Bagdad Briefing

Bagdad Briefing

Über den neuen Krieg gegen den Terror – und jene, die sich Krieg und Terror entgegenstellen. Von Bagdad bis Benghasi, von Doha bis Damaskus.

Giftgas vergisst nicht

| 14 Lesermeinungen

Das Gedenken war länderübergreifend. Im belgischen Ypern, in der syrischen Ghouta und in Halabja im Nordirak fanden am Mittwoch Kundgebungen statt, um der Opfer von Giftgaseinsätzen zu erinnern. Heute wie vor hundert Jahren: In Ypern hatte die deutsche Reichswehr während des Ersten Weltkriegs am 22. April 1915 erstmals toxische Kampfmittel eingesetzt.

Die mörderische Historie der tödlichen Waffe reißt seitdem nicht ab. In Halabja brachten 1988 Saddam Husseins Truppen 5000 Menschen mit chemischen Kampfstoffen um; auch im Westen Irans setzte das Baath-Regime im Juni 1987 Giftgas ein; mehr als hundert Menschen kamen beim Bombardement der Gemeinde Sardasht ums Leben. Und in den Damaszener Vororten der Ghouta war im August 2013 das Regime Baschar al Assads für den Tod von 1300 Bewohnern verantwortlich, weil er die Oppositionsviertel mit dem Nervengift Sarin beschießen ließ.

In einem offenen Brief wandten sich die Überlebenden der Massaker in Syrien, Iran und Irak am Mittwoch an die Europäische Union. „Es dauert nur eine Sekunde, die Bombe zu werfen, aber es braucht Generationen, um über ihre Folgen hinweg zu kommen“, schreiben sie darin. „Wir wissen, dass es nicht europäische Regierungen waren, die uns mit Gas angriffen“, heißt es weiter. „Aber wir sind uns der Tatsache bewusst, dass ohne die umfangreiche Hilfe europäischer Unternehmen weder das irakische noch das syrische Regime in der Lage gewesen wären, chemische Kampfstoffe herzustellen“.

Sowohl deutsche wie britische, italienische und französische Firmen halben dabei, die Chemiewaffenprogramme Assads und Husseins aufzubauen – mit Rohostoffen, technischer Infrastruktur und Knowhow, durch Granathülsen und Gefechtsköpfe. Und die Folgen wirken bis heute nach: Fehlgeburten, Missbildungen, und Krebs sind nur einige der Erkrankungen, die die Opfer und Überlebenden auch Jahrzehnte nach den Massakern verfolgen. Niemals wird es wieder so sein, wie es vorher war. „Unsere Geschichte hörte auf an dem Tag, als die Bombe fiel“, schreiben die 16 Unterzeichner in ihrem Brief.

Der Vorwurf der Überlebenden an die Regierungen in Brüssel und Berlin, Paris, Rom und London ist deshalb eindeutig: „Europa hat Beihilfe geleistet zu den Verbrechen, die an uns begangen wurden.“ Doch nicht Kranzniederlegungen wie die der staatlichen Vertreter, die sich am Mittwoch zum Weltkriegsgedenken in Ypern versammelten, ist es, was die Überlebenden fordern, sondern Taten. Nur so könne der Einsatz chemischer Kampfstoffe in Syrien, wo das Regime seit dem von den Vereinten Nationen im Sommer 2013 geächteten Einsatz von Giftgas Dutzende Chlorgas-Einsätze durchgeführt hat, wirklich beendet werden.

Bis heute ist die Ghouta von Regierungstruppen umstellt, eine fachärztliche Versorgung der meisten Überleben hat nicht stattgefunden. Und dass europäische Firmen abermals verbrecherische Regime bei der Entwicklung ihrer Todesprogramme unterstützen, ist nicht ausgeschlossen, weshalb die Giftgas-Überlebenden warnen: „Das Geschäft mit dem chemischen Tod ist mehr als ein Bruch von Außenhandelsgesetzen – es ist Beihilfe zum Massenmord.“


14 Lesermeinungen

  1. MF87 sagt:

    Erinnern und dan... .
    …und die industrielle Mord,ich meine methodische Vernichtung und betriebswirtschaftlich:’die Hersteller,z.B.Zyklon B, oder Agent Orange ,und betreffs Belgien ,da gab es ein Physiker Nobelpreisträger ,äußerst bequem vis-a-vis Gift Gas und das Rendement.

    Oder die Folgen in India einer Chemiekonzern,Japans Katastrophe,erinnern und weitermachen …..und,und ,und!
    Das neueste Buch von Elizabeth Kolbert ,Deutsch übersetzt ,lässt kein Zweifel: nicht nur ein schlimmes Versagen,außerdem die Wille zur Fahrlässigkeit lohnt sich.

  2. Jaho sagt:

    Das war nicht die "Wehrmacht"
    Die Wehrmacht entstand erst 1935. Sie hat übrigens im II. Weltkrieg kein Giftgas eingesetzt.

