Früher, als man noch Telefonnummern auswendig konnte, etwa die der Eltern, der besten Freunde, eine Taxi-Nummer und natürlich die des Liebsten, da prägte ich mir bei der Ankunft in Berlin im Jahr 2003 die Nummer 19449 ein, die Infonummer der BVG. Diese Nummer ist in meinem Kopf noch genauso drin, wie die letzte Nummer meiner Jugendliebe und ich glaube, würde ich dort anrufen bestünden Chancen, dass seine Mutter ans Telefon ginge und dann würde ich sicherlich hastig auflegen und mich fragen, was mit mir eigentlich nicht stimmt.
Die 19449 kann man auch immernoch anrufen und in meinen ersten Wochen und Monaten in der neuen großen Stadt habe ich das sehr sehr oft getan. Für mich war Berlin am Anfang ein extrem unübersichtlicher Ort. In meiner Erinnerung findet sich zum Beispiel ein Tag im Prenzlauer Berg: Wir stiegen aus der U2 aus, liefen die Schönhauser entlang, bogen rechts rein, dann leicht links, dann grade aus und irgendwann waren wir in einem Café, in dem wir in einer größeren Gruppe zusammen eines der schon damals berühmten berliner Brunch-Sit-Ins veranstalteten, die bis 16 Uhr am Wochenende in vielen Restaurants und Cafés angeboten werden. Ich erinnere mich auch, dass man damals im “An einem Sonntag im August” in der Kastanienallee ein solches Brunch für schlappe 2,90 bekam! Gibt es das heute eigentlich auch noch? Jedenfalls war ich damals so orientierungslos in dieser Stadt, dass ich von unserem Brunch-Sit-In alleine niemals zurück zur U-Bahn gefunden hätte. Und so kam es, dass ich nicht selten an einer Haltestelle der U- oder S-Bahn stand und die 19449 anrief um zu fragen, welches der beste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei um zur Bornholmer Straße zu kommen. Und zur Ergänzung druckte ich immer Ausschnitte von Stadtplandienst.de aus, bevor ich das Haus verließ. So war das früher, liebe Kinder!
Jetzt fiel mir diese Nummer wieder ein – und das kam so: Anfang des Jahres, so im Februar oder auch im Januar schon, ich weiß es gar nicht so ganz genau, waren die berliner Nachrichten-Medien voll der Nachricht, dass ab Ende August die Stadtbahn zwischen Hönnöhö und Hünnühü gesperrt sein würde – Sie merken schon, ich habe mir supergut eingeprägt, wo und wann genau. Nein – ich weiß weder wo, noch wann genau – ich weiß nur noch, dass die Information ein ungutes Gefühl in mir hinterließ und ich erinnere mich, den Satz “ach du scheiße!” laut zu mir selbst gesagt zu haben.

Und all das fiel mir jetzt wieder ein: DA WAR DOCH WAS! Aber was? Ich googlete natürlich erst, wie man das heutzuztage tut, fand aber auf die Schnelle nur die alten Artikel von damals, nüscht aktuelles, nirgendwo. Wir haben jetzt einen Monat vor Ende August und ich werde langsam unruhig und ich finde es sehr befremdlich, dass man so gar nichts mehr gehört hat. Vermutlich wird das so wie mit der Sperrung zwischen Bundesplatz und Westkreuz – sie überfällt einen einfach so aus heiterem Himmel und dann hat man eben den Salat. Aber nicht mit mir! Ich rufe jetzt die alte Nummer an und ich werde genauestens nachfragen, wann, wo und wie!
Ergebnis
Also die Nummer gibt es immer noch, es ist nach wie vor die Kundenbetreuung der BVG. Aber: eine Stimme vom Band geht dran, früher war es ein echter Mensch. Die Stimme vom Band schlägt viele verschiedene Themen vor, die man der Spracherkennung sagen soll – die BVG ist so modern, wie auch die Telekom. Ich könnte eine Fahrplanauskunft erhalten, zum Fundbüro durchgestellt werden – weil ich etwas verloren oder etwas gefunden habe; ich könnte auch eine Störung melden. Nur ist das Thema “Stadtbahnsperrung” nicht dabei, ich sage “sonstiges”. Wieder schlägt die Stimme Themen vor, wieder nix mit “Stadtbahnsperrung”, wieder verlege ich mich auf “sonstiges”, obwohl es diesmal nicht mehr vorgeschlagen worden war – aber man weiß ja nun, dass es das Thema gibt. Ich werde zu einer Kundenbetreuerin durchgestellt. Die ist freundlich und kompetent. Auf meine Frage nach den Nachrichten vom Winter weiß sie sofort Auskunft:
“Nach unserer Information ist das ab 29.08., aber es betrifft nur die Fernzüge und Regionalbahnen, die S-Bahn betrifft es noch nicht. Die Stadtbahn wird dann zwischen Friedrichstraße und Zoologischer Garten gesperrt.”
