In meinem ersten Jahr in Berlin habe ich in Kreuzberg gewohnt und Spandau gearbeitet. Mein Weg zum Büro führte quer durch die Stadt und immer am Nollendorfplatz vorbei. Damals gab es dort einen Laden für Autozubehör, der schon sehr früh geöffnet hatte, so dass ich morgens um halb sieben schon ölverschmierte Menschen mit geschulterten Auspuffanlagen beobachten konnte. Das hat mich immer irgendwie beeindruckt. Heute ist im Gebäude ein Biosupermarkt. Ich glaube, das bedeutet etwas.
Der Bahnhof Nollendorfplatz ist einer dieser Bahnhöfe, an denen die U-Bahn oberirdisch, auf einer Brückenkonstruktion, hält, was ein beliebtes Hintergrundmotiv für Film und Foto ist, wenn man beiläufig zeigen will, wie mondän Berlin doch eigentlich ist. Und ich muss zugeben: Es sieht wirklich jedesmal ziemlich geil aus, wenn die Züge oberirdisch fahren – am besten natürlich auf der Oberbaumbrücke, die man vom Nollendorfplatz aus mit der U1 erreicht, aber leider ist dieses Bild mittlerweile ein wenig ausgelutscht.
Vom Nollendorfplatz aus erreicht man den Winterfeldplatz, eine meiner Lieblingsgegenden in Berlin. Am Wochenende ist dort ein angenehmer Wochenmarkt, auf dem nicht allzuviele Anbieter von seltsam riechender Billigkleidung sich tummeln.
Stattdessen gibt es reichlich gutes Essen, Obst, Gemüse, Käse und – was ich ganz besonders toll finde, denn ich wohne nur etwa 15 Minuten mit dem Fahrrad vom Platz entfernt – gleich mehrere Anbieter frischer Pasta. Obwohl die Versorgungslage mit guten Lebensmitteln sich in Berlin in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert hat, scheint frische Pasta immer noch irgendwie Mangelware. Der Pastastand mit der Salsiccia hat übrigens eine herrliche Walnusspesto im Angebot (oder sagt man ‘das’ Pesto?). Probieren Sie die (oder das) zu Kürbisravioli. Mein lieber Herr Gesangsverein! Eine Salsiccia können Sie da auch prima reinbröseln. Aber vorher leicht anbraten. Und wenn ich leicht sage, meine ich auch leicht. Niemand mag knusprige Salsiccia, denn dann kann man auch eine einfache Bratwurst nehmen. Die ist billiger.
Direkt am Winterfeldplatz gab es früher das Café Sydney. Da hatte ich meinen ersten Vollrausch und „Eiweißschock“ (eine Quarkspeise) nach Umzug in diese Stadt. Den Laden gibt es mittlerweile nicht mehr und ich finde das schade. Allerdings nur aus sentimentalen Gründen.
Dafür habe ich aber auf der Ecke gegenüber, direkt neben dem Slumberland, einen Griechen gefunden, der Biofleisch verarbeitet. Da kann man sich also den Bauch vollschlagen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben. Einzig die Portionen sind im Berkis nicht so absurd groß, wie man es von den meisten Griechen gewohnt ist. Das ist im ersten Moment irgendwie enttäuschend, weil man sich ja dachte: „Yaay, Griechenvöllerei \o/!“, aber wenn sich dann nach dem Essen nicht dieses tumbe, irgendwie absurde Völlegefühl einstellt, dessentwegen man sich meist versehentlich mit Ouzo abfüllt, und noch ein Nachtisch reinpasst, macht es am Ende doch wieder doppelt Spaß, sich absichtlich mit Ouzo abzufüllen. Das Essen ist außerdem sehr gut.
