Unter dem Platz der Luftbrücke fährt die U6. Es ist der Bahnhof, der dem ehemaligen Flughafen Tempelhof am nächsten liegt. Das ist ein völlig überflüssiger Innenstadtflughafen, dessen einzig erkennbarer Sinn darin lag, dass ich für sechs Euro inkl. Trinkgeld mit dem Taxi nachhause fahren konnte, was ja schon irgendwie cool war, aber lange nicht cool genug, um in nostalgisches Gejammer zu verfallen.
Glücklicherweise wurde der Flughafen vor ein paar Jahren geschlossen, so dass wir jetzt ein riesiges, leider leicht brachiges Naherholungsgebiet in der Stadt haben, das zu betreten sich immer ein wenig so anfühlt, als würde man an der Ostsee stehen – und die kommt ja auch immer ein wenig brachig daher. Am Platz der Luftbrücke steht ein Denkmal, das an die Luftbrücke erinnern soll, die teilweise über dem Flughafen abgewickelt wurde, die sogenannte Hungerkralle. Und damit wären wir beim eigentlichen Thema dieses Beitrags.
Denn ich esse gerne. Ich esse vor allem gerne gut. Das bedeutet nicht, dass ich gesteigerten Wert darauf lege, stets in besonderen Restaurants essen zu gehen und immer nur den teuersten und exotischsten Kram in mich reinzustecken, denn das kann ich mir nicht nur nicht leisten, sondern fände es auch irgendwie albern. Auf Dauer jedenfalls. Gutes Essen erkenne ich daran, dass meine Ur-Oma die Liste der Zutaten intuitiv decodieren könnte, wenn sie noch am Leben wäre und daran, dass es nicht aus der Nahrungsmittelfabrik kommt und nicht beim Discounter verkauft wird, solange es nicht gerade Obst und Gemüse ist. Und zwar selbst dann, wenn die Werbeagenturen der Discounter regelmäßig versuchen, mir das Gegenteil weiszumachen. Bioläden finde ich meistens gut, jedoch versuche ich, mein Essen möglichst bei Handwerksbetrieben und auf Märkten zu kaufen.
Ich habe das Glück, nur fünf Fahrradminuten vom Platz der Luftbrücke entfernt zu wohnen. Dort gibt es reichlich Läden, in denen ich mein Essen gerne kaufe. Beispielsweise einen Metzger, an dem ich jahrelang vorbeigelaufen bin, weil er zu Geschäftszeiten von außen nur wenig einladend aussieht, wie er da so zwischen Döner- und Lottoladen rumsteht und Biertische für den schnellen Schnitzel- und Boulettenimbiß bereithält.
Irgendwann jedoch wankte ich leicht trunken die Manfred-von-Richthofen-Straße entlang und es war hell genug, auf Anhieb zu erkennen, dass der Metzger zur Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall gehört und darum Fleisch vom schwäbisch-hällischen Landschwein verarbeitet. Dabei handelt es sich um eine alte, wohlschmeckende Schweinerasse, die in Ruhe gemästet und freundlich geschlachtet wird. Seit ich das weiß, decke ich meinen Schweinefleischbedarf ausschließlich dort. Das ist dann zwar teurer als das Plastefleisch aus dem Supermarkt, aber ich muss ja nicht jeden Tag Fleisch oder Wurst essen.
Allerdings würde ich jeden Tag Wurst essen wollen, denn mein Metzger macht ganz schrecklich leckere Bratwürste. Mit einer davon hat er sogar den Bratwurstwettbewerb gewonnen, der einmal im Jahr in der Domäne Dahlem stattfindet. Neben der Siegerwurst „Spargel-Zitronengras“ gibt es bemerkenswerte Varianten wie beispielsweise Bergkäse-Almkräuter, Wasabi-Ingwer oder Tandoori-Honig. Aber auch die Standard-Bratwurst ist ausgesprochen gut (jedenfalls die grobe, feine mag ich prinzipiell nicht so gerne) und die Nürnberger sind die besten, die ich außerhalb Nürnbergs je gegessen habe. Die Leberwurst entzückt nicht nur mich und Teewurst gibt es auch. Selbstgemacht. Ich hasse Teewurst. Eigentlich. Seit ich die Teewurst vom Genz gegessen habe, liebe ich Teewurst so sehr, dass ich sie löffelweise essen will. Allerdings nicht die aus einer dieser Teewurstfabriken, die irgendwelche Prominenten Reklame machen lassen müssen, weil die Qualität ihres Produktes nicht ausreicht, um hinreichend Käufer anzusprechen.