Wir sind ja leidgeprüft, wir Berliner, ne? Deswegen frage ich natürlich sofort: “Was meinen Sie denn mit ‘noch’?” – Da lacht die Stimme am anderen Ende der Leitung und beruhigt mich, dass ihr keine Informationen vorlägen, aber man wisse ja nie. Ich mag die Frau. Wie lange es dauern wird, will ich noch wissen. “Da haben wir noch keine Lagemeldung bekommen”, gibt sie zu. Ich frage weiter: “Und wenn ich dann den Regio oder den ICE nehmen will, wie soll ich das machen?” – “Dann muss man eben schon am Zoo in die S-Bahn steigen und fährt dann bis Hauptbahnhof oder Friedrichstraße und so weiter – oder eben umgekehrt”.
Ja – und wie man immer wieder überrascht feststellt: Im Innenstadtbereich ist die S-Bahn ja ohnehin schneller als so ein ICE 😀
Fazit: Einen besseren Überblick über Berlin habe ich längst, das kommt mit der Zeit, die Karten sind im Kopf und natürlich: mittlerweile auch im Smartphone. Aber: Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, dass die 19449 noch in meinem Kopf ist – vor allem, wenn ich von Österreich aus Dinge wissen will, ohne mir teures Roaming zu leisten. Die Frau am Telefon war freundlich, kompetent und witzig. Und sie wusste Dinge, für die ich viel länger hätte googeln müssen. Wir sollten uns alle wieder mehr Nummern merken! Vielleicht fangen wir bei der unseres Liebsten an.
Was auch schön
und vielleicht noch ein bisschen praktischer ist: In den U-Bahnhöfen und in manchen S-Bahnhöfen befinden sich Notrufsäulen, die außer dem Notrufknopf auch noch – und das wissen nicht alle – einen Informationsknopf anbieten, mit dessen Hilfe man kostenfrei, schnell und ganz ohne computerstimmenbetriebene Menüführung mit einem echten Menschen sprechen kann. In aller Regel hilft auch dieser Mensch freundlich und kompetent weiter.
Mein jüngstes Erlebnis war allerdings untypisch: Ich hatte eine letzte U-Bahn angepeilt und betrat pünktlich den Bahnsteig. Die Anzeige verkündete ein unversöhnliches “Hier kein Zugverkehr”. Ich betätigte den Infoknopf und fragte den BVG-Mitarbeiter, auf welche Nachtbuslinie ich ausweichen könne. Er sagte mir, der Hinweis auf der Anzeigetafel sei nicht so ernst zu nehmen, allerdings habe die U-Bahn etwa 15 Minuten Verspätung. Im echten Leben kam sie dann genau pünktlich. Und das hatte mir 30 Minuten zuvor auch die BVG-Website versprochen.
Erinnert an - na was? Rcihtig: Thomas Mann - gibt ein bestimmtes Datum, ab dem gibt es von ihm keine
Briefe mehr an seine Frau. Des Rätsels Lösung: Sie waren von dem Tag an nie wieder einen Tag des Lebens getrennt. (Fragen einfach gemacht. Also falls der Ehepartner grad Zeit hat. Aber bei denen war das wohl so. Sie hatte immer Zeit: Für ihn.)
Und es gab mal eine Zeit, da wurden solche wie er auch noch selbst in die Pläne dauerhaft aufgenommen: “8. November:Auf Einladung der Literatenvereinigung “Argonauten” las Thomas Mann im Auditorium Maximum der Universität aus seinem Roman “Josef und seine Brüder”.” (Das allerdings die Stadtchronik München von 1927 – er hat im selben Jahr sicher auch in Berlin gelesen, das findet Google aber gerade nicht.)
Man müßte jetzt allerdings auch noch mal in Moskau U-Bahn fahren & anrufen, Moskau ja genaugenommen Berlins Komplementärstadt, keine andere, vermutlich meldet sich bis auf weiteres auch in Moskau noch die kluge & nette Frau vom Amt.
Evtl. “Das Dorf der roten Teppiche” (ARD Mediathek) – da auch noch alles sympathisch-k