Die Verbindung vom Winterfeldplatz zum Bahnhof Nollendorfplatz ist die Maaßenstraße. Die ist gerade umgebaut worden. Reichlich halbherzig ist das Konzept des Shared Space umgesetzt worden. Die Wikipedia definiert Shared Spaces als „ eine Planungsphilosophie, nach der vom Kfz-Verkehr dominierter öffentlicher Straßenraum lebenswerter, sicherer sowie im Verkehrsfluss verbessert werden soll. Charakteristisch ist dabei die Idee, auf Verkehrszeichen, Signalanlagen und Fahrbahnmarkierungen zu verzichten. Gleichzeitig sollen die Verkehrsteilnehmer vollständig gleichberechtigt werden, wobei die Vorfahrtsregel weiterhin Gültigkeit besitzt.“
In Deutschland ist es schwierig, sowas menschenfreundliches einzuführen, weil alle Angst vor Autofahrern zu haben scheinen. Außerdem fürchtet der Deutsche alles Ungewohnte und versucht – notfalls mit barbarischen Mitteln, wie wir dieser Tage quer durch die Republik beim Thema Zuwanderung sehen können – zu verhindern, dass sich irgendetwas ändert. Was es am Ende dann zwar doch immer tut, aber irgendwoher müssen die „Konservativen“ ja schließlich ihre Wählerstimmen holen. Darum hat man, begleitet vom üblichen Gejammer, einen halben Shared Space gebaut, bei dem die Kraftfahrzeuge zwar auf 20 km/h gebremst, aber immer noch auf einer gewidmeten Fahrbahn unterwegs sein dürfen und Vorfahrt haben. Der Rest der ehemaligen Fahrbahn ist ihnen nicht zugänglich und bleibt Fußgängern und Radlern vorbehalten. Das ist nicht übel, aber in seiner Halbherzigkeit leider auch wieder irgendwie frustrierend, weil so typisch für Berlin.
Aber immerhin: Für Kreisverkehre haben wir auch erstmal jahrelange „Pilotversuche“ gebraucht, während das Ausland sie einfach gebaut und erfolgreich benutzt hat – und jetzt haben wir die Dinger und ich kenne niemanden, der sich ernsthaft die alten Ampelkreuzungen zurückwünscht. Es besteht also immer noch Hoffnung auf eine Stadt für Menschen statt Autos.
Ach..
…der Nollendorfplatz!
Schöne Erinnerungen an meine Berlin Besuche Anfang der 80er Jahre.
Alles ändert sich immer
Wer den Nollendorfplatz besucht,
ohne das alte ‘METROPOL‘ zu erwähnen,
kann nur ein Fremder sein. 🙂
https://www.rockinberlin.de/index.php?title=Metropol
Es war einst im Mai 89 – als ich in der Nähe der Lautsprecher
die Mucke of „The Godfathers“ am ganzen Körper spürte,
und hopsend die ganze Innenausstattung zum Beben brachte…
(naja, ein paar andere waren wohl auch da.)
Es bleibt ja immer irgendwas übrig. Wenn ich vom Metropol angefangen hätte, hätte ich auch ordentlich auf dem Goya rumhacken müssen und das wäre dann wieder so ausgeartet und ich hätte ein schlechtes Gewissen wegen des Mitropa und der Mutter gehabt… irgendwas bleibt halt immer übrig 😉
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Es gab auch eine Zeit VOR dem Metropol. Und die war wahrlich groß (bis ’33). Sagt der Name Max Reinhardt Euch noch was?
Oder Christopher Isherwood, der um die Ecke wohnte? Oder ‘Emil und die Detektive’, die das Hotel neben dem Theater beobachteten, wo der Dieb abstieg; dann das Eldorado, dann das russische Theater “Blauer Vogel”, .. und, und, und..
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“Außerdem fürchtet der Deutsche alles Ungewohnte…” …und nennt es deshalb vermeintlich schick “Shared Space”. Arbeiten in den zuständigen Berliner Ämtern nur noch Amis?
Ja, hier arbeiten nur “Amis” in den Ämtern und sorgen dafür, dass die Deusche Sprache schnellstmöglich untergeht. Danach sterben dann “wir” aus.
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Die Berliner Amts-Amis haben das Ganze “Berliner Begegnungszone” genannt.
Was sind denn “Amts-Amis”?
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“Ein gescheites Wort, schon ist man Kommunist”
Hieß es früher.
Und heute?
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Der Autor scheint zu der 20%-Minderheit der KreuzbergerInnen zu gehören, die ein Auto besitzen. Es ist umso lobenswerter, dass er nicht mehr damit die Luft bis Spandau verpestet, sondern zum Winterfeldmarkt radelt.
Gleich neben dem “shared space” gibt es schon seit Jahrzehnten eine reine Wohnstrasse, die mit Pollern zur Fußgaengerzone genacht wurde.
Weder wohne ich in Kreuzberg, noch habe ich ein Auto.