Bagdad Briefing

Zu dünn um zu leben

Wenigstens ein Beamter muss nun den Preis für die Erschießung der ägyptischen Dichterin Shaima al Sabbagh durch die ägyptische Polizei zahlen. Hisham Abdel Hamid, Sprecher der ägyptischen Gerichtsmedizin, teilte Medienvertretern am Dienstag mit, dass er entlassen worden sei. Kurz zuvor hatte er mit der Äußerung, dass al Sabbagh „kein Fett“ am Körper gehabt habe, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Ansonsten, so seine Theorie, hätte sie den Beschuss durch Schrotmunition überlebt.

„Sie starb, weil sie sehr dünn war“, sagte der Sprecher am Wochenende – zwei Monate nach dem Jahrestag der ägyptischen Revolution, den die Sozialistin Sabbagh gemeinsam mit Genossinnen und Genossen im Zentrum Kairos friedlich begangen hatte. Aus nur acht Metern Entfernung, so viel stellten die Gerichtsmediziner später fest, traf sie die tödliche Munition. Hätte sie nicht „hauptsächlich aus Haut und Knochen“ bestanden, hätte die 31 Jahre alte Mutter die Schüsse überlebt, sagte Hamid.

In den vergangenen Jahren sind in Ägypten wiederholt Aktivisten durch Schrotmunition ums Leben gekommen. Die Zahl getöteter Demonstranten liegt allein seit der Machtergreifung Präsident Abd al Fattah al Sisis im Juli 2013 bei mehr als 1500. Dennoch herrscht weitgehend Straflosigkeit für Mitglieder des korrupten Polizeiapparats, der sich seit dem Sturz des islamistischen Staatschefs Muhammad Mursi vor knapp zwei Jahren wieder im Aufwind befindet.

Besonders perfide wird die Behauptung des Gerichtssprechers dadurch, dass er einen neben Sabbagh laufenden Mann, der ebenfalls von Schrotmunition getroffen wurde, als Beweis dafür nannte, dass die Schüsse in der Regel nicht tödlich seien. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wies die Schilderung deutlich zurück: „Mit lächerlichen Behauptungen dieser Art wird die Liste absurder Rechtfertigungen, die die Regierung anführt, um ihre endlose Bilanz von Tötungen und Straflosigkeit zu beschönigen, noch länger.“

Erst vergangene Woche hatte die Staatsanwaltschaft in Kairo angekündigt, einen Beamten „wegen Körperverletzung mit Todesfolge“ anzuklagen. Unmittelbar nach der Erschießung Sabbaghs hatte der inzwischen abgesetzte Innenminister Muhammad Ibrahim Vorwürfe, die Polizei sei für den Tod verantwortlich, noch zurückgewiesen. Einer Aufforderung zum Rücktritt durch Sisi kam Ibrahim nicht nach. Bei einer Kabinettsumbildung Anfang März wurde er zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und Sonderberater von Regierungschef Ibrahim Mahlab für Sicherheitsfragen ernannt.

Sein Nachfolger Magdy Abdel Ghafar wurde nach dem Sturz Husni Mubaraks zum Chef des Nationalen Sicherheitsapparats ernannt, ehe er im Juli 2011 in Rente ging. Er hatte immerhin zugegeben, dass unter Mubarak „Verletzungen“ stattgefunden hätten. Dass nun Anklage wegen der Tötung Sabbaghs erhoben werden könnte, zeigt, dass er zumindest die schlimmsten Auswüchse seines Apparats zu beheben gewillt ist. Wegen des Todes von zwanzig Fußballfans in einem Stadion am Rande Kairos Anfang Februar hingegen wird weiter gegen mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft ermittelt, obwohl Videoaufnahmen deutlich zeigen, wie Sicherheitskräfte für Unruhe sorgten.

Die mobile Version verlassen