Journalisten wissen: Einmal ist Zufall, zweimal ist ein Trend und dreimal ist ein System. Der Trend deutet darauf hin, dass ich die Bahnhöfe abklappere, in deren Nähe ich mal Freundinnen hatte.
Mir war allerdings gar nicht klar, dass es der Bahnhof in der Nähe der Ex von nach der Ex von der Leberbrücke gewesen wäre, denn damals bin ich immer mit dem Auto nach Schöneweide* gefahren, obwohl reichlich Bahnlinien dorthin führen, und war auch immer sehr froh darum, irgendwie abgeschirmt zu sein, denn auf den Straßen lungerten Nazis mit Kampfhunden in derart großer Zahl herum, dass ich an Ampeln den Knopf runtergedrückt hatte. Vermutlich sah die Realität völlig anders aus, aber halt nicht aus meinem PKW und meinen Vorurteilen heraus. Falls ich doch richtig lag, wissen Sie jetzt immerhin Bescheid. Ehrlich gesagt bin ich nach Schöneweide gefahren, um nachzusehen, ob es dort eine schöne Weide gäbe (ja, ich bin so albern). Gab es nicht.
Dafür gab es aber ein Bahnhofsgebäude, das so hübsch räudig war, dass ich es vor lauter Urban-Exploration-Fotografieversuchen kaum geschafft habe, herauszutreten, um einen Blick auf die Umgebung zu werfen, die – verlässt man das Gebäude durch einen zufällig offenstehenden Seiteneingang – nicht minder räudig, jedoch lange nicht so effektvoll zu fotografieren ist, wie das Innere.
Vorne raus liegt das Adlergestell, also die B96a, die hier aber schon nicht mehr Adlergestell, sondern irgendwie anders heißt, und dermaßen durchschnittlich bebaut und ausgestattet ist, dass ich Mühe hatte, den Bahnhofsvorplatz zu verlassen, ohne im Gehen einzuschlafen, geschweige denn ansehnliche Fotos zu produzieren. Die üblichen Kneipen, die man an Vorstadtbahnhöfen findet, die üblichen Imbißbuden und, um keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen, die übliche Shoppingmall mit den üblichen langweiligen Ladenketten, deretwegen man in die Innenstadt zieht, wo man sie irritierenderweise dann auch wieder an jeder Ecke findet, sie aber ein wenig besser verschwinden, weil es auch noch andere Läden gibt, die man lieber betritt, weil man sich einbildet, dort auch nur ansatzweise irgendwas Exklusiveres zu finden, woran man selbstverständlich scheitert, was schönzureden man aber recht schnell lernt – schneller jedenfalls, als die verborgenen Läden zu finden, die sich tatsächlich dazu eignen, die Sehnsucht zu stillen, die die Vorstadt in einem ausgelöst hat (spätestens jetzt sollte Ihnen klar sein, in welcher Umgebung ich aufgewachsen bin), vorausgesetzt, man hat genug Geld, um sich im Inland handgearbeitete Waren zu leisten. Irgendwas ist halt immer.
Also hinten raus. Schon besser irgendwie. Es gibt eine Wendeschleife für die Straßenbahn. An ihr entlang führt ein Weg. Alles ist vollgemüllt, wie es sich für die Rückseite eines Berliner Bahnhofs gehört. Rechts herum eine Garagenzeile, dahinter eine Kleingartenkolonie mit teilweise erstaunlich gut ausgebauten Gebäuden und gut gepflegten Gärten, die irgendwie den Eindruck machen, dauerbewohnt zu sein.
Meines Wissens ist das verboten, aber da die Berliner Exekutive sich nicht darum schert, das Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung zu kontrollieren, halte ich es für sehr gut möglich, dass nicht wenige Menschen lieber das ganze Jahr über in ihren komfortablen Lauben im Grünen, als in ihren Etagenwohnungen im Grauen leben. Ich jedenfalls würde es so machen. Man braucht ja nicht mehr, als eine Meldeadresse anderswo. Jeder Versuch, mit den Menschen in dieser seltsamen Siedlung ins Gespräch zu kommen, ist gescheitert. Ich werte das als Indiz für die Richtigkeit meiner Wohnsitz-Theorie.
Links raus ist so ein Platz, auf dem Busse wenden und warten. Man nennt so etwas Endhaltestelle. Die Versorgung der Fahrer und der Fahrgäste übernimmt unter anderem das “Johannistaler Stüb’l”, an dem man eine Bockwurst für einen Euro bekommt. Schräg gegenüber liegt “Pico’s Bistro”, eine Dönerbude mit unfassbar freundlichem Betreiber und Preisen zum 20-jährigen Betriebsjubiläum, die so niedrig sind, wie ich sie seit den Friedrichshainer Dönerkriegen im Jahr 2000 nicht gesehen habe, die allerdings noch weit über denen des Stüb’ls liegen. Das eigentliche Highlight dieser Dönerbude ist allerdings ein putziger Biergarten, den ich sogar regelmäßig aufsuchen würde, wenn er nicht albern weit von meinem Wohnsitz und meinen normalen Aufenthaltsorten und Routen entfernt läge.
