„Fahr doch mal zum Zwickauer Damm!“ kam es wie aus der Pistole geschossen, als ich meiner Freundin K. von BerlinABC erzählte. Ohne weitere Fragen zu stellen folgte ich der Aufforderung. Die U-Bahnhaltestelle Zwickauer Damm liegt an der U7, in die ich an der Ringbahnstation Neukölln umsteige. Von da an geht es eine gefühlte Ewigkeit gen Süden: Grenzallee, Blaschkoallee, Lipschitzallee und Wutzkyallee – man fährt und fährt. Und endlich ist man doch da. Der Bahnhof zeichnet sich durch seine ockergelben Fliesen und die Abwesenheit eines Aufzuges aus, ist also kein sehr schöner Anblick und nicht barrierefrei.

An der Oberfläche angekommen wird man sogleich erschlagen: Ein riesiger Bau der degewo ragt in die Höhe. Angeblich 27 Stockwerke hoch. Die degewo ist mit 75.000 verwalteten Wohnungen die größte landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlins. Das Unternehmen ist Mitglied im „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ – wissen schon, Gentrifizierung und so. Durch Neubau soll der Wohnungsengpass Berlins, der die Mieten seit Jahren massiv in die Höhe treibt, abgemildert werden, sollen auch die kleinen Leute von der Straße ein Zuhause finden. Eines wie hier vielleicht, am Zwickauer Damm, wo ich stehe, in die Höhe blicke und langsam zu kapieren beginne, wo ich eigentlich gelandet bin.

Der U-Bahnhof Zwickauer Damm ist der südlichste U-Bahnhof der Gropiusstadt. Von der haben eigentlich alle schonmal was gehört. Man wartet sozusagen jederzeit darauf, dass ein Sammelband mit dem Titel „Gruselgeschichten aus Gropiusstadt“ erscheint. Oder eine Krimireihe mit „Kommissarin Nancy Schulze“, die in Gropiusstadt ermittelt. Die riesigen Bauten, die Flächen dazwischen und ähnlich, wie ich es auch schon einmal in Berlin Marzahn beobachtet habe: kaum Menschen zwischen diesen Betonriesen – all das führt zu einer Beklemmung und verursacht mir spontanes Unwohlsein.

Die Autorin Christiane Felscherinow, komplizierter Name, merken Sie sich einfach „Christiane F.“, unter diesem Namen ist sie ohnehin bekannter, hat in ihrem Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ die Beklemmung der Gropiusstadt aufgeschrieben. Sie musste dort mit ihren Eltern eine Wohnung beziehen, da die Familie sich Kreuzberg nicht mehr leisten konnte. Während die degewo unter anderem auch in Gropiusstadt neue Häuser errichten will, um die Gentrifizierung zu verhindern, ist für Christiane F. und auch viele andere die Tatsache, hier wohnen zu müssen, schon ein Ausdruck davon, gentrifiziert worden zu sein. Tatsächlich hat die Gropiusstadt eine Geschichte als sozialer Brennpunkt. Und tatsächlich hat die Architektur und hat die Konzeption dieses Wohngebietes leider ihr Übriges getan:
„Die noch nicht allzu stark bewachsenen Freiflächen hatten wenig Aufenthaltsqualität, dunkle Ecken und Treppenhäuser entwickelten sich zu Angsträumen. Die Bewohner blieben in ihren Appartements eher unter sich und trotz vielfältiger sozialer Einrichtungen entwickelte sich das soziale Leben nicht wie erwartet. Die Bewohner bemängelten den Verlust innerstädtischer Urbanität durch die weiten Freiflächen, die Nachbarschaftsprobleme durch die hohe Wohndichte und den Verlust des Kiez-Gefühls.“ (Wikipedia)

Apropos „Brennpunkt“: Die nahe dem Zwickauer Damm gelegene Kita Tabaluga, benannt nach einem kleinen grünen Drachen, der einst von Peter Maffay erfunden wurde, war Anfang des Jahres Opfer eines Brandanschlags. Dazu schrieb die Morgenpost:
„Deutlich war zu erkennen, dass auch Eindringlinge gewütet hatten. Ein Brandkommissariat beim Landeskriminalamt Berlin hat die Ermittlungen übernommen. Nach ersten Erkenntnissen gehen die Ermittler davon aus, dass bislang unbekannte Täter gewaltsam in das Haus eingedrungen sind, dort offenbar nach lohnender Beute gesucht und anschließend das Feuer bewusst gelegt haben.“

Kommissarin Nancy Schulze ermittelt.
In der Schule am Zwickauer Damm gibt es leider auch nicht die besten Nachrichten: Sie ist eine der Berliner Schulen, die von der neuen Masern-Welle in Berlin betroffen sind. Dabei steht sie wirklich nicht im Verdacht eine Waldorfschule zu sein, dafür gäbe es hier vermutlich auch keine Nachfrage.
Auf der anderen Seite

Das Faszinosum „Zwickauer Damm“ besteht für mich im Kontrast. Ein sozialer Kontrast. Ein architektonischer Kontrast – beides geht Hand in Hand. Direkt auf der anderen, der südlichen Seite des Zwickauer Damms (gemeint ist diesmal die gleichnamige vierspurige Straße durch deren Mitte eine einzelne Schiene führt, deren Sinn sich mir nicht erschließt) liegt: Ein Wohngebiet für Besserverdienende. Die Straßen tragen hier so schöne Namen wie „Schriftsetzerweg“, „Uhrmacherweg“, „Bildhauerweg“ und „Gürtlerweg“ – alles Berufe, bei denen man denkt: oh, schön. Die haben mit ihrer Hände Arbeit noch etwas erschaffen.

