Balance-Akt

Ninas zauberhafter Füller

Wonach bemisst sich der Wert eines Füllers? Das hängt, wie bei allen Dingen, stark vom Betrachter ab. Gehört mir der Füller und ich soll ihn verkaufen, setze ich einen höheren Preis an als die potentiellen Käufer. Warum? Weil es den Menschen schwerfällt, so lehrt die Verhaltensökonomie, sich von Gegenständen zu trennen, sie hängen an ihren Besitztümern. Wer einmal das Haus der Eltern verkaufen musste, weiß wovon hier die Rede ist.

Nun scheint der Wert einer Sache ins Unendliche zu steigen, sobald man ihn verliert. So wie Ninas Füller. 12 Euro hat er gekostet, nicht mehr. Weihnachten hat sie ihn bei der Oma vergessen. Plötzlich gab es, trotz Ferien, nichts Wichtigeres als diesen Füller. Die Oma hat ihn also brav zur Post gebracht, 4,10 Euro Porto bezahlt, seither ist das gute Stück verschwunden – und sein Wert steigt von Tag zu Tag.

Ihre gesamte Spardose (inklusive aller Einnahmen als Zauberkünstlerin) würde Nina mittlerweile opfern, um ihn zurückzubekommen. Sie akzeptiert weder Jules alten Füller („Der schreibt nicht.“) noch einen neuen („Meiner war besser.“).

Der Post ist das Einerlei. Hätte die Oma den Füller als Paket aufgegeben, dann ließe sich jetzt nachvollziehen, wo er sich befindet beziehungsweise wo er verschwunden ist. Aber als Päckchen? „Da kann man nichts machen“, sagt die Schalterbeamtin, zuckt die Schultern und fixiert die Schlange der Wartenden hinter uns. Diese Pose hat sie in diversen Schulungen zum Umgang mit unzufriedenen Kunden trainiert, da bin ich mir sicher. Nicht mal die Tränen der Grundschülerin rühren sie. Auch die Oma blitzt bei der Post ab. Klar, es gehen jeden Tag etliche Briefe verloren (wie viele, will die Post nicht sagen) und versichert sind eben nur Pakete. Außerdem: Ein bisschen ist Nina selbst schuld. Wir trichtern den Kindern stets ein: Passt auf Eure Sachen auf! Trotzdem verschwindet ständig etwas – Jacken, Brotdosen, Bälle, Handys. Auch Bücher. Ganz ohne Einwirken der Post.

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