Balance-Akt

Jule schämt sich

Damals, als die ersten 68er-Pädagogen an die Schulen drängten, haben sie sich vor der Klasse aufgebaut und die Kinder angeraunzt: „Wehe, wenn Ihr weiterhin auf Eure blöden Eltern hört, Ihr armen Würstchen!“ Die haben das dann brühwarm zu Hause erzählt, worauf die entrüsteten Eltern zum Direktor gerannt sind, um den Rauswurf des Lehrers zu verlangen. Der wäre dem Wunsch liebend gerne nachgekommen, aber so einfach ging das nicht. Die Welt war trotzdem bald wieder in Ordnung.

Heute dürfen Lehrer Schüler nicht mehr provozieren. Im Grunde dürfen sie gar nichts: Die Kinder nicht knuffen, nicht kneifen, nicht böse angucken, geschweige denn gegen die Eltern aufwiegeln. Sie tun es trotzdem. Die Unterhöhlung der Autorität geht weiter, nur viel perfider – unter der Flagge der guten Sache. Welt retten, Umwelt und so.

Jule, unsere Siebtklässlerin, hatte diese Woche ihren ökologischen Fußabdruck zu ermitteln. Penibel hat sie uns mit ihrem pädagogisch-wertvollen Fragebogen abgeprüft, wie ernst wir es zu Hause mit der Nachhaltigkeit nehmen: Öko-Energie? Keine Ahnung, ein Irrsinn diese Subventionen. Meterdicke Dämmung der Wände? Vielleicht, irgendwann. Fleisch? Sehr gerne. Kiwis aus Neuseeland? Lecker. Eigene Kompostierung? Pfui Teufel. Täglich duschen? Unbedingt. Mülltrennung in sieben Tonnen? Von wegen. Flugreisen? Ja, sofern es das Konto zulässt.

Das Resultat, Sie ahnen es, war verheerend: Jule lebt in einem Haushalt von Ökoterroristen. „Ihr versaut meine Ökobilanz“, zürnte sie. „Die Umwelt ist euch egal, alles ist euch egal, ich auch.“ Wobei wir noch Glück hatten: In anderen Familien schritt der Nachwuchs zur Tat: Flachbildschirme wurden eingetreten (Energiefresser!), die Stromleitung gekappt (Atom!), Steaks vergiftet (zur Abschreckung!) In unserem Fall genügte es, Besserung zu geloben: Die nächste Flasche Wein ist bio!

Die mobile Version verlassen