Berlin ABC

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Wir fahren durch die Hauptstadt

Biesdorf-Süd

| 9 Lesermeinungen

Seen, die direkt an S- oder U-Bahnhaltestellen liegen, sind derzeit natürlich eine ziemlich grandiose Angelegenheit. Einer davon, der Biesdorfer Baggersee, liegt wirklich nur 150 oder maximal 200 Meter von der U-Bahn-Haltestelle Biesdorf-Süd entfernt. Und wenn man an einem Sonntag wie diesem, an dem die Temperatur auf bis zu 38 Grad in Berlin steigen soll, einen Ausflug an eine Haltestelle machen möchte, dann am besten an eine mit angeschlossener Kühlung. Als wir kurz vor halb zehn dort ankamen, da waren schon einige Familien und vereinzelte Rentner am See, den das Neue Deutschland liebevoll den “Hartz-IV-See” nennt. Gelöcherte Plastikschuhe stehen im Sand, Schwimmflügel werden angelegt, Kinderbäuche platschen ins Wasser. Wir ergattern einen der wenigen verfügbaren Schattenplätze und breiten unsere Picknickdecke aus. Dann wird nicht lange gefackelt: Ausgezogen (die Badesachen hatten wir schon drunter) und ab ins Wasser. Halb zehn waren immerhin schon 28 Grad im Schatten.

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Der See ist wie die Baggerseen aus der Kindheit. Irgendwie ein bisschen klein, aber ganz ordentlich tief – man kann schon nach wenigen Metern nicht mehr im Wasser stehen und man muss nur ein bisschen rausschwimmen, um die Kälte von unten aufsteigen zu spüren. Die Eltern der hier badenden Kinder haben blondierte Haare, sind viel tätowiert und gepierct, einige sind übergewichtig, es gibt auffallend viele pinke Badeanzüge an erwachsenen Frauen. Ein tätowierter und gepiercter Vater auf der Decke neben uns herrscht seinen Sohn beim Sonnencreme auftragen an, er solle gefälligst “stehen wie ein Mann”.

Wir hopsen ins Wasser, schwimmen herum, bespritzen uns, mein Sohn schwimmt weiter raus, kommt zurück. Herrlich. So soll es ja sein. Die Kinder, Töchterchen hat Seepferdchen, Sohn hat das Bronze-Abzeichen, sind in den letzten Wochen und Monaten zu richtigen Wasserratten geworden und nach unserem Ausflug befinden sie einstimmig, dass es ein sehr schöner See sei, dass sie viel Spaß gehabt hätten und als ich vorschlug, dass wir uns demnächst auch noch einen anderen See anschauen könnten, da glauben sie irgendwie gar nicht, dass es noch einen schöneren geben kann. Nach ausgiebigem Bewegen im Wasser essen wir kurz eine mitgebrachte Kleinigkeit, dann werden die Schaufeln gezückt und Schlickburgen am Ufer errichtet. Vorbeiwackelnde Kleinkinder ruinieren immer wieder die mit mühevoller Arbeit errichteten Paläste. Irgendwann sind die Kinder genervt.

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Also wieder ab ins Wasser und etwas ungeplant durchschwimmen wir den See einmal, um zum Strand auf der anderen Seite zu schwimmen. Mein Sohn schwimmt sogar wieder zurück. Das waren bestimmt 400 oder 500 Meter pro Weg! Die Kinder lieben diesen See. Aber ich fühle mich langsam unwohler, denn um elf Uhr beginnt es ungemütlich voll zu werden. Immer mehr Menschen strömen herbei. Sie kommen aus allen Löchern gekrochen scheint es, die Sonne ist gewandert, die Schattenplätze dezimieren sich.

Töchterchen muss pullern. Am Rande des Geländes steht eine öffentliche Toilette. Sie geht aber nur auf, wenn man 50 Cent hineinwirft. Habe ich nicht – ich habe nur zwei Euro und das nimmt der Einwurf nicht an (nur 5, 10, 20 und 50-Cent-Stücke; also sollten Sie dort hin wollen, nehmen Sie sich entsprechend was mit, denn bei so einem kleinen See ist es eventuell doch etwas fies, wenn alle reinpullern). Wir nutzen den neben dem Klo befindlichen Holzzaun als Donnerbalken.

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Noch vor zwölf Uhr haben wir alle Sachen wieder eingepackt und sind auf dem Weg zurück ins dampfende Friedrichshain. Die Kinder: Glücklich. Ich: Erfrischt. Zum Glück waren wir so früh da – so hatte ich mir das ohnehin gedacht. Vermutlich sind jetzt wo ich diese Zeilen tippe, also Viertel nach drei, Zustände wie im Prinzenbad zu erwarten.

Was ich erst hinterher las – und ich weiß nicht, ob es meine Badelaune beeinflusst hätte, wenn ich es vorher gewusst hätte: offiziell ist der Biesdorfer Baggersee seit 2004 kein Badesee mehr. Im tagesspiegel vom 23.05.2004 stand sogar, dass es bei einem Bußgeld verboten sei, in diesem See zu baden! Wegen der Messwerte! Der See ist seither ein Politikum, nicht nur wegen der Hartzer. Es steht die Frage im Raum, wer sich zu kümmern hätte, wenn er ein offizieller Badesee wäre – als welcher er ja faktisch genutzt wird. Solange er offiziell keiner sein soll, gibt es keine Überprüfung der Wasserqualität, keine Rettungsschwimmer und keine Bewirtschaftung.

