Berlin ABC

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Wir fahren durch die Hauptstadt

Spindlersfeld (Endstation)

| 13 Lesermeinungen

Für Katrin

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Ich schwöre: Ich habe es nicht gewusst! Mir war überhaupt nicht klar, was eine Yacht tatsächlich kostet! Holla die Waldfee – in Spindlersfeld erlebte ich, was das Ausmaß der theoretisch möglichen Dekadenz anbelangt, einen Realitätsabgleich.

da ist es - das Schlossda ist es – das Schloss

Nicht weit entfernt von der S-Bahnhaltestelle Spindlersfeld (eine Endstation der Zweigbahn Schöneweide-Spindlersfeld, diese hat eine interessante Geschichte, die Wikipedia weiß bescheid) gibt es nämlich einen kleinen Yachthafen mit Yachthandel namens “Spreemarine“. Eigentlich wollte ich zum Schloss Köpenick, das schon an der nächsten Kreuzung ausgeschildert war. Aber an der Dahme blieb ich hängen – das ist der Fluss, der hier entlang fließt. Direkt neben dem „pentahotel“ liegt diese Anlegestelle und ich wagte mich auf den Steg, weil ich neugierig war. Es ist ein starkes Kontrastmittel im Vergleich zu dem Weg, der hinter mir lag: An kleinen Straßen vorbei, die von Häusern gesäumt sind, in denen augenscheinlich Arbeitervolk, Senioren, eventuell auch Unterschicht wohnt. Die Leute sitzen unter sehr bunten Sonnenschirmen neben Geranien und rauchen. Ihre Haare sind fesch kurz, es ist hier modisch, eine einzelne in die Stirn hängende Strähne in einer anderen Farbe zu tragen, als den Rest. Man trägt Pastell an Croc-Imitaten. Schon am Bahnhof macht sich einer dieser Leute ein Bier auf, es ist halb zwei. Durch und durch ist das hier eine Realität, wie sie mir nicht nur nicht fremd ist, sondern sehr vertraut. Sie stößt mich nicht ab, ich kenne sie gut aus Dessau und Umgebung, wo meine Eltern wohnen und wo alle so sind. Es ist eine gewisse Vertrautheit.

Deswegen schwöre ich: Dass eine Yacht so viel kostet wie eine Wohnung – das habe ich nicht gewusst. Nicht einmal geahnt! Klar: Wenn man sich die mal so anschaut, dann kann man viele gute Gründe finden, dass es so sein muss und nicht anders sein kann. Material, Ausstattung und Design sprechen, wenn man einfach mal genauer hinsieht und darüber nachdenkt, eine eindeutige Sprache: teuer. „Wertig“ ist vielleicht das Wort (ich lernte es erst vor Kurzem). Aber das ist alles ungefähr so weit außerhalb meines Erfahrungsschatzes, dass ich wirklich schlucken musste, als ich die Preise sah.

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Wir waren neulich unterwegs auf einem Boot. Und immer wenn ein solch schickes Ding an unserem geliehenen Kahn vorbeisauste, da seufzte mein Liebster schwer auf und sehnte sich und ich war so nichtsahnend und naiv, dass ich einfach nur mit den Achseln zuckte. Deren Boot ist schicker als unsres und vermutlich gehört es denen sogar – aber na und? Da brauchen die sich nix drauf einbilden. Dachte ich. Da wusste ich aber auch nicht, dass die auf einem Gefährt im Wert eines Einfamilienhauses in Wittstock an uns vorbeisausten! Mit Garten!

Mich machen solche Erkenntnisse fertig. Für was Leute Geld übrig haben – denn das Haus mit Garten und Whirlpool, das haben sie ja sicher auch schon – das ist wirklich krass. Die Schere zwischen Arm und Reich hat ein Gesicht:

 

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Ein braungebrannter Mann mit Sonnenbrille, weißem Hemd und weißer Hose, dazu Schuhe auf die ich nicht achte, die aber sicher teuer waren, zeigt einem anderen solchen Herren einige der Yachten und sie sprechen miteinander. Mit meinem Achselzucken komme ich hier nicht weit. Es funktioniert nicht mehr, seit ich die Preisschilder sah. Es ist vorbei mit meiner Unbedarftheit, ich weiß jetzt, was für ein Pöbel ich auf diesem Steg bin. Ich, die ich stolz auf meine kleine WBS-Wohnung im Friedrichshain bin.

Deswegen ergreife ich die Flucht und ich weiß, was ich nun brauche: Eine Soljanka und ein Bier im „Hauptmann von Cöpenick“. Einem Restaurant an einer Straßenecke in der Oberspreestraße, wo meinesgleichen abhängt.

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Im „Hauptmann von Cöpenick“ sitzt eine Gruppe Herren um einen Tisch. Alle scheinen in Rente zu sein. Sie unterhalten sich hier bei einem gepflegten Bier über Gott und die Welt. Über die moderne Körperpflege von Babys zum Beispiel. „Früher hamwer die einfach jeden Tach jebadet, heute darfste die ja zwee Wochen oder so nich“, weiß der eine. Ob es heutzutage überhaupt noch Babypuder gebe, fragt der andere. Auch das mit dem Schreien ist Thema. „Is doch klar, dass die alle zwee Stunden anfängt zu quäken“, findet der nächste, die Kinder bekommen ja immer gleich Aufmerksamkeit. Früher gabs das nicht. „Ich bin 1932 jebor’n“, erzählt jetzt ein weiterer Herr. „Meine Schwester ist 1943 jebor’n – mitten im Kriech. – Wir sind alle groß jewor’n. Wenn wir jetzt zurückdenken… es jab ja ooch viele Kinder, die war’n ja nich jewollt. Meine Schwester war jewollt. Es jab viel mehr Kinder – mitten im Kriech!“

Irgendwie hat er ja Recht, denke ich. Was wir uns heute immer für nen Kopf machen.

