Die irakisch-kurdischen Peschmerga haben einen Propagandaerfolg über den „Islamischen Staat“ erzielt. Am Freitag sollen sie Agenturberichten zufolge die Kontrolle über das Sindschar-Gebirge wiedererlangt haben. Das Siedlungsgebiet der Jeziden war im August in die Hände der Dschihadisten gefallen; kurz danach begann der von Amerika geführte Luftkrieg gegen Stellungen der Einheiten Abu Bakr al Bagdadis.
Zweifel an dem Sieg bleiben bestehen. Jeziden-Führer Said Hassan Said sagte am Freitag, er sehe noch nichts von den Peschmerga. Der örtliche Kommandeur der irakisch-kurdischen Regionalgarde, Mohammed Kodschar, versicherte aber, sein Kämpfer hätten eine Straße in die Berge gesichert und würden am Freitag beginnen, die Leute in Sicherheit zu bringen.
Der Blitzkrieg des IS im Sommer hatte den Ruf der Peschmerga Kurdenpräsident Massud Barzanis schwer beschädigt. Nur zwei Monate vor der Einnahme hatte die kurdische Regionalgarde ihr Territorium erheblich erweitert und mit der Einnahme der Erdöl-Stadt Kirkuk Fakten geschaffen, die eine schleichende Sezession aus dem Gesamtstaat möglicherweise unumkehrbar machen. Doch der Fall Sindschars zeigte die Schwächen des veralteten stehenden Heeres auf. Zudem machten Verschwörungstheorien über augenzwinkernde Kumpanei zwischen der Kurdenführung in Arbil und IS-Kadern Bagdadis die Runde.
Nur dem beherzten Einsatz der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) war es zu verdanken, dass ein Genozid an den Jeziden im Sommer verhindert werden konnte. Bedroht ist die religiöse Minderheit bis heute – und die großen Gebiete südlich und westlich der Protohauptstadt von Bagdadis Kalifat, Mossul, weiter fest in der Hand der Dschihadisten. Die Offensive der Peschmerga auf Sindschar nutzten die sunnitischen Extremisten diese Woche abermals, um in Baidschi am Tigris näher an die von Regierungseinheiten kontrollierte Raffinerie der Stadt heranzurücken.
Auch deshalb dürfte die Meldung über die Erfolge im Stammland der Jeziden im irakisch-syrischen Grenzgebiet wenig mehr als propagandistischen Wert haben. Der Krieg gegen den „Islamischen Staat“ wird nicht in Kurdistan gewonnen, sondern in den sunnitischen Provinzen Iraks – und da sieht es zum Jahresende düster aus: In Anbar westlich von Bagdad kontrollieren die Dschihadisten neben Falludscha, das Anfang 2014 fiel, seit Oktober auch die Provinzhauptstadt Ramadi. Nur der Distrikt Haditha, der Al-Assad-Luftwaffenstützpunkt sowie das Hauptquartier der 8. Division sind noch in der Hand der Regierungseinheiten.
Vor allem aber für die Zukunft der Hauptstadt Ninives, Mossul, gibt es seitens der Anti-IS-Allianz offenbar keinen Plan. Die Millionenmetropole ist fest im Griff der Gotteskrieger, und die Bereitschaft der Peschmerga, militärisch einzugreifen gering. Da Pläne zum Aufbau einer sunnitisch dominierten Regionalgarde, über die Amerikas Außenminister John Kerry mit Iraks Ministerpräsident Haider al Abadi berät, noch in den Kinderschuhen stecken, könnte eine Befreiung Mossuls lange auf sich warten lassen.