Hier spricht Berlin

Hier spricht Berlin

Notizen, Beobachtungen, kleine Geschichten und Stilkritiken aus der Redaktion des Sonntagszeitungs-Feuilletons - und die sitzt nun einmal in Berlin.

Advent

| 5 Lesermeinungen

Ende Oktober haben wir zum ersten Mal über Religion gesprochen, die Frau vom Kiosk und ich. Ob am 1. November wirklich alle Läden geöffnet seien fragte ich,...

Ende Oktober haben wir zum ersten Mal über Religion gesprochen, die Frau vom Kiosk und ich. Ob am 1. November wirklich alle Läden geöffnet seien fragte ich, und sie antwortete: Ja klar, warum denn nicht, was soll denn da für ein Feiertag sein?
Allerheiligen, sagte ich, und sie meinte, ja, das habe sie schon mal gehört; aber was das zu bedeuten habe: keine Ahnung? Wissen Sie, sagte sie dann noch, mit den Kirchen, ja mit der ganzen offiziellen Religion habe ich nichts im Sinn. Ich habe meinen eigenen Glauben.
Am 29. November, einem Samstag, an dem ich wie immer eine Zeitung und ein Päckchen Tabak kaufte, wünschte mir die Frau vom Kiosk aber einen schönen ersten Advent, und ich war schon wieder draußen, als mir auffiel, daß das nicht zusammenpaßte: Was kümmert es denn eine, die mit der Religion nichts im Sinn hat, ob die Christen auf das Christkind warten?
Am nächsten Samstag wünschte sie mir einen schönen zweiten Advent, ich bedankte mich und wünschte ihr das gleiche, und erst in der Woche darauf wurde mir klar, daß das anscheinend sehr üblich ist in Berlin. In Geschäften, in Cafés, überall wünschten mir Menschen,  deren religiöses Desinteresse offensichtlich war, einen schönen dritten Advent.
Heute ist der vierte Advent, und so lange habe ich gebraucht, bis ich verstanden habe, daß der Advent natürlich, einerseits, mit Religion nichts zu tun haben muß. Und daß er, andererseits, eine typisch berlinerische Angelegenheit ist. Nein, aufs Christkind wartet hier kaum jemand, aber alle warten, alle scheinen sich danach zu sehnen, daß irgend etwas geschehe, daß irgend jemand ankomme, und danach werde alles besser.
Vor ein paar Tagen hat das Fernsehen gemeldet, daß es drei Wochen lang keine einzige Stunde lang die Sonne geschienen habe in Berlin. Es war so grau, daß man sich sogar über den Regen freute, weil der, sonst wäre ja das Wasser in die Augen getropft, einen davon abhielt, hinaufzuschauen in die dunkelgrauen Wolken und nach einem hellgrauen Stück Himmel zu suchen.
Heute morgen war die Sonne zu sehen. Sie schien auf eine Stadt, die geblendet war.
Am nächsten Sonntag ist in Berlin der fünfte Advent.


5 Lesermeinungen

  1. Tja, mit Weihnachten ist das...
    Tja, mit Weihnachten ist das wirklich so eine Sache. Aber absolut nichts Neues, dass sich die Menschen wenigstens einen schönen Advent unter vieren und noch schönere Weihnachten wünschen, obgleich sie dem Christkind keinen Glauben schenken. Das ist nicht nur in Berlin so, anderswo ist es ebenso. Einmal im Jahr bewirft man sich mit Weihnachtskarten, die vor Glimmer und Kitsch schon beinah ausarten, man beschmeisst sich mit Plätzchen und mit Kuchen und am Heiligen Abend mit unbrauchbaren Geschenken. In fast jeder Gemeinde, und ist sie noch so klein, ist an Heiligabend die Kirche rappelvoll, von Schafen und Schäflein, die auf´s Christkind warten. Ab dem 2. Weihnachtstag ist Weihnachten abgehakt, weil das Neue Jahr ungeduldig auf den Start-Schuss wartet.

  2. dunnhaupt sagt:

    Irgendwie verleiht es dem Jahr...
    Irgendwie verleiht es dem Jahr Struktur und Halt, wenn man es in kleine Feste einteilt. Weihnachten, Ostern und Geburtstage sind vorgegeben, doch man kann auch selbst mal eine neue Tradition beginnen — zum Beispiel, dass man alljährlich zum Pfingstsonntag zum Spargelessen in ein bestimmtes Lokal geht. So hat man das ganze Jahr über kleine Feste, auf die man sich schon im voraus freuen kann.

  3. Kein einziges Wort zum...
    Kein einziges Wort zum Volksbegehren „Pro Reli“, auf das man derzeit überall in Berlin aufmerksam gemacht wird? Das hätte doch hier gepasst, wie die Faust aufs Auge…! Wer sich jedoch in Berlin allen Ernstes nach dem Feiertag Allerheiligen erkundigt, hat keine andere Antwort verdient als diejenige der Verkäuferin… Und jetzt nochmal ernsthaft gefragt: „Tabak“, „Geschäfte“, „Cafés“… passt denn das so viel besser in die Adventszeit?

  4. t.ruger sagt:

    <p>Lass das faz.net! Berlin...
    Lass das faz.net! Berlin langweilt uns.

  5. Nachtrag: Eine spannende...
    Nachtrag: Eine spannende Alternative zu diesem Blog bietet zwar nicht die FAZ selber – jedoch ihre Vorgängerin, die Frankfurter Zeitung. Diese produzierte einst hervorragenden Tagesjournalismus aus und über Berlin.
    Eine Auswahl der Feuilletons der Jahre 1925-1930 ihres Berlin-Korrespondenten Bernhard von Brentano wurde 1981 im Insel-Verlag unter dem Titel: „Wo in Europa ist Berlin?“ herausgegeben, gegliedert nach Monaten mit Schwerpunkt 1926. Ich stimme t.ruger völlig zu: Auch für mich lasen sich die ersten beiden Blog-Beiträge nicht besonders spannend. Für dieses mal lohnt es sich wohl wirklich, den Computer auszuschalten und einmal wieder zum Buch zu greifen…
    Andreas Schulz, Berlin-Lichtenrade

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