Hinten sitzt sogar ne Hauptmannspuppe am TischHinten sitzt sogar ne Hauptmannspuppe am Tisch

Aber zum Denken komme ich nicht viel. Jetzt wirft wieder ein anderer ein: „Wir brauchen mehr Kinder von Intelligenz. Aber Frau Doktor Merkel und die studierten Frauen, die kriejen ja keene Kinder mehr. Die bräuchten wir aber. Damit die Kinder die Intelligenz von Zuhause erben.“ „Ja.“ „Ja.“

Jetzt heben sie also auf die ganz großen Fragen ab. In Deutschland kriegen die Falschen Kinder – das wusste schon Daniel Bahr. Hitler war scheiße, aber vielleicht doch ein bisschen Eugenik wagen? So sagt es am Tisch nebenan natürlich keiner, das denke nur ich, weil ich immer zynisch werde, wenn ich Stammtischgeplauder zuhöre und mich nicht einmischen kann. Es sitzt keine einzige Frau am Tisch, aber die Herren wissen genau bescheid: Über schwangere Frauen und was so eine Frau alles leisten kann und was nicht. Sie stammen noch aus der guten alten DDR und damals ging es ja auch, damals arbeiteten die Frauen und kochten das Essen und putzten das Haus, dafür gab es ja extra einmal im Monat den Haushaltstag.

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Mein Bier und meine Soljanka kommen. Zum Glück. Denn nun geht es an die ganz harten Themen: Wer ist der Gewinner, der im Kapitalismus ALLES bekommt? Na die Herren am Nachbartisch jedenfalls nicht. Die sind ja auch keine Arschlöcher und das schließlich müsste man sein, wöllte man in diesem System Geld machen. Klar – das alte System der DDR war auch Mist. Das ist eben alles Mist, immer. Korrupt sind eben alle Menschen in allen Systemen. „Du darfst nich verjessen, die Kommunisten haben mit Adolf zusammenjekungelt. Die haben zusammenjekungelt“, erinnert sich einer. „Die ham ja alle jekungelt“, meint der andere. Alle kungeln immer. In allen Systemen unter allen Herrschern. „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“, geht ein Lied aus meiner Kindheit in meinem Kopf rum. „Die Rejierung hat doch das Ding nich in der Hand“ – wir kommen in der Gegenwart an. Es geht um die korrupte Regierung und deren Wirtschaftspolitik. Wer regiert eigentlich wirklich in Deutschland? Ja – wer denn?

Die Quittung wird gebracht – also die für die Herren, fürs Bier, im Hauptmann. Ich lasse mir die meine auch bringen.


13 Lesermeinungen

  1. Don Ferrando sagt:

    Titel eingeben
    Bei Ihnen müssen die Wohnungen aber billig sein!

  2. Tine sagt:

    Titel eingeben
    Ich als alte Ex-Berlinerin freue mich immer, wenn mir die e-mail einen neuen Artikel von Ihnen oder Holgi meldet! Bei jedem unserer jährlichen Besuche erobern wir uns die Stadt zurück, die sich seit unserer Jugend so sehr verändert hat und Sie beide geben uns viele schöne Hinweise, wo es sich lohnt, ein bisschen näher hinzugucken! Danke dafür!

  3. schrotsaege sagt:

    Ihr macht Euch
    Wieder ein angenehmer Beitrag!

  4. ErnstWilhelm sagt:

    Arschlöcher
    Deutsche Arschlöcher fordern Chancengleichheit. Aber wenn dann einer mehr daraus macht, ist man auch wieder beleidigt.

    Theodore Roosevelt schrieb einmal:”All privileges based on wealth, and all enmity to honest men because they are wealthy, are un-American-both of them equally so.”

    Dem Ersten stimmt der deutsche uneingeschränkt zu. Das Zweite zu verstehen, ist sowohl der Stammtischlogik als auch dem linksliberalen Weltbild fremd.

    Deshalb scheint man insbesondere im Osten auch Putin so sehr zu mögen. Es sorgt dafür, dass die Arschlöcher von Oligarchen, ob nun ehrlich oder nicht, wenigstens im Sinne des nationalen Interesses eingebunden werden. Leider vergisst man, dass dies in Deutschland vor 80 Jahren keineswegs nachhaltig funktioniert hat.

    • michirt sagt:

      Ohje
      “Es sorgt dafür, dass die Arschlöcher von Oligarchen, ob nun ehrlich oder nicht, wenigstens im Sinne des nationalen Interesses eingebunden werden.”

      So nennt man das also, in einem der korruptesten Länder der Welt.
      Da bin ich glücklich, dass das in Deutschland auf einige wenige Branchen (Bau, Autos, Nahrungsmittel) begrenzt ist.

  5. Anne sagt:

    Alte Heimat
    Ich habe etliche Jahre in Berlin Spindlersfeld gewohnt, sogar direkt um die Ecke der beschriebenen Kneipe. Daher habe ich mich über den Beitrag sehr gefreut! Schön getroffen, vielen Dank dafür.

  6. Petra sagt:

    Schöne Momentaufnahme
    Mein Viertel seit 30 Jahren. Treffend beschrieben. Warmherzig beobachtet. Ohne die oft übliche Borniertheit mancher Mitte-Menschen. Dankeschön 🙂

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