Bagdad Briefing

Bagdad Briefing

Über den neuen Krieg gegen den Terror – und jene, die sich Krieg und Terror entgegenstellen. Von Bagdad bis Benghasi, von Doha bis Damaskus.

Gottlos in Ägypten

| 9 Lesermeinungen

Eine „neue Welle der Wut“ werde ausbrechen, warnte Ägyptens Großmufti am Dienstag mit Blick auf die neue Ausgabe von „Charlie Hebdo“. Das Titelblatt der Satirezeitschrift sei nicht geeignet, „dem Dialog zwischen den Zivilisationen zu dienen, den Muslime anstreben“, sagte der Leiter der obersten Religionsbehörde des Landes, Shawki Allam.

Die Zeichnung des Propheten Mohammed mit einem „Je Suis Charlie“-Schild in der Hand unter der Schlagzeile „Alles ist vergeben“ sei ein „durch nichts zu rechtfertigender provokativer Akt“, der “die Gefühle von anderthalb Milliarden Muslimen weltweit, die den Propheten lieben und respektieren“ verletze, monierte der Leiter von Dar al Ifta am Dienstag. Vergangene Woche hatte er das Massaker in der Redaktion in Paris mit den Worten kritisiert, „der Islam verurteilt jede Gewalt“.

So scharf der Blick des Großmuftis bei der mutmaßlichen Verletzung religiöser Gefühle sein mag, so unscharf ist er bei der Verurteilung von Menschenrechten im eigenen Land. Das ägyptische Strafrecht sieht vor, dass er bei Todesstrafen seine Zustimmung erteilen muss – in rechtsstaatlichen Kriterien nicht genügenden Verfahren wurden im vergangenen Jahr Hunderte Menschen von Gerichten in Minja und Kairo verurteilt. In allein 188 Fällen, in denen der berüchtigte Richter Nagi Shehata im Dezember Todesstrafen verhängte, muss der Dar-al-Ifta-Chef Allam bis zum 24. Januar sein Urteil abgeben.

Dass die Mehrheit der zum Tode bestraften Männer Mitglieder oder Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft sind, zeigt, wie es Militärmachthaber Abd al Fattah al Sisi gelungen ist, Justiz und Religionsbehörde auf seinen Kurs einzuschwören. In einer viel beachteten Rede forderte er zu Jahresbeginn eine „religiöse Revolution“. Die freilich wird von Staatsanwälten, Richtern und sunnitischen Gelehrten und Predigern vor allem als ideologische Fortführung des Kampfes gegen die Muslimbrüder des gestürzten Präsidenten Muhammad Mursi ausgelegt.

Einen moderaten Islam hervorgebracht hat das bislang nicht. Im Gegenteil: Die unter Mursi begonnene Verfolgung von Religionskritikern und Atheisten setzte sich seit der Machtergreifung Sisis im Juli 2013 fort. Erst am Wochenende verurteilte ein Gericht in Kairo einen Studenten zu drei Jahren Haft, weil er den Islam beleidigt haben soll. Er war mit einer Gruppe angeblicher Atheisten im November im Gouvernerat Beheira verhaftet worden. Einen Monat später schlug die Polizei auch in Kairo zu und schloss ein Café, das ein Staatsanwalt nach der Razzia als „Treffpunkt für Satansanbeter, teuflische Rituale und Tänze“ bezeichnet hatte.

Eine rühmliche Rolle bei der Verfolgung von Atheisten spielt Dar al Ifta nicht: Unmittelbar nach Beginn der Verfolgungswelle des Regimes veröffentlichte die Behörde des Großmuftis ein Papier, das die Zahl der Atheisten mit 866 angab – in einem Land mit neunzig Millionen Einwohnern. Das sei nicht nur die höchste Zahl im ganzen Nahen Osten, sondern auch ein deutlicher Anstieg. Diese „gefährliche Entwicklung“ lasse „alle Alarmglocken läuten“.


