Es gibt in Berlin dieser Tage einen neuen “Trend”: Leute machen es sich gemütlich. Das wäre im Grunde eine feine Sache und wenig besorgnisserregend oder auch nur bemerkenswert. Aber sie machen es sich an öffentlichen Orten gemütlich. Da wäre zum Beispiel der Boxhagener Platz. Vor einigen Wochen stand da plötzlich ein Sofa. Dann noch ein Sessel. Matratzen liegen dort herum und wenn man an einem schönen sonnigen Tag den Platz betrat, hatte man das Gefühl, in jemandes Wohnzimmer zu kommen. Die Leute saßen mit ihren alkoholischen Getränken in der Hand auf ihren Möbeln, rauchten, tranken, quatschten, lachten. Drum herum sprangen Hunde, die natürlich auf dem Platz ohne Leine gar nicht erlaubt sind, aber wir sind ja in Friedrichshain. Der Boxi ist schon seit Jahren keine wirkliche Grünfläche mehr. Das Gras, das einmal in seiner Mitte wuchs, ist eingegangen, manche braunen Hälmchen recken sich zwar noch in die Höhe, aber überlebt haben hier vor allem strunkige Büschelpflanzen, deren taxonomisch korrekte Bezeichnung mir nicht geläufig ist. Sie sind dorrig und hart, aber das müssen sie auch sein, denn zartes grünes Gras wird seit Jahren plattgetrampelt. Auf diesem Boden zu sitzen ist daher eher unangenehm und folgerichtig haben Menschen eben ihre Sofen hergetragen und nun ist es wieder schön. Für sie.

An der Warschauer Brücke ein ähnliches Szenario. Ein Matratzenlager und mehrere Menschen, die hier leben. Läuft man vorbei, sieht man sie essen, trinken, rauchen, Leute anquatschen. Sie wollen gerne ein bisschen Gras, oder ein paar Kippen, etwas Alkohol und natürlich auch gerne Essen. Sie wohnen hier. Sie sind immer hier. Tag und Nacht. Ich weiß nicht wo sie pinkeln (und will es auch nicht wissen), ich weiß nicht, wo sie herkommen (deutsch sprechen sie nicht; rein äußerlich verkleiden sie sich als Punks). Ich weiß nicht, was sie tun werden, wenn es dann bald wirklich kälter wird. Ich weiß nicht, welche Bedürfnisse sie dann haben. Sie sind ein Rätsel. Denn: Sie betteln eigentlich nicht. Sie sehen nicht traurig aus – eher wirken sie wie eine nette kleine Familie, nur dass ihr Wohn-, Ess- und Schlafzimmer eben auf dem Asphalt steht. Ohne Dach. Sie lachen viel. Sie kuscheln manchmal. Aber im Grunde strahlen sie nichts aus, was darauf hinweisen würde, dass sie leiden. Vielleicht ist das so eine Art Lifestyle-Experiment? Vielleicht aber wird es bald sehr ernst und vielleicht erlöschen bald die lächelnden Gesichter. So oder so kann es nicht schaden, genau jetzt die Berliner Andockstellen für Obdachlose im Winter zu unterstützen. Es wird viel werden, was sie diesen Winter schultern müssen. Es sind sehr viele Menschen in der Stadt. In jedem Bezirk gibt es Initiativen, es gibt die Kältehilfe und es gibt Schlafplätze… Also einfach mal gucken, was man unterstützen möchte.
Jedenfalls: Auch am Ostkreuz wurde gebaut. Diesmal aber mit Dach und sehr viel weniger öffentlich, als die anderen beiden Freiluftwohnzimmer:

