Stellen wir uns mal vor, der Bundespräsident hätte, als Publikum für seine Weihnachtsansprache, ein paar ganz normale Berliner, also uns hier zum Beispiel, ins Schloß Bellevue geladen. Wir wären natürlich gern gekommen, hätten uns etwas Anständiges angezogen, und dann hätten wir versucht, uns wie ordentliche Menschen zu benehmen: also stillzusitzen oder gerade zu stehen, die Klappe zu halten und dem Bundespräsidenten bei seiner Ansprache einfach zuzuschauen und zuzuhören. Das Ganze dauert keine fünf Minuten, so lange hält man das ja aus, und wer trotzdem den unabweisbaren Drang zur Bewegung spürte, könnte ja, bei Zustimmung, leicht mit dem Kopf nicken. Und, falls er eher skeptisch wäre, könnte er versuchen, die Augenbrauen nach oben zu ziehen.
Und danach gäbe es sicher ein schönes Glas deutschen Sekts, aus Fest, aufs neue Jahr, auf den Präsidenten, der sich nicht verhaspelt hat.
Der einzige Gast im Schloß Bellevue war aber die Kamera, und die hat sich extrem schlecht benommen. Hat herumgekaspert, mal hierhin, mal dorthin geschaut, wie ein Schulkind mit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Ist mal näher heran, dann wieder weiter weg gefahren, so als ob damit zu zeigen wäre, daß die Rede mal näher bei den Menschen, mal im gebührenden Abstand zum sogenannten Zeitgeist gewesen wäre. Und als der Präsident sagte, er sei, angesichts der Krise, doch weiterhin zuversichtlich, und sich selbst (und irgendwie ja auch uns) dann fragte: Warum? – da machte die Kamera einen aufgeregten Sprung von links nach rechts, so, als wäre der Sekt schon vor der Ansprache ausgeschenkt worden, und jetzt könne sich keiner mehr konzentrieren (https://www.bundespraesident.de/).
Das dieser ganze Zauber völlig überflüssig ist, zeigt Barack Obama, der designierte Präsident der Vereinigten Staaten. Der hält jede Woche eine kleine Ansprache, er redet ruhig, die Kamera hält still, und kein Mensch braucht da größere Action. Es sind die Worte, die bewegend sind.