
Man steigt aus der S-Bahn am Bahnhof Südende und dann hat man wieder einmal die Wahl: will man rechts oder links der Schienen stöbern gehen? Zunächst wandere ich nach rechts, hinein in ein gediegenes Wohngebiet, das Straßennamen wie “Ellwanger Straße” und “Crailshaimer Straße” zu bieten hat – und tatsächlich: Es ist hier ein bisschen wie in einem Wohngebiet in einer Baden-Württembergischen Kleinstadt an der Jagst oder in der Region Heilbronn-Franken! Ich bin ja 13 Jahre in Tauberfranken zur Schule gegangen und Crailsheim ist da gar nicht so weit weg. Da ist es schon witzig, dass an der Station “Südende” dieses Flair aufkommt – oder bilde ich es mir ein, weil ich das Flair sehen will? Na egal.
Dazu passt auch die kleine weiße Kirche, in deren Garten man ein Stein-Labyrinth am Boden findet. Das wird mehrfach angepriesen: Auf einem Schild vor der Kirche, auf einem Plakat am Fenster und ich bin immer wieder fasziniert, was für eine beruhigende Wirkung solche Labyrinthe haben, obwohl sie so simpel sind: Man läuft einfach in vorgegebenen Bahnen, der Mensch wird zu einem kleinen Strudel, der sich von außen nach innen vorarbeitet – am Ende steht man an einem Baum und guckt herum. In unseren letzten Bergferien fanden wir auf einer Alpenwiese auch so ein Labyrinth und seine Wirkung auf die Kinder war fast magisch.

Die Wikipedia erklärt den Ortsteil Südende zu einem Villen-Viertel und so finden sich hier auch einige wunderschöne Villen aus verschiedenen Zeiten, manche schon hundert oder so Jahre alt. Dazwischen dann Straßenzüge, die eher nach Achtziger aussehen, manche vielleicht Fünfziger – ach fragen Sie besser jemanden, der sich mit Architekturgeschichte auskennt, ich bin da ja eher überfragt. Wenn man aber zusammenfassend ein Wort für das Flair finden sollte, dann würde ich eines wählen:
gediegen.

Und sehr höflich. Hier leben Menschen, die ihre Ruhe zu haben schätzen. Die angekommen sind. Die bleiben wollen und es deswegen gern sauber haben. Sie hängen von Kinderhand gefertigte Schilder an ihre Gartenzäune – ja Gärten gibt es hier sehr viele, sie sind gepflegt, man findet Rosen und Hortensien und auch mal einen Gingko – die darum bitten, dass die Hunde ihr Geschäft anderswo machen sollen. Und wenngleich das vielleicht utopisch ist, denn die machen eben hin, wo sie wollen, zumindest scheinen ihre Besitzer hier rücksichtsvollere Menschen zu sein, als im Friedrichshain.

Da fällt mir eine sehr Abstruse Geschichte ein, die mein Freund S. mir einst erzählte: Er war mit dem Hund eines Freundes in Kreuzkölln unterwegs – also irgendwo an der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg – und der Hund kackte auf den Gehweg. S. ist ein rücksichtsvoller Mensch. Er ist in der Sozialen Arbeit tätig, er kennt das Leid der Menschen und er weiß, dass man mit ein wenig Rücksicht das Leid von allen wenigstens ein bisschen mindern könnte. Oder so. Er ist Idealist, deswegen geht es ihm als in Berlin in der Sozialen Arbeit Tätigem auch nicht so gut, manchmal macht er auf mich den Eindruck, an der Menschheit zu leiden. Jedenfalls machte er den Haufen weg und hätte sich dafür von so’nem Möchtegernpunk fast Prügel eingefangen. Er sei wohl “obrigkeitshörig” und wolle “die Gentrifizierung vorantreiben”!
Es gibt einfach so viele Idioten.

