Berlin ABC

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Wir fahren durch die Hauptstadt

Bellevue

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Die Stadtbahnstrecke verläuft zwischen Ostbahnhof und Charlottenburg. An der Strecke liegt der denkmalgeschützte Bahnhof Bellevue (S5, S7 und S75).

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Früher sind wir nach Bellevue gefahren, weil es dort die angeblich einzige Frittenbude der Stadt gab, die Tannenzäpfle verkauft hat, was eines der Fernsehbiere ist, das mir von allen noch am besten schmeckt. Das war noch bevor der Prenzlauer Berg durchsaniert worden war und all die Schwaben inklusive ihres Fernsehbieres in die Stadt gespült wurden, so dass man heutzutage Zäpfleflaschen genauso in den riesigen Fensterscheiben der Spätis* in der Sonne vor sich hinköcheln sieht, wie die aller anderen langweiligen Biere auch. Mit dem Bier haben wir uns dann an die Spree gesetzt, es getrunken und dann bald wieder das Weite gesucht – was will man schon in Bellevue, wenn man nicht gerade Bundespräsident ist.

Ich würde die Bude heute nicht mehr wiederfinden und weiß auch gar nicht, ob sie noch existiert und was sie, über das Bier hinaus, kulinarisch zu bieten gehabt hat. Ist mir eigentlich auch egal, denn ich werde nicht jünger und bevorzuge mittlerweile Restaurants, in denen ich sitzen und ein Bier vom Fass trinken kann und glücklicherweise gibt es in den Bögen der Bahntrasse das, was zu jener Zeit, in der ich im ruralen Raum Westdeutschlands meine Restaurantsozialisation erfahren habe, „Balkan Grill“ genannt wurde.

Ich hatte eine Gulaschsuppe, denn ich war schon satt, meine Begleitung einen frittierten Camembert, den ich auch lieber gehabt hätte, denn sie isst kein Fleisch. Beides war, wie man es aus solcherlei Gaststätten gewohnt ist, auf der Qualitäts- und Geschmacksstufe „so mittel“, aber darum geht es ja nicht, wenn man in solche Läden geht, sondern darum, sich mal wieder zu fühlen, wie früher, als die Gerichte „Lustiger Bosniak“ hiessen und man trotzdem wo man konnte ein Wiener Schnitzel mit Fritten und eine Cola bestellt hat. Oder gerade deswegen. Ich habe das damals nicht reflektiert.

Heute trinke ich anderes Bier und wüsste mittlerweile auch, was ich in Bellevue wollen würde: Wohnen. Ich habe nämlich einerseits eine Schwäche für Hochhäuser – und steigt man auf der richtigen Seite aus dem Bahnhof aus, steht man zwischen lauter Hochhäusern. Die gehören alle zum Hansaviertel und sind Baudenkmäler. Beim Leben in einem Baudenkmal wird das Haus andererseits in hohem Maße identitätsstiftend für mich.

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Das Hansaviertel ist Ergebnis der Interbau von 1957, einer Bauausstellung, zu der alles an Stadtarchitekten eingeladen wurde, das damals Rang und Namen hatte. Berlin war voller Menschen, die Wohnungsnot war groß, das Viertel im Tiergarten plattgebombt und so entstand vor über 50 Jahren eine Hochhaussiedlung, die es möglich macht, mitten in Berlin in einem Haus von Oscar Niemeyer, Alvar Aalto oder Egon Eiermann zu leben, worum ich die Bewohner des Hansaviertels so sehr beneide, dass ich mich regelmäßig mit aller Kraft zusammenreißen muss, um nicht laut weinend um deren Häuser zu ziehen. Dass ich Anfang des Jahrtausends selbst aus einem Interbau-Haus ausgezogen bin, macht die Sache schwerer, als der Auszug mir fiel. Mein Haus, das Corbusierhaus, steht nämlich weit weg vom innenstädtischen Hansaviertel, im Westend, neben dem Olympiastadion. Corbusier hatte damals eine Unité d’Habitation beigesteuert, die so riesig ausfällt, dass Berlin sie nicht ins Hansaviertel stellen wollte. Das Westend ist zwar noch reichlich vom Stadtrand entfernt, aber leider weit genug draußen, dass man nicht mehr allzuviel Besuch bekommt, wenn der Freundeskreis sich überwiegend in Kreuzberg, Mitte und Friedrichshain bewegt, wo sie heute alle das Zäpfle trinken. Aber das sind andere Geschichten.

* Späti, der: Kleineres Ladenlokal mit weit ausgedehnten Öffnungszeiten und eingeschränktem Lebens- und Genussmittelsortiment (von „Spätkauf“). In anderen Städten auch „Kiosk“ oder „Büdchen“.


4 Lesermeinungen

  1. BrankoCanak sagt:

    Klein anfangen...
    Danke für diese wunderhübsche Miniatur aus der Hauptstadt. Ich bin gespannt, wie es weitergeht und werde bei meinem nächsten Berlinbesuch nicht versäumen in Bellevue auszusteigen.

    Von Corbusiers Unité besitze ich immerhin einen Lichtschalter, den ich aus einem Schuttcontainer retten konnte. Trotz Denkmalschutz wird da munter entkernt und weg geschmissen…

    Außerdem hast Du ja um Rechtschreibkorrektur gebeten: Deine Selbstbeschreibung enthält ein “wer”, das lieber ein “wenn” sein möchte.

    Ansonsten “Blog on” & weiter so! 😀

  2. holgerklein sagt:

    Titel eingeben
    oehm… meine Selbstbeschreibung enthält aber doch gar kein “wer” O_o

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