Balance-Akt

Ein Privatier für Paulchen

Einen sonderbaren Menschenschlag gibt es in meinem Städtchen: Männer im besten Alter, die vormittags im Café sitzen und frühstücken. Allein, einfach so. Mit Müsli und Obst, vielen Zeitungen und einer dicken Lederkladde, die sie gelegentlich öffnen, um mit einem feinem Füllhalter etwas zu notieren. Früher dachte ich, das sind Schriftsteller oder Notare. Bis unser Freund Karl mich aufklärte: „Von denen arbeitet doch keiner. Das sind Privatiers.“

Karl ist mit Anfang 50 auch so einer, seit er vor einem Jahr von seinem IT-Konzern als Global Head of Irgendwas gefeuert wurde. „Neuen Herausforderungen“ wolle er sich stellen, hieß es damals offiziell. Und die sehen heute so aus: Er coacht Paulchen im Fußball, dirigiert die Ballettaufführung der Tochter, ist Kassenwart des Elternbeirats, Grillmeister auf jedem Pfarrgemeindefest, kämpft federführend für ein Gymnasium am Ort und eine Frauenquote im Bauausschuss („Dann gäb es weniger Bausünden.“). Stets jovial und gutgelaunt ist er. Sogar in die Lokalpolitik will er jetzt. Klar, er strahlt ja so eine zu Guttenbergsche Unabhängigkeit und Gelassenheit aus, sagen alle. Das kommt an. Daneben halten ihn ein paar Aufsichtsratsmandate auf Trab, hier und da übernimmt er als Consultant ein Projekt. Das aber eher aus Gefälligkeit. Denn Geld hat Karl genug verdient (zudem stammt Ehefrau Bea aus gutem Hause).

Aber was ist mit all dem, was man landläufig mit einer Karriere verbindet? Mit den Geschäftsreisen nach Hongkong, seinem global Irgendwas-Toptitel, dem exklusiven „Hon“-Status bei der Lufthansa? Na ja, sagt er, ein neuer Posten bot sich nicht gleich an. „Und als Privatier hat man keine Zeit dafür.“ Paulchen freut’s.

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