In Südende findet man in einem Garten ein Kunstwerk. Ich glaube, es ist ein Zauberer, vielleicht auch ein Wanderer, der sich kurz niedergelassen hat, weil es so schön ist, so gediegen. Es laufen viele alte Leute herum und wer nicht laufen kann, der hat ein kleines Senioromobil – meine Oma hatte auch so eines und ist damit durch die sachsen-anhaltinische Kleinstadt gecruised, die alle einmal im Jahr spannend finden, weil da das “MELT!” stattfindet, ansonsten ist es eher öde. Hier verbringt man also seinen Lebensabend, wenn man es sich leisten kann (und ansonsten kann ich die Stadt nahe des “MELT!” empfehlen: günstige Mieten und viele andere Senioren, also fast wie in Südende). Das Gute: Der Bahnhof ist ja nur zwei Stationen vom Südkreuz entfernt, das heißt, man ist wirklich schnell an einem ICE-Bahnhof und von dort geht es in die ganze Republik.
Sorry – aber einen Satz muss ich nochmal zu den Pseudo-Punks loswerden: Das sind eigentlich keine richtigen Punks, denn sie nutzen die äußere Codierung von Punks nur als Verkleidung, unter der sie meinen es sich erlauben zu können, sich zu besaufen, sich pöbelnd daneben zu benehmen und ihre Hunde anschreien zu können. Das ist leider sehr schade, denn so entstand in der Restbevölkerung der Eindruck, dass “Punk” grundsätzlich mit Arschlochtum daherkäme. Schade, denn Punk ist eigentlich sehr viel mehr gewesen. Ist übrigens eine weit verbreitete Methode, sich irgendein Label oder eine Verkleidung anzuziehen, um dann halt Arschloch zu sein. Gibt es auch in der Variante “ich bin Politiker” oder “ich bin Gefängniswärter” oder “ich bin Polizist” oder “ich bin Feministin”. Das fällt leider immer negativ auf die restlichen Leute zurück, die da eigentlich mit guten Absichten werkeln.