Auch hier leben Menschen und sie haben tagsüber nicht wenig Spaß, manchmal machen sie Musik, manchmal trinken und lachen sie, rauchen tun sie eh alle. Und wenn es dunkel wird, dann läuft man an diesem unscheinbaren Stapel von Kisten und Brettern vorbei, denkt sich irgendwie wenig und hört plötzlich Tierstimmen. “MIAAUUU” kommt es aus den Kisten und “MUUUUHHH”. Wie kleine Kinder scheinen da welche drin zu sitzen. Wie damals, als wir auf Bäume geklettert sind oder uns hinter der Balkonbrüstung versteckten und wirklich glaubten, dass uns keiner sehen könne und es für sehr kreativ hielten (auch wenn wir das Wort “kreativ” noch nicht in unserem Wortschatz hatten), den vorbeigehenden komische Geräusche mitzugeben. Die grinsten natürlich meistens nur doof, weil es alles so offensichtlich war (nur nicht für uns) und manche waren so freundlich mitzuspielen und ganz überrascht zu tun und sich umzudrehen und die Stirn zu runzeln (so mache ich das heute auch, wenn Kinder denken, man könne sie nicht sehen). Jedenfalls: Am Ostkreuz steht ein Haus, darin leben große Kinder, sie sammeln Pfandflaschen und in der Nacht, wenn keiner sie sehen kann, dann hören die Leute Tierstimmen. Mich machte das Schmunzeln. Was allerdings so mancher Druffi dazu sagt, der vielleicht mit Psychedelischem im Blut von einem Club in den nächsten torkelt – das weiß ich nicht.

Ich hoffe, dass diese Wohngelegenheiten nur temporär sind und dass alle Bewohnerinnen und Bewohner für den Winter ein echtes Heim haben, das auf sie wartet.
Im Friedrichshain läuft was grundsätzlich schief
Als ich den jungen Mann am Ostkreuz das erste Mal sah, wirkte er wie ein cooler Surfer oder Skatet und bat laut Pappschild um Geld “Für Brot und Drogen”. Beim ersten Mal war das irgendwie noch Berlin, arm aber witzig. Jetzt, nach Monaten, sitzt er immer noch da, sieht nicht mehr cool aus, sondern nur noch krank und fertig.
Vieles am Ostkreuz ist auf den ersten Blick witzig und Berlin-mäßig cool. Aber je länger man nicht für ein Mindest-Bisschen an Ordnung sorgt, um so problematischer wird es. Model mit Messer überfallen, Taschendiebe verprügeln ihr Opfer, Überfall am RAW, etc. Mittlerweile grüßen mich die Drogendealer auf der Straße, obwohl ich noch nie bei Ihnen gekauft habe. Sie kennen ja das Viertel und sind ungestört. Abends muss man sich schon mal bedrohen lassen, nur weil man von der Arbeit kommt. Polizei und Straßenreinigung sind hier sowie fremd.
Kurz: Im Friedrichshain läuft was grundsätzlich schief. (Ach, und bevor ich beschimpft werde: Ich bin Berliner)
ja. hier läuft grade einiges schief.
Wohnen in Berlin
https://www.youtube.com/watch?v=svVaEWQaoSo
Solidarabgabe
Hallo,
mich macht das sehr traurig, mir gehts echt gut und ich könnte locker 200 Euro im Monat mehr an Steuern bezahlen, wär doch sinnvoll einen staatlichen Fond zu gründen der sich um solche Fälle kümmert, und der sich eben aus Steuergeldern und Spenden speist….
Außerdem gibts ja genügend Leute die auch 2000 oder 20.000 Euro mehr Steuern monatlich bezahlen könnten!
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Die Ostkreuz-Unterführung ist auch mein täglicher Weg zu Arbeit und Freizeit, und auch mir ist dieses Konstrukt in den letzten Tag aufgefallen. Und so sehr ich F’hain und sein grundsätzliches Feeling mag muss ich dir zustimmen – es läuft gerade inzwischen einiges schief zwischen Ostkreuz und Warschauer Straße. Ich lebe gerne hier und wünsche mir deshalb wirklich, dass sich der “Charme” Friedrichshains irgendwann wieder auf eine andere Art und Weise manifestiert.
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Sehe ich auch so! Schade……
andere Seite von F’hain
Drüben auf der anderen Seite der Frankfurter Allee sieht es ein bißchen anders aus, da haben die Punks Häuser. Aber such hier gibt es das draußen wohnen: am überdachten Eingang zum Schlachthof vor dem Blankenstein Park wohnt seit dem Frühling jmd. Er hat da ’ne Luftmatrate & Schlafsack & sein Zeug & sitzt tagsüber auf der Bank davor & unterhält sich mit Leuten. Ich überlege auch öfter, was er dann im Winter macht. Vielleicht frage ich ihn mal.
Abgesehen davon: Was mich wirklich gewundert hat war, daß die Zelte, die irgendwann auf dem Boxi standen nicht von der Polizei geräumt wurden.
Gibt es hier überhaupt noch Polizei (außer die obligatorischen Einsatzkräfte während der Demos)?
ist der plural von sofa ...
nicht sofae?
😀