Eigentlich wollte ich eine andere Geschichte aus Zeuthen erzählen, werde ich auch noch, aber die hier muss gerade mal raus. Ich musste nämlich vor die Tore Berlins, zum Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY). Das ist in Zeuthen. Dorthin fährt man mit der S46, wenn man über die südliche Ringbahn kommt, oder mit der S8 über den Nordring, jeweils Richtung Königs Wusterhausen (übrigens kenne ich einen, der König Wusterhausen als Künstlernamen in seinem Ausweis stehen hat – aber das ist noch eine andere Geschichte).
Am Ende des Zeuthener Bahnsteiges, in stadtauswärtiger Fahrtrichtung, gibt es einen sehr praktischen Hinterausgang, das DESY liegt nämlich in dieser Richtung und man hat nur ungefähr fünf Minuten Fußweg.
Meinen Rückweg hatte ich so geplant, dass ich so ungefähr drei, vier Minuten vor Abfahrt des Zuges am Bahnsteig bin, denn ich bin ja nicht doof und überlasse das Rumlungern auf Bahnsteigen gerne Anderen.
Aber weit gefehlt, Trottel! Der praktische Hinterausgang wird nämlich völlig unpraktischerweise knapp sechs Minuten vor Abfahrt in einer so ungewöhnlich dichten Weise mittels Schranken und Gittern verrammelt, dass man das Kletttern anfangen müsste, um den Zug noch zu erreichen, was man aber nicht will, denn einerseits ist es gefährlich und andererseits ist es nicht ganz günstig, bei einem solchen Stunt von der Obrigkeit erwischt zu werden. Der Fachmann weiß: Es kostet ziemlich genau 380,- Euro. Ich vermute, es ist billiger, einen Zug zu klauen.
Jedenfalls steht man (also ich) doof an diesem bescheuerten Bahnübergang rum, externalisiert wimmernd die Schuld an dieser schrecklichen Zumutung (“Scheißkaff”, “doofe Bahn”, “das hat die SPD mir eingebrockt”) und schaut verzweifelt dem Zug hinterher, wie er gen Zivilisation davonfährt. Das ganze ist doppelt unangenehm, denn die S-Bahn fährt hier draußen sowieso schon nur im provinziellen 20-Minuten-Takt. Als Innenstadtbewohner ist man solche Leerlaufzeiten ja gar nicht mehr gewohnt und fühlt sich immer gleich ein wenig hilflos. Dieser Takt ist im aktuellen Bahnstreik allerdings wieder ganz lustig. Man bemerkt den Streik nämlich nicht, weil dessen Notfahrplan dieselbe Taktung hat. Ha!
Wenn ich das nächste Mal in Zeuthen bin, wird mir dasselbe, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nochmal passieren, denn ich neige zur Vergesslichkeit. Dann jedoch werde ich die Wartezeit überbrücken, indem ich einen Blick in ein Geschäft werfe, das auf der anderen Seite der Schranken steht, auf den Namen “Autlet-Center” hört und verblüffenderweise die gleichen Dinge feilbietet, wie ein Outlet-Center. Ich werde berichten.
Nachtrag (24.4.2015)
Ich produziere einen Wissenschafts-Podcast für die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und war am DESY, um eine Sendung über deren Schülerlabor zu machen, die seit heute online ist. Am DESY forschen sie mit Beschleunigern, in Beschleunigern ist ein Vakuum und darum können Schulklassen dort am Vakuum experimentieren.
Am Ende des Experimentiertages, sozusagen als letztes Experiment, bekommen die Schüler Schokoküsse, die sie dem Vakuum aussetzen dürfen. Der Versuch ist tausendfach bekannt, Fachleute gähnen meist gelangweilt, aber Schüler und so Kindsköppe wie ich finden sowas immer wieder toll. Wer es noch nie gesehen hat: Wenn sich der Luftdruck um den Schokokuss herum senkt, dehnt sich die Füllmasse der Süßspeise aus, bringt dabei die Schokohülle zum Platzen und wird irgendwann ungefähr so groß, wie der Kopf eines Siebtklässlers. Bringt man den Luftdruck wieder auf normal, sackt die Masse in sich zusammen und bildet einen zähen Fladen, den man dann essen kann.
Falls Sie ein solches Experiment daheim durchführen wollen, sollten sie sich Schokoküsse der Marke “Dickmann’s” besorgen. Die Wissenschaft hat nämlich festgestellt, dass deren Batzen auch nach dem Aufblähen und Zusammenfallen noch schmackhaft genug aussehen. Alle anderen, die sie ausprobiert hätten, hätten eine fiese, graue Pampe ergeben, die kein Schüler freiwillig auch nur habe anfassen wollen. Ein anwesender Physiker äußerte die Vermutung, es könne an den verwendeten Stabilisatoren liegen, war sich aber alles andere als sicher.