Last but not least: Am Südende habe ich einen Fleischer gefunden, der sogar für mich in Frage kommt. Denn ich esse seit langem kein Fleisch mehr, dessen Herkunft mir schleierhaft ist und bei dem ich nicht wissen kann, ob das Tier, bevor man es vom Leben zum Tode gebracht hat, ordentlich behandelt wurde. Das Gut Hesterberg ist der Herkunftsort des Fleisches, das man in der gleichnamigen Fleischerei erwerben kann, die sich linkerhand der Schiene befindet, wenn man am Südende aussteigt. Nur wenige Meter sind zu laufen, eine kleine Straße zu überqueren, und schon kann man sich austoben zwischen Zwiebel-Leberwurst, Entrecôte und Knacker. Kann ich mich austoben, denn wie es auf der Webseite heißt:
Alle Tiere auf Gut Hesterberg leben im Freien, nur die, die Schutz brauchen, kommen nachts in einen Stall. Tagsüber heißt es für alle Tiere: Raus ins Grüne!
Das finde ich gut und das kann man sich ja auch mal merken. Dieses Gut Hesterberg hat auch noch andere Filialen in Berlin, unter anderem in der Frankfurter Allee 111 – juchuu, da werd ich künftig häufiger mal vorbeischauen.
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“der Eindruck, dass „Punk“ grundsätzlich mit Arschlochtum daherkäme.”
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Ach, das ist nicht so? (Glaub’ ich nicht. Wahrscheinlich haben Sie als naive Jugendliche diese hässliche Anti-Mode(*) auch mitgemacht und verteidigen deshalb jetzt ein paar Jahre Ihres juvenilen Lebens?)
(*) Vor 35 Jahren hab’ ich den Film von Malcolm McLaren über seinen “PUNK”-Schwindel gesehen; dass manche nette Leute heute noch glauben, das wäre eine Art Jugend-Bewegung gewesen, ist traurig.
ich war selbst nie Punk, hatte aber verschiedene Berührungspunkte in meinem Leben. und ja: das ist so. das hat auch nichts mit Glauben, sondern einfach mit Differenzieren zu tun.
Gruß
Hach
Ich mag Ihre Artikel einfach.
danke 🙂
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Als ‘Turi’ aus Holland und absoluter Berlin-Fan sage ich nur: Danke für ihre Kolumne und die vielen Anreize mal wieder hinzufahren.
Apropos ‘gediegen’: so sah es laut Google schon in 2008 aus: https://goo.gl/maps/7W5Cd .
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Ich kann ja der schönen Hesterberg-Idylle nicht so richtig Glauben schenken. Das “Gutshaus” ein 90iger Jahre Nachbau, die paar Freilandhühner davor – in wirklich schönem Gehege – reichen bestimmt nicht für alle in den Filialen verkauften Eier, kaum Landwirtschaftstechnik am Hof, die Galloways zwar draussen auf der Weide, aber kein einziges Schwein zu sehen, was ja den Hauptteil des dort verwursteten Fleisches liefern sollte…
Dafür in den Nachbardörfern landwirtschaftl. Großanlagen ohne Eigentümerschilder am Zaun und irgendwas nach Fleischfabrik aussehendes 2 Dörfer weiter…
Ich kann mich eines gewissen Potemkinschen Eindrucks des Ganzen nicht erwehren. Besser als das auf jeden Fall aus der ind. Mast stammende sonstige Fleisch anderer Ketten/Supermärkte aber allemal…
Ein schöner Ansatz,
eine Lage Berlins mit der Region zu vergleichen, aus der ihre Straßennamen stammen. Da ließe sich bestimmt noch viel finden, zum Beispiel das Bayerische Viertel in Schöneberg und das Kottbusser Tor.
Witzig finde ich auch, wie kleine Orte zuweilen der Benennung von Berliner Verkehrswegen dienen. Zum Teil existieren sie gar nicht mehr als eigenständige Orte, sondern sind eingemeindet worden.
So gibt es zum Beispiel in Kladow den Gößweinsteiner Gang. Gößweinstein liegt in der Fränkischen Schweiz und hat 4082 Einwohner ist aber immerhin noch selbstständig. Aus der Kategorie “nicht mehr selbständig” fällt mir Zeltingen ein, ein Ortsteil von Zeltingen-Rachtig an der Mosel, das heute insgesamt 2247 Einwohner hat. Nach diesem Dörflein ist ein zentraler Platz in Frohnau benannt. Wer bietet weniger?
🙂 – da scheint es mir passend, schöne Grüße aus der Bärenschlucht bei Gößweinstein zu senden!
strassennammen
Ja, das wäre eine Idee! Und weil Berln so groß ist, gibt es schon ein paar kuriose Ecken. Im Südosten, in Altglienicke, gibt es ein Viertel, wo die Straßen nach Kölner Stadtteilen benannt sind.
Hesterberg...
Zu den Eiern von Gut Hesterberg kann ich nichts sagen, bei den Schweinen war es vor Jahren so, dass Tiere von Vertragsbauern zugekauft wurden – die Aufzucht/Fütterung und Lebensbedinungen der Schweine waren aber reglementiert und erheblich über denen einer normalen Turbozucht-Sau (u. a. auch langsamere Aufzucht).
Was ich aber berichten kann, ist dass der Prozess des Schlachtens dort signifikant “besser” abläuft, als in Massenzuchtbetrieben. Die Tiere sind mind. 24 Stunden vorher vor Ort, um sich an ihre letze Umgebung zu gewöhnen und sie sind – bis zu dem Moment, an dem sie mit einer Elektrozange ins Koma bzw. den Hirntod befördert werden – völlig entspannt. Jedenfalls was das so mit den 7 Schweinen, die wir vor 5 1/2 Jahren im Rahmen des Porkcamps (bei mehr Interessse einfach “Porkcamp” und “Gut Hesterberg” googeln) dort geschlachtet und so weit wie irgend möglich vollständig verarbeitet haben.
es gibt ein Porkcamp? – oh, wenn das der Holger erfährt! 😀
Ein Danke
Liebe Katrin, haben Sie vielen Dank! Ihre Artikel machen aus einem gefühlten “Molloch” eine Stadt. 😉
hach – das freut mich 🙂