9 Lesermeinungen

  1. ulbrichwinklern sagt:

    mal in Ruhe diskutieren
    Hier überlagern sich leider zwei Themen auf fürchterliche Weise. Unsere freiheitliche Grundordnung ist uns heilig, und ich möchte nicht wo anders leben, als in der westlichen Hemisphäre. Da halte ich als Christ auch im Namen der Kunst ans Kreuz genagelte Frösche und die unsägliche Frau Kebekus aus. Aber ich verstehe jeden Moslem, der sich von Witzen über seinen Propheten gekränkt fühlt. Wenn sich der Pulverdampf verzogen hat, sollten wir mal in Ruhe darüber reden.

  2. lukrecia sagt:

    Einzig mögliche Reaktion
    Die erneute Abbildung des Propheten ist die einzig mögliche Antwort der Redaktion auf die terroristischen Anschläge. Würde sie jetzt zurückweichen, wäre das Attentat “ ein voller Erfolg“ gewesen, aus Sicht der radikalen Moslems. Aber die Verdrehten und Verblendeten sind halt nicht in der Lage, den Widerspruch ihrer eigenen Worte und Taten zu erkennen. Die Aussage allein, dass die heutige Karikatur der Titelseite die Gefühle von Millionen Muslimen verletze, stellt diese aus eigenen Reihen in ungünstiges Licht, denn immerhin zeigt die heutige Karikatur einen vergebenden Propheten. Wer maßt sich denn da an, für den Propheten entschieden zu wollen, ob er vergibt oder nicht?
    Im Islam geht derzeit Ähnliches vor, wie im Christentum vor einigen Hundert Jahren, die unbarmherzige Ablehnung Andersgläubiger, Annektierung und Ermordung. Hetze und Propaganda zu Zwecken des Erhalts der eigenen Macht, mittels Mißbrauch und Zurechtdrehung der Religion zu eigenen Zwecken eines kollekti

  3. FabiFabsn sagt:

    Und Wer kümmert sich um die Gefühle von 2Mrd Atheisten ?
    Ich fühle mich als Atheist dauernd von diesen Religiösen Spinnern beleidigt, naja eher gelangweilt. Aber Wer kümmert sich um Mich ( außer meiner (christlichen)Frau ).
    Die Chr. und die Mos. beziffern alle das Alter der Erde so um die 10.000 Jahre. Blöd ist nur, dass die Leute die unsere moderne Welt entwickeln sagen, Erdöl braucht Millionen von Jahren um zu entstehen. Da Autos ja von Pferden und Ochsen gezogen werden haben die Religiösen wohl Recht. So jetzt muss ich mein Pferdomobil füttern, denn Stall Ausmisten macht übrigens meine Frau. 😉

  4. spital8katz sagt:

    WEN wundert das?

  5. fazsan sagt:

    Wie weit darf "Satire" gehen?
    Ist Satire ein Freibrief für alles und jedes? Gilt das Strafgesetzbuch nicht für Satire? Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, … alles erlaubt? Wirklich alles? Als Papst Benedikt mit bekoteter Soutane gezeigt wurde, habe ich das als vorsätzliche, üble Beleidigung gesehen. Was sollte damit zum Ausdruck gebracht werden? Wird damit irgend ein Mißstand aufgezeigt? Ist doch eher nichts weiter als eine Generalbeleidigung. Dabei fielen mir jede Menge Bilder ein, mit welchen die Mißstände in der kath. Kirche aufgezeigt hätte werden können. Toleranz darf im Westen keinfalls Abgestumpftheit gegen alles bedeuten. Gerade dies geht im Westen keiner an. Bedeutet also im Westen “Toleranz” nicht alleinig “Kapitulation” bzw. “Resignation”?

  6. frischer sagt:

    Religiöse Gefühle
    sind wie Blähungen: Sie stören die Mitmenshen und sind leicht entflammbar.

  7. Bl0b sagt:

    Gaga
    “..das die Zahl der Atheisten mit 866 angab – in einem Land mit neunzig Millionen Einwohnern. Das sei nicht nur die höchste Zahl im ganzen Nahen Osten, sondern auch ein deutlicher Anstieg. Diese „gefährliche Entwicklung“ lasse „alle Alarmglocken läuten“.”

    Irre oder. Schon mal einen Atheisten sagen gehört “ich töte dich im Namen des Atheimus” ?!
    Und vor solchen Leuten soll ich bzgl. Islam Respekt haben oder sie ernst nehmen. Sicher nicht.

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