-Assad-Opposition stärken. Ersteres mag dem syrischen Arm der PKK nicht schmecken, richtig ist seine Forderung dennoch. Nicht zuletzt aus einem anderen Grund: Zehntausenden Zivilisten würde geholfen, die sich seit Jahren den Bombardements der syrischen Luftwaffe ausgesetzt sehen.


12 Lesermeinungen

  1. otto-jomtien sagt:

    Ankara und Erdogan
    Das ist ja das schöne bei dem von Erdogan geführten Land, einerseits
    führt er die von ATATÜRK eingeführten Neuerungen wieder zurück und
    unterstützt den IS mit täglich Dutzenden von Lkw`s mit Gütern für den-
    selben, die seine Grenzen passieren. Was dieser angebliche Deal mit den
    Amerikanern soll, erschließt sich mir nicht. Ist er doch Putin in seiner ganzen
    Art viel näher als unseren amerik. Frunden.

  2. ErikderWikkinger sagt:

    Schutzzone in der Türkei !
    Natürlich kann die Türkei auf Ihrem Territorium machen was sie wollen! Auch Sicherheitszonen einrichten. Nur Syrien ist ein souveräner Staat. Und da hat Assad das Sagen. Ob es den USA und der Türkei gefällt oder nicht ! Und jede kriegerische Handlung z.B. der USA auf dem Territorium Syriens ist ein Bruch des Völkerrechts, was die USA aber noch nie interessiert hat. Ich hoffe nur, das die syrische Luftabwehr mal so zum Test ein amerikanisches Kampfflugzeug abschießt. Das es bisher nicht geschehen ist, beweist nur, das die USA sehr wohl im geheimen sich mit Syrien und Russland abstimmen.

  3. MF87 sagt:

    Ignoranz,Indifferenz und Vereinbarungen :Nahrungsmiuttelhilfe
    Dank ihrer Berichterstattung!
    All den Jahren des Krieges ,während die Menschen zu tausenden starben und sterben,währenddessen Ferien und Weihnachten mit erhobener Worte “reïn” blieb und bleibt,erinnere ich mir ganz gut wie (Jahren 60/70) nicht ein irgendjemand mir beteuerte “a high infant mortality rate” ist eine erfolgreiche Lösung im Gesundheitsbereich:Kosten-Nutzen Analyse.Damals arbeitete ich in Indonesien ( Public Health).Nein,es war kein Indonesier aber einer meiner Landleute und Mitarbeiter…… .
    Mein Weltbild war schon geprägt einer Verlust Menschen (Rassenwahn),und diese Kosten-Nutzen “Einbaukomponent” war wenig ërmunterend”.
    Aber immer wieder gab und gibt es wahre Menschen,zum Glück.

  4. fazsan sagt:

    Na toll - so hat also Erdogan das internationale Standing der Türkei auf Kosten
    von Millionen von Menschen in Irak und Syrien ausgebaut.

  5. Strukteur sagt:

    spätestens dann ist allen eines klar: NATO ist der Aggressor
    Wenn das sunnitische Ankara (welches EU-Gebiet militärisch besetzt) die Angriffsziele nach eigenem Gusto aussucht und von NATO Unterstützung bekommt IST SOFORT SCHLUSS! EUropa muss aus der NATO raus.

    • FatihABI sagt:

      versteh ich nicht...
      “(welches EU-Gebiet militärisch besetzt)”
      Wenn Sie damit Zypern meinen ist dieser seit 1974 besetzt und Zypern ist der EU im Jahr 2004 beigetreten.

      EU Gebiet ist NUR der südliche Teil Zyperns
      Und die Besetzung des Nordens hatte damals seine Gründe.

  6. dspeth sagt:

    Dieses dürfte eine der bedeutenderen politischen Wendungen sein
    Nicht mehr die NATO-Mitgliedschaft scheint im Vordergrund zu stehen, sondern der Ausgleich mit Nachbarn. Denn das sind Moskau und Teheran – die wichtigsten dazu.

  7. t.krause sagt:

    Wunschtraeume der Obama-Fans; Erdogan hat gestern Realpolitik mit Putin
    gemacht und wird nicht in auf den schoenen neuen Gazprom-Teller spucken, von dem er isst.

  8. wolfgangketzler sagt:

    Erdogan Gewinner?
    Erst einmal Respekt zum Autor der Nachricht. Zum ersten Mal wird Erdogan nicht mit einer negativen Berichterstattung in Verbindung gebracht. Sehr mutig in der Presselandschaft hier bei uns. Der Artikel zeigt, dass Erdogan und die Türkei in humanitären Sachen der EU, besonders Deutschland, ein riesengroßer Vorbild ist. Finanziell weit hinter uns, aber in Fragen Flüchtlingshilfe weit vor uns. Herr Erdogan muss nur noch die kemalistische Oposition CHP davon überzeugen, dass der Einsatz der Türkei für Flüchtlinge unbezahlbar in Sachen Moral ist. Vielleicht ist es auch ein Grund der objektiven Berichtserstattung über die Türkei und Erdogan, warum hier die Leserkommentare rar sind.
    Weiter so, FAZ!

  9. hiki31 sagt:

    Schutzzone würde auch Millionen Flüchtlinge helfen endlich wieder nach Hause zurück
    zu kommen. Dies kann aber nur geschehen, wenn auch Assads Tötungsmaschienerie aus der Luft durch einen Flugverbotszone Einhalt geboten wird. Wie der Autor richtig feststellt, hat die Zurückhaltung des Westens und USA 200.000 Menschen das Laben gekostet, vor allem hat Assad die IS aus dem Hut gezaubert, um seine Wiedersacher loszuwerden.

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