  3. Petroleum2 sagt:

    Syrien geht uns alle an
    Fast 18 Monate sind vergangen, mit vielen Toten und verletzten mehr, seit Frankreich und USA bereit gewesen wären Assads Giftgaseinsatz militärisch zu bestrafen und vielleicht zu beenden. Was ist passiert, Giftgas wurde durch andere “Massnahmen” wie z.B. Chlorgas ersetzt, und am Status quo enderte sich nichts! Westen zögerte, war sich nicht einig und Russland blockierte durch Veto im Sicherheitsrat eine internationale Entscheidung.

    Humanitäre Aktionen sind richtig aber keine echte Lösung. Wir reden über Völkermord an Armeniern vor 100 Jahren aber sind nicht in der Lage etwas in Syrien zu verbessern?

  4. constantius3 sagt:

    Zwei Einige Korrekturen
    1. Im Jahre 1915 gab es noch keine “Wehrmacht”, dieser Begriff ist eine Schöpfung des nationalsozialistischen Deutschland. Erst gab es die “Kasierliche Armee”, danach die “Reichswehr”, unter den Nazis die “Wehrmacht”. 2. Chlor ist von allen gasförmigen chemischen Kampfstoffen entgegen der dröhnenden Publicity der mit Abstand ineffizienteste. Der erste Einsazu 1915 kostete zahlreiche deutsche Soldaten das Leben. Ein grundsätzliches Problem bzgl. Proliferation ist, daß dieses Element durch Elektrolyse praktisch für jeden in unbegrenzter Menge verfügbar und ein wichtiger chemischer Grundstoff ist.

  5. Gruenmeise sagt:

    Gefahr erkannt Gefahr gebannt sollte man meinen
    Niemals, trotz Beteuerungen wurde das Giftgas-Arsenal von Assad für 1,5 MRD $, wie damals schon vorher gesagt, nur zum Teil vernichtet. Im Grunde mehr oder weniger eine PR-Attacke der NATO zur Reinigung Gewissen obwohl nicht nur EU & USA dieses Dreckszeug produzieren und liefern sondern auch RUS, CN etc. Sehe das ganze als finanziellen Angriff auf das Gutmenschentum der sozialen westlichen Welt.

  6. J.Oechsle sagt:

    Wehrmacht im 1. Weltkrieg?
    Hallo Herr Bickel, die Wehrmacht hat im Ersten Weltkrieg gekämpft und dabei Giftgas eingesetzt? Nach meinen Informationen gab es die Wehrmacht erst ab 1935. Der Erste Weltkrieg ereignete sich vor diesem Datum. Das sollten Sie in Ihrem Beitrag berichtigen.

  7. hausmeisterhempel sagt:

    Wehrmacht?
    “Deutsche Wehrmacht” im Jahre 1915?
    Wikipedia schreibt: ” Die deutsche Wehrmacht ging durch das Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 aus der Reichswehr hervor”.

    An anderer Stelle schreibt Wikipedia:
    “Im Ersten Weltkrieg kam es zum ersten Einsatz von chemischen Kampfstoffen im August 1914 durch französische Truppen, die Xylylbromid – ein für die Pariser Polizei entwickeltes Tränengas – gegen deutsche Truppen einsetzten. “

  8. HadschiMurat sagt:

    Peter Scholl-Latour hat im "Der Fluch der bösen Tat"..
    ..für uns die die Szene festgehalten, als deutsche Journalisten, Industrielle und Diplomaten mit weiteren Mitgliedern der Internationalen Gemeinschaft den erfolgreichen Einsatz von Giftgas gegen die Iraner in einem Luxushotel nahe Basra feierten. Wiedergutmachung bis heute Fehlanzeige. Im Gegenteil, ähnlich wie über Russland könnte man vom Iran meinen, er hätte sich selbst überfallen.

  9. Luckner sagt:

    Wo sind nur die letzten 20 Jahre geblieben?
    Kann mir jemand eine Kurzzusammenfassung geben, was in der letzten Zeit passiert ist? Meine letzte bewußte Erinnerung bezieht sich auf das Jahr 2015, und hier berichtet die FAZ aktuell vom 100. Jubiläum des ersten Einsatzes von Giftgas durch die – am 16. März 1935 geschaffene – Deutsche Wehrmacht … es muß also jetzt um 2039, 2040 sein ? … Ich hätte das Zeug damals wohl besser nicht nicht trinken sollen, im April 2015.

  10. DeBe1 sagt:

    Bitte festhalten:
    Dank des Einsatzes von Putin hat Assad seine gesamten Bestände zur Vernichtung abgegeben. Dies wurde von der internationalen Institution dafür (Namen vergessen) bestätigt. Die Frage ist also zunächst, ob Assad neues Gas produziert oder gekauft hat.

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