Gegenüber gibt es auch noch irgendeine Gaststätte, aber die hatte zu und darum schreibe ich auch nix darüber. An der Einfahrt zur Endhaltestelle, Ecke Sterndamm, stand dann die notwendige Riesenerdbeere von Karls Erdbeerhof, wo ich mir ein Kilo Erdbeeren geholt und auf dem Heimweg zur Hälfte aufgegessen habe. Falls Sie bis hierhin durchgehalten haben sollten, interessiert es Sie möglicherweise, dass Schweineöde ein Anagramm zu Schöneweide ist. Ich fürchte, zurecht. Zumindest, was die Bahnhofsumgebung angeht.
* Nicht zu verwechseln mit dem Betriebsbahnhof Schöneweide, der eine Art kostenlose Touristenfalle darstellt und gesondert zu betrachten sein wird.
Kurzweiliges Stilbild
Ein typischer “Holgi”-Beitrag, wie ich ihn schätze: kurzweilig, persönlich und informativ – auch und gerade für Nicht-Berliner (besser noch: auch für mich als Exil-Saarländer in Bayern empfehlenswert). Holger Klein könnte auch über einen vor sich hin rostenden Maschendrahtzaun schreiben oder sprechen, und auch das wäre garantiert ein spannender Beitrag.
Hach, danke 🙂
...
Da soll es eine geheime U-Bahn geben zwischen Schöneweide und Betriebsbahnhof Schöneweide. Und ja, man sieht mittlerweile keine Glatzen mehr (obwohl es Menschen gibt, die sie immer noch sehen, in rauen Mengen!). Dafür sieht man, was man früher nicht sah, aber das hat der Autor nicht gesehen oder den Wandel nicht bewertet. In der Kleingartenanlage hinten darf man rauchen; auch in einem geschlossenen Raum. Und die Gegend gegenüber der Eisenbahnernotsiedlung (welche Not?) trägt einen Namen, den man hier nicht schreiben darf, das wäre pfui. Das hat aber wiederum einen harmlosen, sogar “mondänen” Grund. Im Wald liegen schöne Gebäude mit nicht harmloser Geschichte und demnächst schicker Aussicht. Sogar der Bahnhof selber hatte mal was, früher, als da Fernzüge fuhren und das Buchsortiment im Bahnhofsladen erinnert manchmal daran. Dann hat man den Bahnhof runterkommen lassen und ihm steht nun ein 08/15 schick-schick-neu bevor. Aber noch sind nicht alle Spuren verwischt – in Schwei
Ist es in Berlin nicht völlig egal, wo man rauchen darf und wo nicht, weil die Raucher sowieso drauf pfeifen? Und gibt es zur geheimen UBahn Details? Im Netz finde ich nämlich nichts darüber.
Schöneweide...
…war in meiner Kindheit quasi Berlin. Da auf der Rückseite in Johannistal wohnten meine Großeltern. Etwa einmal im Jahr sind wir nach Johannistal gefahren. Und die Schleife mit der Straßenbahn gibt es also immer noch. Und nein, Johannistal ist auch nicht so schön wie es klingt :). Allerdings schöne ruhige schattige Villen, gleich neben der Feuerwehr. Die gibt es, glaube ich, auch noch.
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Selten so etwas langweiliges und oberflächliches gelesen – wie das. nun weiß ich, wo der autor eine freundin hatte und stelle unwillkürlich vermutungen an, warum sie es nicht mehr ist – als erster grund: solche artikel. richtig der bahnhof ist trostlos, wird aber gerade gebaut, hätte man erwähnen können. muß man aber nicht. nun “hinten raus” ist man aber nicht mehr in schöneweide, weder ober- noch nieder-, sondern in johannisthal, auch wenn der bhf schöneweide heißt.
Danke für die Aufmerksamkeit! 😀
Nieder- und Oberschweineöde...
nennen die Berliner diese Gegend. Inzwischen ist aber auch hier die Bodenspekulation angekommen, angelockt von den großen Industriegrundstücken. Vor dem 2. WK wurden am Rande des Flugplatzes von der Fa. Willys Overland Kfz montiert, nämlich der Austin Seven, der nach Einstellung des BMW Dixi durchaus noch Abnehmer fand. Es gibt ein Foto, das Adolf Hitler zeigt, wie ihm ein Austin Seven als “Volkswagen” angedient wurde. Heute wissen wir, daß ihn sein Landsmann Porsche erfolgreich umschmeichelte.
Wehmut!
Die dünnlippigen Berlinbetrachtungen schmerzen.
Ich nehme sie als Kohls blühende Landschaften hin.
Mit fielen Grüssen!
Bernard del Monaco
besser dünnlippig
betrachtet, als absichtlich verfremdend. Wie man oben sieht, kennt auch das Netz nicht alle Geheimnisse. Vielleicht ist das am Ende doch besser so!
Da fehlt irgendwas O_o
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Das Foto mit dem vielen Grünzeug find ich schön.
Odre wie sagt man heute ? Das feier ich.
Und nächstes Mal...
…nächstes Mal gehen Sie wirklich nach Schöneweide raus und besuchen uns.
Steht schon auf der Liste 😉
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Herr Kumpf hätte sehr große Freude: mehr als 130 Wörter in einem Satz