Balance-Akt

Blauhelme für Stuttgart

So gerne ich Zug fahre, aber dass ich mich eines Tages darum kümmern muss, ob in Stuttgart acht oder sechszehn Gleise liegen, das fehlt mir gerade noch. Ich hab‘ so schon genug um die Ohren!

Diese Woche wurde ich in den Kampf um Stuttgart 21 hineingezogen: Unsere schwäbische Freundin, die Soziologin, ruft um Hilfe, da sie zwischen die Fronten geraten ist. Karin ist dagegen, aber nicht so richtig („eher aus Prinzip, weil ich noch nie für irgendwas war.“). Halbherzigkeit wird im Widerstand jedoch nicht akzeptiert. Als ginge es um Leben oder Tod, wurde sie auf dem Elternabend fertig gemacht, weil sie sich noch keine Windeln gekauft hat, um gemeinsam, den Baggern trotzend, auf den Bäumen zu überwintern. Dass sie den Termin für die letzte Mahnwache dem Friseur geopfert hat, ist schlicht unverzeihlich. Nun reden die hoch engagierten Supermamis  nicht mehr mit ihr. Ihr Mann auch nicht, der aber, weil er für den neuen Bahnhof ist – wenn auch im Grunde nur, weil er die „hysterischen Flintenweiber“ nicht erträgt: „Was die blöd finden, muss sinnvoll sein.“

In dem Punkt solidarisiert er sich (typisch Männer!) mit Karins Chef. Da stummes Aussitzen im Büro kaum durchzuhalten ist, wird dort momentan viel geschrien. Meist enden die Duelle mit einem gegenseitigen „Die lügen doch eh alle!“

 „Ich sage Euch“, predigt Karin, „es ist nur noch ein kleiner Schritt zu Tätlichkeiten“. Im Buchladen ihres Besserverdienervorortes hat sie es – fast – schon miterlebt. Zwei Damen, beide um die 50, wohl frisiert und mit schwerer Perlenkette, gingen zwischen den Regalen aufeinander los: Wegen eines Anti-Stuttgart-21-Aufklebers, den die eine mitnehmen wollte für den Briefkasten daheim! Ein Heiner Geißler reicht da wohl kaum als Friedensstifter. Wo bleiben die Blauhelme?

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