Heute war ich in Spindlersfeld und habe mich dort umgesehen. Aber leider muss ich Sie, was diesen Bericht angeht, vertrösten: Die Sonne hat mein Gehirn geröstet.
30 Grad im Schatten – das ist wirklich nicht meine Welt. So gar nicht. Als Jugendliche bin ich für die heißesten Tage des Jahres gerne nach Irland geflüchtet, wo es tagsüber im Sommer oft nicht viel mehr als 15 Grad werden und habe dann am Telefon erfahren, dass zuhause bei 32 Grad alle schwitzen. Und war froh. Das ist lange her und jetzt hänge ich in Berlin fest – wegen der Kinder und wegen der Arbeit und weil Irland leider auch immer etwas teuer ist, finde ich. Also war ich eben in Spindlersfeld und sah dort, was man dieser Tage überall in der Nähe Berliner Bahnhöfe sehen kann: Eine riesige Erdbeere mit Frauen drin. Das ist eine Erdbeere vom Karlshof und der kommt aus Rövershagen an der Ostsee. Das weiß ich, weil man mit Kindern statt nach Irland natürlich im Sommer an die Ostsee fährt und dort den ganzen Tag an Stränden rumhängt und so kommt die eine oder andere Familie auch am Karlshof in Rövershagen vorbei. Das ist nämlich nicht nur ein Bauernhof, der Erdbeeren anbaut, nein: Das ist ein ErlebnisHof! Jaha. Da kann man nämlich was erleben.

Letzten Sommer war ich mit meinen Eltern und den Kindern in der Zweigstelle des Erlebnishofes in Elstal bei Berlin. Der Eintritt ist zwar grundsätzlich kostenlos, aber am Ende lässt man eine ganze Stange Geld dort. Denn man will ja eine Runde mit dem Traktor fahren und man will ja auch eine Erdbeer-Bio-Wurst (wirklich lecker!) und man will ja dies und jenes und überhaupt. Wir fuhren also Traktor, rutschten auf Kartoffelsäcken die Kartoffelsackrutsche runter und irrten durch ein Mais-Labyrinth – und ich hatte ganz sicher schon weniger Spaß!
Außerdem gibt es da in der großen Kaufhalle einen Guinness-Buch-Rekord zu bestaunen: Die größte Anzahl von Kaffeekannen an einem Ort auf der ganzen Welt. Das ist ganz hübsch, denn Kaffeekannen gibt es ja in den unterschiedlichsten Farben und Formen: mit Blümchen, Weiß, Prozellan*, Silber, in 70er-Jahre Mustern mit Orange und Braun, ostfriesisch-blaues Design, eglische Jagdmotive … Das alles weiß ich, weil es an verschiedenen Punkten in der Halle auch Fernrohre gibt, mit denen man die Kannen begucken kann und das habe ich gemacht und hätte ich auch noch eine ganze Weile länger tun können.

Übrigens schließt sich hier ein netter kleiner Kreis, denn ich hatte nur ein Mal in meinem Leben ein echtes “Guinness Book of World Records” in der Hand und das war ausgerechnet: in Irland. Meine Gastfamilie, die O’Sullivans, hatten eins rumfliegen und ich blätterte darin herum. Ich fand unter anderem (neben den längsten Fingernägeln der Welt *schauder*) die teuerste Geige der Welt. Eine Stradivari aus dem 17. Jahrhundert (oder so). Und mein offener Mund löste in der Familie O’Sullivan (bestehend aus sechs lebhaften Kindern) eine gewisse Wuseligkeit aus: Man suchte plötzlich nach einer ganz bestimmten, für ein paar irische Pfund auf dem Flohmarkt ersteigerten Geige. Weil irgendwer meinte, auf dem Stempel darin stünde ja auch irgendwas mit “Stradiva..”. Man fand das gute Stück und wirklich: Innen drin ein Stempel mit “Stradivarivs” und eine Jahreszahl die noch VOR der im Guinnes-Buch genannten lag und ich kippte ein bisschen um. Das tue ich bis heute, denn O’Sullivans haben diese Sache nie wirklich ernst genommen und einfach ungeprüft gelassen, ob die olle Violine vom Flohmarkt zufällig irgendwas wert sein könnte. So sind’se, die Iren (und ich liebe sie dafür. zugegeben).
Mit seinen Freizeitparks und seiner Omnipräsenz an Berliner S- und U-Bahnhöfen ist Karls in meinen Augen ein echtes Erdbeer-Imperium. Wie ich gerade lese hat das auch schon jemand anders vor mir festgestellt. Na gut. Jedenfalls: ich würde das gerne anprangern, weil das kann ja nicht…! Das ist doch Kommerzscheiße! und ach…! Aber dann denke ich daran, wie die Kinder zugeguckt haben, als auf dem Erlebnishof die Bonbons gemacht wurden, wie die klebrige rote Erdbeerbonbonmasse gezogen und verdrillt und wieder gezogen wurde und dann einfach kleine Bonbon-Stücke aus einer langen Bonbonschnur geschnitten. Und die schmecken auch noch! Und die Erbeerwurst ja auch! Und natürlich auch die Erdbeeren aus den Riesenerdbeeren! Viele Berliner wissen das. Viele Leute kaufen deswegen ihre Erdbeeren lieber dort, als im Supermark. Ich auch.