Vor einer Kulisse aus wolkenkratzenden Betonklotzen finden sich Einfamilienhäuser mit hübschen Gartengrundstücken. Kleinstadtfeeling pur, nur einen Straßenwechsel entfernt. Buchsbäumchen sind akkurat geschnitten, Trampoline stehen auf grünen Rasen, dekorative Keramikartikel säumen Garageneinfahrten, Pflanzen werden vom Profi arrangiert.

Mit Gentrifizierung ist nicht zu rechnen.
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Der Holgi darf dann bald auch mal U7 fahren und an der Blaschkoallee aussteigen. Da solle es ihm gut gefallen.
e.i.n.s.t.e.i.n@gmx.de
Beim Gleis auf dem Zwickauer Damm scheint es sich um ein Industriestammgleis zu handeln – vgl. hier:
https://www.biuub.de/nme_map.html
https://www.biuub.de/nme_w_bilder_seite_11.html
mal was positives...
Also so trostlos wie der bericht scheint, ist der zwickauer damm garnicht. Der bäcker an der ubahn station ist DER treffpunkt schlechthin. Dort unterhalten sich nachbarn, trinken ein käffchen und essen gebäck. Man sieht dort immer fröhliche menschen. Im sommer hört man kinder spielen und lachen. Zum spazieren eignet sich der zwickauer damm vor allem nachts. Da sieht man die hochhäuser emporleucht. Kriminalität gibt es dort seit jahren schon nicht mehr in solch einem ausmaß, wie die meisten menschen sich das vorstellen.
Ich möchte da nicht mehr weg ziehen 🙂
komm mal im sommer vorbei und besuche den bäcker, es lohnt sich!
die Einladung nehme ich gern an 🙂
Wand an Wand
Es ist seltsam. Wenn ich früher nach Berlin fuhr, war die Gropiusstadt der Blick nach Westen über die Mauer, das gelobte Land. Wie sehnsüchtig wir da hinüber schauten!
https://www.youtube.com/watch?v=v8fTIR0dB1Q
Besser?
Äh, die beiden Fotos von den Lauben sollen aber nicht das “Wohngebiet für Besservedienende” darstellen?
naja, besser als auf der anderen Straßenseite mit großer Sicherheit.
Das Gleis
ist ein Abzweig von der alten Berlin Mittenwalder Eisenbahn zum ehem. Heizkraftwerk Rudow (inzwischen abgerissen). Die B-M-Eisenbahn führte vom (S)-Ring-Bahnhof Herrmannstraße nach Mittenwalde in Brandenburg. Die BME ist “berühmt” durch das Theaterstück “Der Hauptmann von Köpenick”. Selbiger verwandelte sich auf der Bahnhofstiolette vom Schuster in den Hauptmann (“Verdammt nochmal wer scheißt denn da so lange!”).
Wirklich? Schuster -> Hauptmann?
Fred schrieb, dass sich der “Hauptmann von Köpenick” auf einer Bahnhofstoillette der Berlin Mittenwalder Eisenbahn vom Schuster in den Hauptmann verwandelte (“Verdammt nochmal wer scheißt denn da so lange!”).
Das wäre seltsam, denn seinen ersten Einsatz in Uniform unternahm Friedrich Wilhelm Voigt – sowohl in der Realität als auch im Theaterstück – in der Nähe der Militärbadeanstalt Plötzensee – also ziemlich weit entfernt von Rixdorf (dem heutigen Neukölln).
Auch Wikipedia stellt es im Artikel “Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn” anders dar. Danach legte der der Hauptmann von Köpenick, auf der Toilette des Personenbahnhofs Hermannstraße dieser Eisenbahn seine Uniform wieder AB.
Schöne Bilder
haben Sie da in der Gropiusstadt aufgenommen. Unbedingt wohnen möchte ich da nicht. Andererseits gewinnt man doch den Eindruck, dass sehr viele – durchaus auch europäische – Städte froh wären, wenn ihre mittleren Wohnlagen so aussähen wie die sozialen Brennpunkte Berlins.
Dieses Nebeneinander von kleinen Einfamilienhäusern, inbes. Siedlungshäusern, und standardisierten Wohnhochhäusern hat man in Berlin übrigens häufig, z.B. auch in Marzahn.