Mehr oder weniger nebenan gibt es meinen bevorzugten Bäcker, die Hofpfisterei. Das ist auch so ein Laden, in den ich nie gegangen bin, weil ich den Namen irgendwie doof fand. Eine Freundin arbeitet dort und hat mir von ihren Arbeitsbedingungen berichtet. Die sind so vorbildlich, dass man den Eindruck bekommt, man befände sich noch in den späten 1980er Jahren. Ich kaufe mein Brot nur noch dort, denn ich finde eine solche Unternehmenskultur bedingungslos unterstützenswert. Außerdem ist deren Sauerteigbrot der Knüller (Kümmel! Koriander!). Spätestens hier habe ich angefangen, mich nicht mehr so sehr von meinen Vorurteilen leiten zu lassen.
Noch ein paar Häuser weiter ist der teuerste Laden, den ich regelmäßig besuche: Butter Lindner, die nicht mehr Butter Lindner heißen, sondern irgendwie anders. Vermutlich weil’s moderner klingt. Aber was schert mich das, wenn ich deren Vanillequark kaufe, der dafür verantwortlich ist, dass ich mich weigere, irgendwelchen anderen Vanillequark zu essen. Außer selbstgemacht vielleicht. Ich habe die Theorie, dass sie es auf irgendeine magische Weise hinbekommen haben, Butter in Quarkonsistenz zu verwandeln, so üppig kommt diese Süßspeise daher. Ich könnte jetzt noch ewig weiter schwärmen (Der Rahm! Die Brötchen! Das Knabberzeug!), aber so langsam beschleicht mich das Gefühl, ich könnte klingen, wie ein Abgesandter irgendeiner Stadtteil-Marketing-Initiative.
Schräg gegenüber gibt es übrigens einen türkischen Lebensmittel-Laden namens „Eurogida“, was soviel bedeutet wie „Euro-Kost“ (im Sinne von Verköstigung). Der ist einer der Gründe dafür, dass ich „Pegida“ von Anfang an für eine Bande von Witzfiguren gehalten habe, noch bevor ich wusste, was deren Inhalte (haha) sind – und damit ja anscheinend sogar Recht gehabt habe. Mein Fahrradhändler ist die Straße runter, genauso wie meine Apotheke, mein Augenarzt, einer dieser modernen Eisläden mit total originellem Namen, aber gutem Eis und ein Hipstercafé mit frisch Kuchen auf dem Teller und ollen Ohrensesseln auf dem Gehweg. Bei uns in Tempelhof ist Außengastronomie gemütlich. Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste und Wurst kaufen kann beschwerlich sein. Fragen Sie Don Alphonso!
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Ah! Sehr schön! Als bayerischer Hinterwäldler denkt man ja, in Berlin gäbe es nur Döner mit Molle und Korn.
Aber daß jetzt sogar unsere Hofpfisterei dort eine Filiale unterhält, lässt hoffen!
Es gibt sogar mehrere Filialen und es kommt immer mal wieder eine dazu. Wir haben inzwischen sowieso ein sehr gutes Angebot in Berlin. Vor zehn Jahren war das noch nicht so.