Letzte Woche gab es die Riesenerdbeeren noch nicht, bzw. es gab sie, aber da stand noch keiner drin. Da kaufte ich deutsche Erdbeeren im Supermark und das war leider ein kleines bisschen enttäuschend. Da fehlt ein entscheidender Bestandteil des so genialen Aromaspektrums von Erdbeeren einfach. Und die Konsistenz ist viel zu hart.
Als ich heute am frühen Nachmittag mit geröstetem Gehirn aus Spindlersfeld zurück kam, da musste ich dann eben einen Stopp einlegen und ich musste einfach ein halbes Kilo kaufen. Es ist auch so nett, wie der Mann in der Beere das mit ruhiger Hand und einer Ausstrahlung wie Balu der Bär in der mechanischen Waage abmisst. Es ist toll, mit dieser Beute nach Hause zu gehen und sich einen Kaffee aufzusetzen, die Sahne zu schlagen und dann auf dem schattigen Nordseitenbalkon wieder abzukühlen und den Kreislauf wieder hochzufahren. Mit Koffeein, Zucker und dem geheimen Elixier, das in Erdbeeren bislang unentdeckt schlummert und einen schlichtweg glücklich macht.

* das ist so ein hübscher Tippfehler, den habe ich mal stehen lassen.
Juiiii! Super Tippfehler...
der hat es echt verdient, zu überleben!
Prozellan
Und ich dachte erst, das sei so ne Kinderschöpfung, die mensch dann, weil so schön, ins eigene Vokabular aufnimmt… (so kam das “zweischneidige Pferd” in unsere Familie)
oh das ist auch sehr schön. bei uns gibt es “Sandalien” an den Füßen 🙂
... einen ham'wa noch
Der “Supermark” war wohl auch erhaltenswert 😉
Spindlersfeld!!
Und – hat das Erdbeeraroma Ihr Gehirn inzwischen wieder entröstet? Ich warte auf den Bericht aus Spindlersfeld; viel spannender als Irland und Ostsee, weil irgendwie naheliegender. Also die Richtungsentscheidung zwischen der charmanten Köpenicker Seite mit Hauptmann/Schloss/AltstadtFlair und der Richtung Oberspree, die nach den Einfamilienhäusern mit einem martialischen Zaun um das ehemalige Kreiswehrersatzamt aufwartet und mit diesem Waldstück, das uns als Jugendlichen nicht geheuer war.
Köpenick wäre viel schöner und kulturell interessanter, Oberspree in gewisser Hinsicht spannungsgeladener und aktueller gewesen, denke ich mir, auch wenn man das nicht wahrnimmt, wenn man da bloß mal aussteigt. Aber allein die Nähe von ehemaligem PA-Ausbildungszentrum (mit tollem Wasserblick) und jetzt eben einer Waldorf-Schule (der gleiche tolle Wasserblick) ist interessant. Und das Ratz-Fatz, in dem früher ESP gelehrt wurde. Aber vielleicht will das auch keiner mehr so genau wissen.
Sie bekommen die Köpenicker Seite, so viel sei verraten. es wird eine sehr kontrastreiche Geschichte, glaube ich
Supermark
… und Supermark ist eine Firma?
Gehirn – geröstet. sach ich doch!
Erinnerungen
In Elstal bin ich auch mal gelandet (lange Geschichte, gehört nicht hierher). Es war auch ein sehr heißer Tag, letzen Sommer; Döberitzer Heide sag ich nur: welch’ gottverlassener Ort und welch’ Schnappsidee…
Auf dem Weg zum Bahnhof (mit Landkarte), also zurück nach Berlin, sah ich dieses Schwimmbad/Erlebnisfreizeitparadies o.s.ä. und das machte einen sympathischen Eibndruck; ich dachte ich mir, da sollte man vielleicht mal…
Doch mein Sohn ist nun auch schon 25 und das ist nun ein bissl spät.
Aber auf dem Weg zum Bhf Elstal hab’ ich die alte Reichsstraße 5 zu Fuß überquert, auf der ich im Juli ’61 mit dem Fahrrad durch die DDR nach Hamburg… (aber auch das ist eine andere….)
🙂
ich finde es eine sehr schöne Erfahrung, die ich hier gerade mit dem Blog mache, dass Orte so viele Assoziationen und Erinnerungen wecken und dass das Ihnen auch so geht. das ist schön – kollektives Schwelgen 🙂
Assoziationen und Erinnerungen
Fällt mir gerade wieder ein:
Bei meinem letzten Irland Aufenthalt (2006) war gerade Erdbeerzeit und es gab sie an jeder Ecke!
Wunderbar, wenn man das Schöne mit dem Angenehmen verbinden kann.
🙂
So ein Stradivarius-Stempel
dürfte vermutlich in mehr als der Hälfte aller Flohmarktgeigen prangen. Das muss übrigens gar kein plumper Fälschungsversuch sein, sondern kann auch nur bedeuten, dass sich der Geigenbauer an einem Stradivari-Modell orientiert hat und nicht etwa an einem von Guaneri, Stainer oder sonst einem bekannten Geigenbauer.
Es wäre eigentlich interessant, zu untersuchen, ob Menschen die so eine Pseudo-Stradivari besitzen und sie für echt halten, glücklicher oder zumindest wegen des vermuteten Wertes gelassener sind als Menschen ohne. Die Zahl der in Betracht kommenden Probanden dürfte jedenfalls groß genug sein.
Titel eingeben
Die Spindlersfelder „Erdbeere“ im gar nicht so martialischen Spindlersfeld (man denke etwa an die Spindlerbauten) ist jetzt übrigens n Betrieb. Ich kaufe auch lieber aus solchen verspielt wirkenden, übergroßen Erdbeeren.