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Eigentlich ist das ja ganz cool, weil sehr undeutsch. Andererseits schicke ich jetzt meine Kinder mal lieber schnell unter die Dusche, wer weiß, was die sonst hier einschleppen.


9 Lesermeinungen

  1. Oliver Remme sagt:

    Interessanter Ausflugsbericht
    Vielleicht fahren Sie beim nächsten Mal ja nach Zeuthen, da ist es vom S-Bahnhof nicht weit zum gleichnamigen See, einem Dahmegewässer. Und die Dahme macht die Spree bekanntlich erst groß.

  2. perfekt57 sagt:

    h im Jahr nette ältere Dame getroffen, die war aufgeweckt und schlank und rank wie eine Elfe mit ihren bald achtzig Jahren. So ganz der Rohkost, FKK- und Ostseefantyp. Und ein Leben voller Arbeit & 4 Kinder und seid einiger Zeit alleine. Also Witwe. Aber über Winter macht die da immer runter in den ewigen Frühling für 4 Monate. Und lässt sich Zeit. Also so 200-300 KM am Tag wird gefahren & dann dauerts eben gut 3 Wochen bis sie mit ihrem Wohnmobil da unten ist. Und jede Fahrt der letzten 12-14 Jahre mit Bleistift in die Karte eingetragen. Immer dieselbe Karte, aber immer andere Routen. Vom Bleistift war nicht die Rede.

    Aber von anderem: “Na klar habe ick noch Pläne, durch langes Leben diesen Staat mit meine Rente so lange wie irgend möglich schädigen z.B.” – was haben wir gelacht – & uns gefreut. Irgendein Ziel sollte ja nun jeder haben. am besten solche, die auch gut funktionieren. & bei deren vermutlicher Rente käme es auf 3 oder 5 Jahre Bezug mehr auch n

    • perfekt57 sagt:

      früh im Jahr nette ältere Dame getroffen, uupss, so sollte es gehen, Überschrift hat gefehlt.

  3. perfekt57 sagt:

    Nachtrag: "Letzte Bratwurst vor Amerika" - Ungefähr kurz vor da wars gewesen.
    – und man kommt sich fast schon komiusch vor, wenn einen der Flieger nebst Begleitung hin und zurück für 4 Tickets nur +/-100 Euro gekostet hat. Und es nach Faro auch nur gut 2h zu fliegen waren. Fahren darunter Trier-Sagres wäre ja zusammen ca. 5.000 KM, also rund 750 Euro Diesel und geschätzte 150 – 400 Euro Maut, je nach dem, wie man fahren würde.

    Aber jeder wie er mag. Wer länger bliebe und die Unabhängigkeit schätzte würde vermutlich trotzdem eher nicht Fliegen.

    Und ja, überhaupt nur mal einen oder zwei Tage am Wochenende raus zukommen mit den Kids überhaupt schon was. Die Luxemburger Mosel zwischen Wasserbillig & Schengen war heute auch geschmissen voll von Leuten. Fast die meisten auch mit Badetuch. Und schönem Platz im nächsten Café.

    (An Cattenom hatten auch wir erst später gedacht, als wir da dann nämlich später auch noch vorbeikamen. Aber die deutsche & luxemburger Mosel liegt halt nun einmal stromab von Cattenom,

  4. Klaus sagt:

    kdm@posteo.de
    “Eigentlich ist das ja ganz cool, weil sehr undeutsch.”

    Wie die Sprache 🙂

  5. Tarifkenner sagt:

    Danke für den Link
    auf das Neue Deutschland online (“Der Hartz-IV-See”). Es ist wirklich interessant, welche Klischees diese Zeitung reitet. Ich vermute, es gibt keine Statistik, welche Berliner Seen bevorzugt von H4-Empfängern besucht werden. Sehr wohl gibt es aber Statistiken, welcher Anteil der Bevölkerung in den jeweiligen Bezirken von H4 lebt. Das sind in Marzahn-Hellersdorf 15,1 % und damit 3,4%p WENIGER als im Berliner Schnitt und z.B. 4,7%p WENIGER als im Westberliner wasserreichen Bezirk Spandau. Dass sich nun ausgerechnet an einem Marzahn-Hellersdorfer Baggersee die H4-Empfänger so ballen, ist wenig wahrscheinlich.
    Dann schreibt das ND: “Es kostet nichts [,im See zu baden], weil der See offiziell kein Badesee ist, sondern ein Wasserrückhaltebecken.” Soso. In Berlin gibt es jede Menge offizielle Badestellen, die unentgeltlich zugänglich sind. Ist das in ND-Journalistenkreisen wirklich unbekannt?

  6. Tarifkenner sagt:

    Ich war noch nicht fertig, ND!
    Natürlich darf – nein: muss – das ND das CDU-Ansinnen kritisch kommentieren, den Baggersee zu privatisieren. Aber man kann dabei schon leicht überlesen, dass dieser Vorschlag nichts am kostenfreien Baden ändern soll. Dass der Bezirk sich etwas widersprüchlich verhält, wenn er einerseits die Badegelegenheit ausbaut, anderseits sich in Sachen Wasserqualität einen schlanken Fuß macht, kommt zur Sprache. Dass in der Bezirksverordneten die Linke fast doppelt so viele Abgeordnete hat wie die CDU wird aber nicht erwähnt.

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