Bayern
Aber gerade für die Bayern gibt es doch schon seit über 100 Jahren eine Zuflucht in Berlin: https://www.verein-der-bayern-in-berlin.de/web/index.php
“Sonntags: Falschparkeranzeigen” 😀
Erinnerungen
Das alles liegt weckt Erinnerungen; es ist der Weg zwischen meinem Fünfzigerjahre-Zuhause und der Wohnung meiner älteren & verheirateten Schwester, damals in der Boelckestr. Und dem Spielplatz dort (Schreiberring), und “meiner” Zufluchtstätte: die damals gerade eröffnete öffentliche Bücherei in der Dudenstraße, und, und, und… Erinnerungen. “Platz der Luftbrücke war bis in die Sixties “mein” U-Bahnhof, wenn ich mit der U-Bahn nach Hause kam; allerdings der andere Ausgang weiter unten.
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Dieser Teil von Tempelhof hatte für mein schlichtes (oder naives) Kindergemüt immer etwas “besseres”; besser jedenfalls als der andere Teil von Kreuzberg, den ich als SW61er bewusst vermied: SO 36.
In der Manfred-von-Richhofenstr. war ein radiohändler, bei dem ich immer das wöchentliche kostelose TV-programm holte (und meine ersten Singles Kaufte).
Ich war als Knirps auch bei der Eröffnung des Luftbrückendenkmals (’52?)
Ich denke auch oft, dass die Gegend eigentlich etwas besseres sein müsste, hauptsächlich wegen der Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen am anderen Ende der Richthofen, aber die Einzelhandelsstruktur spricht bisher eher eine andere Sprache. Gleichwohl: Es bessert sich. Aber von 61er Verhältnissen sind wir noch weit entfernt (was ich sehr bedauere, denn im Herzen bin ich 61er – bloß im Geldbeutel leider nicht). Einen Radiohändler gibt es dort immer noch. Ob das allerdings derselbe ist, weiß ich nicht.
Wenn ich Sie so kommentieren sehe, bekomme ich Lust, mal mit Ihnen über Berlin zu reden 🙂
Hofpfisterei: Wenn ich diesen Namen höre, schwillt mir der Kamm.
Vor etwa 25 Jahren habe ich in einer Münchener Filiale der schon damals hochgelobten Hofpfisterei ein Brot gekauft, das nicht richtig gebacken war und beim Aufschneiden auseinanderfiel. Darüber habe ich mich so aufgeregt, dass ich anderntags die Filiale besuchte und zum bislang einzigen Mal in meinem Leben ein Brot zum Gegenstand einer Mängelrüge machte. Die Verkäuferin ließ sich nach meiner Philippika dazu herab, mir ein Ersatzbrot auszuhändigen, gab mir aber nicht Recht, geschweige denn, dass sie sich entschuldigt hätte. Richtig gut war das Ersatzbrot auch nicht. Seitdem habe ich Niederlassungen dieses Unternehmens nicht mehr betreten, bin aber unzähligen Menschen begegnet, die mir von der Hofpfisterei vorschwärmten. Denen berichtete ich dann mit sich ständig steigernder Empörung von meinen negativen Erfahrungen, womit ich aber nur Unglauben erntete. Ich nehme der Hofpfisterei also nicht nur ihr schlechtes Brot übel, sondern auch, dass sie mich in meinem Umfeld zum Sonde
zum...
Sonderling macht. (Da habe ich wohl ein Zeichenlimit überschritten)
Was ja auch wieder irgendwie zum “Sonderling” passt 😉
Ha
Mein alter Kiez! (ehem. Bayernring)
Ich fahre abkürzungshalber oft durch die Manfred-von-Richthofen. Muss mal Halt machen. Danke für den Tipp!
Beim Genz gibt es auch einen sehr leckeren Fleischsalat! (Und ich finde Fleischsalat eigentlich eher fies)
@Martin - Bayern in Berlin
Die oben genannte Bayernzuflucht ist bei mir in der Nähe. Noch näher ist das Weiße Rössl. Das erste bayerische Bierlokal in Berlin. Auf den alten Fotos stehen die Leute noch mit Frack und Zylinder davor.