Und so ist es mit der Batzologie wie mit aller Wissenschaft: Jede Antwort, die wir finden, wirft sofort neue Fragen auf. Anfragen für Bachelorarbeiten zu Schokoküssen im Vakuum vermittle ich gerne ans DESY.
Königs Wusterhausen
Künstlername K…
Jeder kennt das Kaff doch nur als KW
PS.im Norden gibt es einen Tunnel!
Zeuthen
Oh, schöne Alliteration! 😉
Das “Autlet-Center” werde ich mir demnächst auch mal ansehen. ^^
Eine 20-Minuten-Taktung ist doch super!^^ Das Kaff, aus dem ich eigentlich komme, hat nicht mal S-Bahn-Anschluss und Züge fahren nur im 1-Stunden-Takt. ^^ 😉
auch nett: "Eatery"
Autlet ist doch dufte. Gefällt mir. Wennschondennschon.
Wenn schon Quatschbezeichnungen für simple Anziehsachen bei schlechtem Wetter, dann wenigstens mit Ironie und die Pseudoanglistiker auf den Arm nehmend. Aber… lohnt das in Zeuthen?
Wird denn
nur der praktische Nebeneingang zum Bahnhof oder auch die gesamte Straße ca. fünf Minuten zu früh gesperrt? Falls letzteres: Vielleicht hängt die präkoktische Beschränkung ja doch mit gewissen Abweichungen des Streikfahrplans zum regulären Fahrplan zusammen.
Da ist tatsächlich die ganze Straße dicht. Ich habe das länger beobachtet. Manchmal kommt auch die S-Bahn in die andere Richtung durch – und dann auch noch ein Regio. Wenn ich da regelmäßig als Fußgänger durch müsste, würde ich verrückt werden.
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Also 20 Min Takt ist doch in Ordnung. Klingt n’bißchen nach jammern auf hohem Niveau;)
Wie “n’bißchen”?!? 😀
Ich weiß selbstverständlich, was schlimme Taktung ist! Ich hab vier Jahre im Rhein-Main-Gebiet verbracht.
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Zeuthen? Hm…war da nicht vor langer Zeit der letzte DDR-Innenminister,
der multifunktionale Peter-Michael Diestel in Sachen Schnäppchen unterwegs?
Allerdings nicht an der S-Bahn, sondern am Zeuthener See.
.
Wer sich für schöne Industriearchitektur interessiert,
sollte mit der S 46 eine Station in Richtung KW weiterfahren,
und in WILDAU aussteigen!
In unmittelbarer Nähe befindet sich der Campus der TH Wildau.
Ein Rundgang lohnt!
https://www.th-wildau.de/biosensor-symposium/dbs8.html
Kleine Einfuehrung in die Bahntechnik
Zu der “zu früh” zugehenden Schranke:
Der Zug (auch S-Bahnen sind Züge) braucht eine Fahrwegsicherung. Diese Sicherung geht nicht nur bis zum Zielsignal (das am Ende des Bahnsteigs steht), sondern darüber hinaus bis in den sogenannten Durchrutschweg (D-Weg). Der heißt absichtlich so und ist dazu da, damit niemandem was passiert, wenn der Triebfahrzeugführer mal zu bremsen vergisst. Dann wird am haltzeigenden Zielsignal die Notbremsung ausgelöst und der Zug hat noch gute 200 m Platz, um zum Stehen zu kommen. So weit die Idee und sie ist auch vernünftig. Nur muss eben zur Fahrwegsicherung auch dieser D-Weg gesichert sein, d.h. die Schranke muss unten sein – und das bereits dann, wenn die S-Bahn von der anderen Seite (also von Grünau aus) auf den Bahnhof Zeuthen zu fährt.
Diese Konstruktion gibt es in Brandenburg verschiedentlich, z.B. an der B167 in Seelow-Gusow (da sind viele Bißspuren im Schrankenbaum).
Schranken-Philosophie
Zu der Geschichte mit der Schranke eine Anmerkung:
Im ländlichen Raum sind häufig Schranken mit Annäherungs- und Räumungssensoren verbaut, im Bereich der S-Bahn ist das aber nicht unbedingt so.
Die Schranke liegt hinter dem Zielsignal der Züge, die von Grünau kommen. Zur Fahrwegsicherung dieser Züge wird nicht nur der Bereich bis zum Zielsignal gesichert, sondern auch der Durchrutschweg – der heißt schon so – der hinter dem Signal liegt. Sollte der Fahrer aus irgendwelchen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig bremsen, dann wird der Zug am Signal auomatisch notgebremst und hat noch ein- bis zweihundert Meter Sicherheit. Um das zu gewährleisten, wird aber dieser Weg gesichert, wenn der Zug in den letzten Abschnitt vor dem Signal einfährt.
Das Gleiche gilt für die Züge, die von KW kommen – bevor der Zug in den letzten Abschnitt vor dem Bahnhof einfährt, muß die Schranke zu sein – bevorzugt so früh, daß der Zug nicht bremsen muß.